miércoles, 29 de diciembre de 2010

Próspero año nuevo!

SO GANZ WEISS war die ecuadorianische Weihnacht nicht. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Dafür war es hier neblig – und also auch weiß, irgendwie. Für Plätzchen hatten wir ebenso gesorgt und die Menschen Pucarás mit Kokosmakronen, Zimtsternen und Heidesand beeindruckt. Und sonst? Es gab keinen Gottesdienst an Heiligabend, und die Bescherung fiel ziemlich klein aus. Aber auch hier, fern der Heimat und weit weg von den Traditionen, die wir Jahr für Jahr in der Familie pflegen, war das Weihnachtsfest schön!

An Heiligabend haben Polly, Nora und ich gekocht und lecker gegessen. Nora und ich waren zwar angeschlagen, aber auf Rot- und Glühwein wollten auch wir nicht verzichten. Am ersten Weihnachtstag ging es weiter mit der Schlemmerei, inzwischen war Nora nach Quito gefahren, um ihren Familienbesuch zu empfangen, dafür waren mit Leni und Katharina zwei andere YAP-Freiwillige in Pucará angekommen. Am zweiten Weihnachtstag kamen noch fünf Freiwillige aus Tabacundo, wo ich im November meinen Geburtstag gefeiert hatte. Es gab leckere Gemüselasagne und am Ende des Abends waren alle satt und zufrieden!

Seit Heiligabend wohnen Polly und ich in Peters Finca. Peter ist momentan – mal wieder – nicht in Pucará und hatte mir angeboten, mir seine Schlüssel hierzulassen. Ich war eine Weile etwas zwiegespalten, ob ich nicht gerne bei meiner Gastfamilie sein würde. Aber als ich dann innerhalb einer Woche, nachdem ich ziemlich brutale Antiparasitentabletten genommen hatte, wieder krank wurde, war meine Lust auf das ecuadorianische Essen und meine ziemlich einfache Unterbringung fürs Erste verschwunden: Ich wollte raus aus der Familie, um mich in Ruhe erholen zu können.

Und offenbar haben Rotwein und all die leckeren Mahlzeiten Wunder gewirkt: Was all die Tees und Wundermittel nicht schafften, erreichte die europäische Ernährung – ich bin wieder soweit hergestellt! Dabei waren die letzten Tage nicht nur entspannend: Zwei der Gäste aus Tabacundo waren ziemlich unausstehlich und etwas schwierig handzuhaben, sodass ich ziemlich erleichtert war, dass sie nur ein Tor auf Peters Finca zerstört und sonst keinen Schaden angerichtet hatten. Vielleicht sieht man daran, dass Menschen gleichen Alters, aus ähnlichen sozialen Umfeldern und unterschiedlicher geographischer Herkunft sehr verschieden sein können. (Zumindest habe ich bisher noch keinen deutschen Freiwilligen getroffen, der sich so verhalten würde...)

Morgen werde ich mich in Otavalo mit Peter treffen, ihm die Schlüssel für seine Finca überreichen und dann mit ihm, einer Gruppe von Studenten aus den Vereinigten Staaten und Polly nach Morochos fahren. Dieser Ort liegt am Fuß des Cotacachi, und Peter hat dort verschiedene Projekte, mit denen er die Gemeinde unterstützt. Ich selbst kenne das Dorf noch nicht, doch nach Peters Angaben scheinen indigene Kultur und Tradition dort noch sehr wichtig zu sein.

Bis zum zweiten Januar werden wir in Morochos bleiben, danach kommen wir alle wieder nach Pucará, wo Peters Gruppe vier Tage bleibt. Ich werde in irgendeiner Weise verantwortlich für sie sein und dementsprechend ein paar Tage beschäftigt sein. Außerdem kommt Annika, eine Freundin aus Deutschland, zu Besuch, und mein Weihnachtsessen mit der Gastfamilie steht ebenfalls aus. Volles Programm während der ersten Tage des neuen Jahres!

Im Anschluss, am fünften oder sechsten Januar, werde ich mit Annika gen Süden aufbrechen: Wir fahren nach Bolivien! Was genau wir uns in Peru und Bolivien ansehen, wissen wir noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass wir eine Menge neuer Orte und Gesichter sehen, viele Geschichten und Informationen hören werden während des Monats, den wir gemeinsam unterwegs sein werden! Nach Möglichkeit wird es auch während der Reise neue Blogeinträge geben, wenn auch weniger häufig.

Bis dahin – alles Gute fürs neue Jahr, euch allen einen guten Rutsch!

sábado, 18 de diciembre de 2010

Goldrausch

VOR LANGER ZEIT, bevor Kolumbus glaubte, Indien entdeckt zu haben und in der Folge eine Horde mordender und plündernder Spanier ganze Völker und deren Kulturen auslöschte, lebte in der Region, die heute »Íntag« heißt und sich in den westlichen Ausläufern der ecuadorianischen Anden befindet, der Stamm der Yumbos. Dieses Volk hatte sich nicht von den expandierenden Inkas vereinnahmen lassen und trieb Handel mit den Völkern an der Küste und mit denen, die im Andenhochland lebten.

Als die skrupellosen Europäer in Íntag eintrafen, gab es keine Rettung mehr: Mensch und Kultur waren dem Untergang geweiht. Erst einige Jahrhunderte später beschlossen einige wenige Bauern, das vom Nebelwald bewachsene Plateau zwischen dem Toabunche- und dem Íntagfluss für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Im Rahmen der Arbeiten, die notwendigerweise durchgeführt wurden, um das Gelände bewohnbar zu machen, stieß man auf eine erhebliche Anzahl von Spuren vorheriger Zivilisationen und nahm daher an, dass der Ort, eine rund fünfhundert Meter über den umliegenden Tälern gelegene Ebene, als Zufluchtsort für längst ausgestorbene Völker gedient hatte: Man entschied sich, ihm den Namen Pucará zu geben. Aus welcher Sprache dieser Begriff stammt, entzieht sich meiner Kenntnis – seine Bedeutung ist jedoch auch mir geläufig: Festung.

Noch heute finden sich Überbleibsel der Yumbos: Wer seinen Acker umgräbt und dabei ein wenig Glück hat, stößt auf Tonscherben. Mit etwas mehr Glück lassen sich intakte Tongefäße ans Tageslicht bringen. Und wirklich glückliche Bäuerinnen und Bauern entdecken Goldschmuck, oder zumindest einzelne Goldperlen im fruchtbaren Boden Íntags.

Als in den Sechzigern die Fläche, die heute als Fußballplatz dient, eingeebnet wurde, wurden wohl ganze Tonkrüge voller Gold aus dem Erdreich gehoben. Angeblich stieß man auch auf Tunnelsysteme und andere Dinge mehr, die erahnen lassen, dass die heutige Bevölkerung Pucarás, was Reichtum und Infrastruktur angeht, – mit Verlaub! – nicht mithalten kann mit den Siedlerinnen und Siedlern vor ein paar Jahrhunderten.

Ein paar Funde befinden sich noch im Besitz der (unfreiwilligen) Schatzgräber: Mein aktueller Gastvater Don Jaime besitzt beispielsweise unter anderem zwei vollständig erhaltene Tongefäße, die an kleine Karaffen erinnern. Andere haben ihre Entdeckungen angeblich in Bares umgewandelt – so wurden aus Goldperlen mit der Zeit japanische Pick-Ups oder zweigeschossige Häuser. Und einige der Schätze haben, so sagt man, tatsächlich den Weg in Museen geschafft!

Gesprochen wird über dieses Thema: Die Yumbo und ihre Schätze kaum. Ich habe in der letzten Zeit recht viel dazu gefragt und ein wenig nachgebohrt – doch wirklich gerne scheinen nur sehr wenige darüber zu sprechen. Hat der Fund alter Schätze seinerzeit zu Missgunst unter den Familien Pucarás geführt? Hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben, was mit den Kostbarkeiten zu tun sei? Haben sich möglicherweise einige Beteiligte auf Kosten anderer bereichert? Fand vielleicht für eine kurze Zeit ein wahrer Goldrauschs hier statt, mit all der Gier und Spekulation und List – und haben seine Nutznießer inzwischen ein schlechtes Gewissen?

Wenn es tatsächlich so einfach ist, auf Keramik und Schmuck der Yumbos zu stoßen – warum versucht niemand, damit Geld zu verdienen? Peter erzählte mir zu Beginn meiner Zeit hier, dass er jedes Mal, wenn er auf dem Acker arbeite, zumindest auf Tonscherben stoße. In Otavalo werden jeden Samstag Eisen- und Tongegenstände verkauft, von denen ich inzwischen gar nicht mehr glaube, dass es sich dabei nur um billige Imitationen handelt: Die Behörden scheint es jedenfalls nicht zu interessieren, dass die präkolumbianische Geschichte Ecuadors besonders gut untersucht wird. Dies könnte bedeuten, dass man Gegenden Pucará etwas genauer unter die Lupe nähme, um professionelle Ausgrabungen zu unternehmen. Und möglicherweise wäre es dann auch nicht so einfach, auf einem Wochenmarkt für wenig Geld an Gegenstände zu gelangen, die alt sind und vielleicht wertvoll – und eigentlich ins Museum gehören!

Als Carolina, die Chefin des Periódico ÍNTAG, die in Pucará lebt, neulich davon erfuhr, dass bei den Arbeiten für die hiesige Kanalisation, angeblich Knochen gigantischen Ausmaßes gefunden wurden und dass einer der Arbeiter sich einen dieser Knochen mit nach Hause genommen hatte, führte sie einige Gespräche im Dorf und setzte schlussendlich soetwas wie die Denkmalschutzbehörde des Landes in Kenntnis: Damit diese komme, um eine professionelle Untersuchung durchzuführen, die den Knochenfunden und den bereits gehobenen Schätzen auf den Grund gehen würde.

Am Donnerstag hätten die Herrschaften in Pucará sein sollen, und wir waren schon sehr gespannt: Würden Archäologinnen und Archäologen nun Tag und Nacht (und vor allem: im Regen) in einer von Absperrband umgebenen Parzelle sitzen und mit Schäufelchen und Pinselchen eine Erdschicht nach der anderen abtragen und dabei eine Mischung aus Jurassic Park und Machu Picchu ans Tageslicht bringen? Stattdessen: Nichts! Niemand kam.

Auf Nachfrage Carolinas teilte man dann mit, dass man gerne dazu bereit sei, Pucará zu besuchen und die Lage zu analysieren – allein, man habe kein Auto und müsse also in Quito abgeholt werden. (Die Staatsdienerinnen und Staatsdiener werden sicherlich nicht schlecht bezahlt, und die einfache Fahrt von Quito nach Pucará kostet drei Dollar sechzig.)

Zu Weihnachten wünsche ich mir einen Yumboschatz, inklusive goldenem Sarkophag vom großen Yumbokönigspaar. Wenn die Damen und Herren vom Instituto Nacional de Patrimonio Cultural nicht aufkreuzen, werde ich mich mit dem Spaten daran machen, die Vergangenheit Pucarás ans Tageslicht zu bringen! Und im Museum wird dann ganz sicherlich nichts davon landen...

sábado, 11 de diciembre de 2010

Neue Familie 4.0

WIE JEDEN MONAT habe ich auch Anfang Dezember wieder einmal meine Gastfamilie gewechselt. Nun lebe ich etwa zwanzig Spazierminuten unterhalb von Pucará. Meine Gasteltern sind Jaime Jativa, 53 Jahre alt, und seine Frau Ceyda, 39 Jahre alt und im vierten Monat schwanger. Meine Gastgeschwister sind Gabriela, 14, Francisco, 12, Narcisa, 11, Ruth, 7, Diego, 4 und Pamela, 2 1/2. Die Namen der beiden Hunde, die eingangs ziemlich aggressive waren, habe ich mir nicht gemerkt.

Nach knapp einer Woche in der Familie Jativa fühle ich mich schon sehr wohl: Alle sind neugierig und unterhalten sich gerne mit mir, und die Kinder sind sehr lebhaft und lustig – einfach nett. Einmal habe ich mich sogar dazu bewegen lassen, mir mit der Familie die allabendliche novela anzusehen, eine wahnsinnig kitschige und übertriebene Fernsehserie: Das Angebot konnte ich einfach nicht ausschlagen, so nett wie ich gefragt wurde!

Dass die Familie so nett ist, macht einiges wett. Dass es keine Dusche gibt und ich mich mit einem Eimer wasche, zum Beispiel. Oder dass der Weg hierher beim momentanen Wetter eine einzige Schlammschlacht ist. Oder dass es hier kein Waschbrett gibt, sondern nur zwei eher weniger als mehr zum Waschen geeignete Steine. Und dass ich hier erstmals seit inzwischen immerhin vier Monaten wirklich zerstochen werde. Ob es sich bei meinen Peinigern um Flöhe handelt oder um Mücken, weiß ich nicht – ich hoffe auf Letzteres, gehe aber davon aus, dass meine Hoffnungen umsonst sind. (Und wenn es die Flöhe sind – dann werde ich eben noch drei oder vier Wochen gebissen werden, bevor sich auch das gibt...)

Don Jaime und Doña Ceyda sind sehr zuvorkommend und begegnen sich gegenseitig sehr respektvoll. Sie siezen sich trotz der zahlreichen Jahre, die sie nun schon miteinander leben. Auch ihre Kinder siezen sie, und mich sowieso: Ich werde nur von sehr wenigen Personen hier geduzt, was mir aber kaum noch auffällt, weil man sich hier grundsätzlich eher siezt. (Selbst viele Hunde werden gesiezt...) Trotz der kurzen Zeit, die Don Jaime in der Schule verbrachte – vier Jahre sollten genügen – ist mein Gastvater scheinbar sehr gebildet im Gegensatz zu vielen Personen, mit denen ich bisher in Kontakt kam: Er weiß zumindest grob Bescheid über viele politische und historische Ereignisse und scheint sich durchs Lesen gebildet zu haben, was ihn zu einem sehr angenehmen und interessanten Gesprächspartner macht. Doña Ceyda ist eher zurückhaltend und springt Jaime vor allem dann zu Seite, wenn ich Fragen zu bestimmten Rezepten oder anderen Haushaltsthemen habe.

Gabriela (Gabi), die Älteste, lebt zur Zeit offenbar nur für den Haushalt. Sie hat die Grundschule vor zwei Jahren beendet und hatte danach die Möglichkeit, auf die weiterführende Schule nach Apuela zu gehen, was sie jedoch ablehnte: Alleine wollte sie das nicht. Bis sie im kommenden Frühjahr wieder zur Schule geht – Narcisa (Nacha) steht kurz vor dem Ende der siebenjährigen Grundschule und wird bald mit Gabi nach Apuela fahren –, wird sie weiterhin ihre Mutter unterstützen, kochen, waschen, für Ruhe sorgen. Aufgrund ihrer Beschäftigung wirkt sie auf mich gar nicht wie eine Jugendliche, die mitten in der Pubertät steckt...

Nacha, Francisco (Pancho) und Roth gehen zur Schule in Pucará. Die beiden älteren sind einerseits sehr lustig und lachen über jedes Späßchen, wirken andererseits aber auch oft ernst und ruhig – ganz anders Ruth, Diego und Pamela, die viel spielen und lärmen und oft einen witzigen Anblick bieten.

Ganz anders war das in meiner letzten Familie: Dort sprach ich ausschließlich mit meiner Gastmutter Gloria, weil deren Mann Lauro meistens in seinem Zimmer war und fernsah und die Kinder mich zwar oft mit großen Augen ansahen, aber sofort hinter irgendeiner Wand oder hinter ihrer Mutter verschwanden, wenn ich sie etwas fragte. So ganz behagte mir das nicht, und besser wurde das etwas seltsame Bild von diesen Kindern auch nicht, als man mir sagte, dass sie immer (!) so seien. Ob das mit dem zusammenhängt, was man mir über Lauro erzählte: dass er Gloria früher immer wieder ziemlich vermöbelt habe, weiß ich nicht. Und ich werde es auch nicht erfahren, nehme ich an.

Abgesehen von meiner neuen Gastfamilie und dem unerhört schlechten Wetter ist in Pucará alles wie immer. Ich halte mich mit kleinen Arbeiten und ausgiebigem online-Zeitunglesen über Wasser. Außerdem werde ich möglicherweise bald in der Fußballmannschaft Pucarás spielen, wenn man mich denn lässt: Ich habe Noppen- und keine Stollenschuhe, was angeblich dazu führen wird, dass man mir keine Spielerlaubnis erteilt. Auch müsse ich die ecuadorianische Staatsangehörigkeit besitzen, wie behauptet wird. Wir werden sehen!

Am Montag kommt Karen nach Pucará und wird eine Woche hier bleiben. Karen kenne ich bisher nur aus eMails: Sie möchte Pucará und dessen Einwohnerinnen und Einwohner kennenlernen und wird Spanischunterricht in der Spanischschule nehmen. Meine Aufgabe wird es sein, sie vormittags mit Arbeit zu versorgen, was mich schon jetzt vor Rätsel stellt. Aber auch da wird sich eine – hoffentlich vernünftige! – Lösung finden.

Heiligabend werde ich aller Voraussicht nach mit ein paar Freiwilligen hier in Pucará verbringen. Ich werde also fast den gesamten Monat hier sein und nicht, wie im November, wöchentlich abhauen. Das tut mir bisher sehr gut: Es macht Freude, täglich die Ruhe hier zu genießen und mit den Menschen hier über Gott und die Welt zu sprechen! Und jedes Wochenende wird der neue Bundesligastartrekord ausgebaut: Da muss die Laune ja bestens sein!

miércoles, 8 de diciembre de 2010

Música

AM LETZTEN WOCHENENDE fuhr ich nach Quito, um dort zumindest einen Teil der diesjährigen fiestas de Quito mitzuerleben. Genauer gesagt hatte ich es auf das Konzert der Calle 13 abgesehen, die aus Puerto Rico eingeflogen werden sollten, um im Süden der ecuadorianischen Hauptstadt zu spielen. Abgesehen davon, dass mir die Musik von Calle 13 ohnehin gut gefällt, hielt ich den Besuch des Konzerts für nötig, da ich unter der Musik, die ich hier allerorten auf die Ohren bekomme, inzwischen ziemlich zu leiden habe. Die immergleichen San Juanitos fand ich während meiner ersten Tage im Land zwar noch ganz nett, bin ihrer aber doch sehr rasch überdrüssig geworden. Auch die stets sehr schnulzigen Bachatas konnte ich eingangs noch ganz gut anhören, weil sie mich immer wieder an Nicaragua denken ließen, wo sich Bachatas ebenso großer Beliebtheit erfreuten. Doch mit der Zeit habe ich einfach nicht mehr nachvollziehen können, weshalb es hier nicht, ähnlich wie in Europa, unterschiedliche Geschmäcker gibt, sondern einen einzigen Einheitsbrei! (Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, also Menschen, die den ecuadorianischen Mainstream nicht mehr ertragen und sich anderen Musikgenres widmen – aber die stellen eine verschwindend kleine Minderheit dar!) Besonders krass fiel mir das in Quito auf: Dort trafen sich im Rahmen der fiestas sehr viele Jugendliche auf der Straße, um gemeinsam zu tanzen und zu trinken. Wer ein Auto hatte, brachte dieses mit, öffnete sämtliche Türen und stellte die Musik auf volle Lautstärke. Es reihte sich also eine Unzahl von Autos aneinander, jedes mit einem anderen Lied, sodass die Tanzenden ihre liebe Mühe hatten, nicht von der Musik aus den benachbarten Fahrzeugen aus dem Takt gebracht zu werden. Bemerkenswert und schrecklich zugleich fand ich, dass aus ausnahmslos allen Autos Lieder ein und desselben Genres dröhnten: Reggaeton! Die Texte sich dem Reggaeton zugehörig fühlenden Interpreten sind häufig frauenverachtend und propagieren einen Lebensstil, in dem Geld, Autos und Drogen eine wichtige Rolle spielen. Das ist zwar in diesem Video einer aufstrebenden HipHip-Crew aus Berlin nicht viel anders – dennoch sei an dieser Stelle ein wenig Werbung für die mir nicht ganz unbekannten jungen (Damen und) Herren gemacht!

Zurück zu Quito.
Beim Länderspiel zwischen Ecuador und Venezuela, das ich mit Julian vor wenigen Wochen besuchte, kam ich mit einem quiteño ins Gespräch, der mir anbot, bei ihm wohnen zu können, wann immer ich nach Quito komme. Dieses Angebot wollte ich nicht ablehnen, sodass ich mich, gemeinsam mit Marco und Polly, bei Luis, so der Name des jungen Mannes, einquartierte. Luis ist Besitzer eines kleinen Schwimmbades mit Sauna etwas südlich des Stadtzentrums. Sein Unternehmen ist im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes untergebracht, der Rest des Hauses steht noch leer: Luis und dessen Eltern haben vor, dort ein Hotel einzurichten. Bis dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, werden die oberen Stockwerke wohl weiterhin wahlweise Baustelle oder Gästezimmer sein.

Am Freitagabend fuhren wir zu viert Richtung Flughafen und liefen von dort an der plaza de toros, der Stierkampfarena, vorbei zu dem Reggaeton-Auto-Straßenfest. Um die Stierkampfarena herum war sehr viel los, wobei das Publikum etwas ungewöhnlich war: Menschen in Abendgarderobe, die gar nicht erst zu verstecken versuchten, dass es ihnen finanziell nicht allzu schlecht geht. Warum auch, bei Eintrittspreisen von sechzig und mehr Dollars? Das Straßenfest war interessant anzusehen: Überall die Autos mit der immergleichen Musik, tanzende und betrunkene Menschen überall, und so viele Fußgänger auf der Straße, dass für andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer kein Durchkommen mehr war. Spektakulär wirkten die Flugzeuge, die dicht über den Köpfen der Menge den Flughafen anflogen!

Am Samstag habe ich es endlich geschafft, Julika zu treffen. Die kenne ich seit ungefähr zwanzig Jahren und wir hatten uns vorgenommen, uns einmal zu treffen hier in Ecuador: Julika ist ebenfalls über »weltwärts« in Ecuador und arbeitet im Norden Quitos. Mehr zu ihrer Arbeit ist hier nachzulesen. Am Abend fuhren wir dann in den Süden, zum Konzert von Calle 13 in Quitumbe. Die Busse dorthin waren restlos überfüllt, es wurden Lieder von Calle 13 angestimmt, auf den Busfahrer angestoßen – die Stimmung war hervorragend! Allerdings hatten wir alle Angst, dass das Konzert schon so überfüllt sein würde, dass keinen weiteren Besucherinnen und Besuchern mehr Einlass gewährt werden würde. Doch diese Sorge war unbegründet: Wir fanden noch Platz auf dem Festivalgelände, wenngleich wir nicht sehr nah an die Bühne herankamen.

Das Konzert an sich war schön. Die Stimmung war jedoch eher trist: Die Pausen zwischen den Stücken wirkten wie Schweigeminuten, und beim Anblick der Menschen um mich herum hätte ich meinen können, dass jegliche Art von Bewegung verboten wäre. Doch was die Band auf der Bühne bot, entschädigte uns voll und ganz für die Fahrt nach Quito: Residente, der Sänger der Band mit dem bürgerlichen Namen René Pérez, sprach, wie das seine Art ist, viel über Politik, Unterdrückung, Medien, Propaganda – und sorgte für die eine oder andere lustige Einlage. Nach knapp zwei Stunden war das Konzert zu Ende und ich mit den Kräften am Ende, aber zufrieden.

viernes, 3 de diciembre de 2010

Entren los que quieran

DIE LETZTE VOLKSZÄHLUNG in der Bundesrepublik Deutschland fand neunzehnhundertsiebenundachtzig statt, der bislang aktuellste Zensus in der ehemaligen DDR wurde sogar sechs Jahre früher durchgeführt. Es existieren derzeit also keine exakten Daten über die Einwohnerzahl und die genaue Zusammensetzung der Bevölkerung Deutschlands. Wegen fehlerhafter oder fehlender Angaben von Emigranten sowie nicht registrierter Einwanderer weicht die tatsächliche Bevölkerungszahl wohl im einige hunderttausend von der Zahl ab, die in Almanachen und Statistiken zu lesen ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland sich seit über zwanzig beziehungsweise knapp dreißig Jahren die Volkszählungen spart, weil allein die in Westdeutschland durchgeführte umgerechnet rund eine halbe Milliarde (!) Euro gekostet hat, mag es verwunderlich erscheinen, dass Ecuador sich alle zehn Jahre eine derartige Aktion leistet! Am vergangenen Sonntag war es wieder einmal so weit: Der groß angekündigte censo 2010 hatte schon im Voraus für Aufregung gesorgt, da die gesamte Bevölkerung dazu aufgerufen wurde, von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr am Nachmittag zu Hause zu verweilen, keinen Alkohol zu trinken – die ley seca, das »trockene Gesetz« war von Freitagnacht bis Montag um null Uhr in Kraft – und abzuwarten, bis die Volkszähler vorbeikommen. Mit dem Zählen und Befragen waren vor allem Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen und deren Lehrer beauftragt. So ganz genau kann ich jedoch nicht wiedergeben, was da gefragt wurde: Ich saß den ganzen Tag lang in der kältesten und dunkelsten Wohnung Ecuadors, die ein paar Freiwillige in Otavalo mieten, und wartete vergeblich darauf, meine Angaben machen zu dürfen.

Dem Vernehmen nach wurden alle Menschen gefragt, welchem Geschlecht und welcher ethnischen Gruppe sie sich zugehörig fühlen (!), wie alt sie sind, welchen Bildungsgrad sie erreicht haben, wie viel sie verdienen, welche Sprachen sie sprechen und dergleichen noch viel mehr. Interessant finde ich, dass man bei den beiden ersten Fragen nicht von den Zählerinnen und Zählern eingeordnet, sondern tatsächlich gefragt wurde. Peter, der weißeste Einwohner Pucarás, hat angeblich angegeben, schwarz zu sein beziehungsweise sich schwarz zu fühlen. Und für solche Scherze liegt dann das Leben in einem ganzen Land einen Tag lang flach, wird wahrscheinlich die Hälfte der Entwicklungszusammenarbeitgelder eines Jahrgangs ausgegeben.

Das lange Warten war etwas lästig, zumal es offensichtlich umsonst war. Aber auszuhalten war es auf alle Fälle. Was mich wirklich erschrocken hat, war der Círculo de lectores – teatreros gestern: Die Kinder hatten sich gewünscht, wieder ein Theater mit Handpuppen zu machen. Das wollte ich ihnen nicht verwehren – sie aber auch nicht, wie die letzten Male, improvisieren lassen: Dabei kamen bisher immer Wrestlingkämpfe zwischen Eseln und Schafen zustande, was ich nicht sonderlich geistreich fand. Also stand gestern das Ausdenken eines »Drehbuches« auf dem Programm. Und das funktionierte gar nicht: Die Kinder haben behauptet – und ich glaube ihnen das sogar –, dass sie weder in der Schule noch sonst wo jemals eine Geschichte erfinden mussten! Da ist es eine fast unmögliche Aufgabe, sich ein Theaterstück auszudenken! Ich war danach wirklich erschrocken und ein wenig niedergeschlagen, wie wenig Fantasie die Kinder besitzen. Dass sie nie in diese Richtung gefordert geschweigedenn gefördert wurden. Wir haben alle noch einen langen Weg vor uns, und ich hoffe, dass diese Arbeit in den nächsten Jahren weitergeführt wird, damit die Kinder Pucarás eine Möglichkeit haben, ihre Fantasie zumindest ein wenig auszubilden!

Seit dem neunundzwanzigsten November finden in Quito die fiestas de Quito statt, die ich am Wochenende besuchen werde. Mein persönliches Highlight wird das Konzert der puertoricanischen Band Calle 13 sein. Nach dem Wochenende werde ich davon berichten. Und von der ecuadorianischen Musikkultur... Bis dahin: Schönes Wochenende!

jueves, 25 de noviembre de 2010

Von Affen und Schamanen

WIEDER IN PUCARÁ geht es ziemlich genau da weiter, wo es aufgehört hat: Es regnet, ist relativ kalt und sehr, sehr grau. Was aussieht wie der Herbst in Deutschland, ist der ecuadorianische Winter. Zum Glück konnten Julian und ich dieser ungemütlichen Jahreszeit ein wenig entfliehen!

Nach zwei komplett verregneten Tagen in Quito brachen Julian und ich am Dienstagmittag nach Baños auf: Dieses Städtchen liegt rund drei Stunden südöstlich von Quito und wird wegen seiner heißen Quellen gerne von (Rucksack-)Reisenden besucht. Auch seine Lage zwischen der sierra und dem Amazonastiefland hat ihm zu einem Stammplatz auf der Route Ecuadorreisender verholfen. Wir fuhren dort hin, um dem winterlichen Quito zu entfliehen – und wurden wettertechnisch leider nicht belohnt. Immerhin: Die Fahrradtour Richtung Puyo führte uns durch die Pastaza-Schlucht Richtung Amazonastiefland und immer wieder boten sich uns tolle Blicke ins tief in die Berge eingeschnittene Tal. Am Ende unserer Tour konnten wir noch einen ersten Blick auf die Amazonasebene erhaschen, bevor der Regen einsetzte und wir den nächsten Bus zurück nach Baños nahmen.

Nach der kleinen Radtour ging es ziemlich direkt nach Quito zurück. Dort wartete ein etwas stressiges Programm auf uns: Wir mussten unser Gepäck im Hostal in der Altstadt abholen, es bei dem Busunternehmen, das uns später nach Lago Agrio bringen sollte, abgeben und dann zum Stadion fahren, in der Hoffnung, noch Eintrittskarten zu bekommen: Des Freundschaftsspiel der ecuadorianischen Nationalmannschaft gegen Venezuela stand an, und wir wollten uns dieses Event nicht entgehen lassen!

Für zehn Dollar haben wir Karten für die Gegentribüne bekommen, und beim Schlangestehen vor den ziemlich nachlässigen Kontrollen wurden wir von zwei jungen Ecuadorianern angesprochen, mit denen wir uns während des Spiels gut unterhielten und die bei meinen nächsten Quitofahrten eine Anlaufstelle sein könnten, wenn ich das Leben in Hostals leid bin. Das Spiel fing unterhaltsam an, und nach gefühlten drei Minuten stand es bereits zwei zu null für die gasgebende Mannschaft. Bis zur Halbzeit fiel noch ein weiterer Treffer für die Heimmannschaft, und nach dreiundneunizg Minuten stand es vier zu eins.

Bemerkenswert waren die Verkäuferinnen und Verkäufer im Stadion: Während des gesamten Spiels liefen sie durch die Ränge und priesen ihre Waren lauthals an: Bier, Softdrinks, empanadas, Bonbons, Chips, Zigaretten. Ansonsten war die Stimmung eher mittelprächtig. Die Tribünen waren beiweitem nicht ausverkauft, wie es bei einem unbedeutenden Freundschaftsspiel und bei diesen Witterungsverhältnissen, noch dazu unter der Woche und abends, wohl weltweit zu erwarten gewesen wäre.

Später an diesem Abend stiegen Julian und ich in den Bus der Trans Esmeraldas, der uns in den oriente bringen sollte, genauer: nach Lago Agrio, im Nordosten des Landes, unweit der kolumbianischen Grenze. Die achtstündige Nachtfahrt war schrecklich, der Fernseher unglaublich laut und der Film – »Papá se volvió loco« – unglaublich schlecht. Immerhin: Als wir am Folgetag um halb sieben Uhr morgens in Lago Agrio ankamen, schien die Sonne! Und es war warm.

Nach dem Frühstück wurden wir und zwölf weitere Touristen von Mariana abgeholt: Die sollte für die folgenden fünf Tage unsere Führerin sein und uns sicher durch den Dschungel bringen. Doch zunächst standen zweieinhalb weitere Stunden im Bus an. Wir fuhren bis zur Cuyabeno-Brücke, wo unser Gepäck und wir in motorisierte Kanus verfrachtet wurden. Nun ging es zwei Stunden auf dem Cuyabeno-Fluss stromabwärts bis zu unserer Lodge. Unterwegs war das dichte Grün des Dschungels zu bestaunen, das leuchtende Blau der Schmetterlinge, das ununterbrochene Gezwitscher verschiedener Vögel. Auch Affen konnten wir beobachten, um sogar die rosafarbenen Flussdelfine konnten wir entdecken. Die Bootsfahrt durch den Dschungel war aufregend: Wir waren von Wasser, dem Grün des Urwaldes und der vielseitigen Klangkulisse, für die die Dschungelbewohner sorgten, umgeben. Keine Strommasten, keine Häuser, keine Straßen, keine Verkehrsgeräusche. Nur der Dschungel und wir!

Unsere Gruppe bestand aus zehn Menschen. Neben uns nahmen eine pensionierte Lehrerin und ihre Tochter aus Texas, ein australisches Paar und vier Freiwillige aus Australien an der Tour teil. Ein Schwede, eine Deutsche und zwei Deutsch-Spanierinnen, die zuvor mit uns im Bus zur Brücke gefahren waren, waren einem anderen Guide zugeteilt worden. Wir waren in einer Lodge am Ufer des Cuyabeno unterbracht: Zwei Holzhäuser mit Einzel- und Doppelzimmern und ein Küchen- und Esszimmerpavillon, jeweils aus Holz und mit Palmblättern gedeckt, machten die gesamte Anlage aus. Zwei Solarpaneele sorgten für die nötige Stromversorgung in der Küche, in den Zimmern mussten Taschenlampen und Kerzen herhalten. Das Wasser kam aus (Regen-)Wassertanks, die Wasserpumpe wurde ebenfalls aus den Solarpaneelen gespeist. Abgesehen von den verwendeten Materialien und der Form der Energiegewinnung wurde hatte ich nicht den Eindruck, dass die Lodge ihrer Bezeichnung gerecht werden könnte: Eco Lodge. Alles, was uns im Laufe unseres Aufenthaltes aufgetischt wurde, war in Quito und Lago Agrio eingekauft und dann mit dem Boot durch den Urwald geschippert worden! Beschweren möchte ich mich aber nicht: So gut hatte ich bis dato noch nicht gegessen in Ecuador!

Am ersten Abend fuhren wir mit unserem Motorkanu, in dem die gesamte Gruppe Platz fand, an die Laguna Grande, um eine Runde zu schwimmen und um den Sonnenuntergang zu betrachten. Das war wunderschön: Ein Sonnenuntergang wie auf einer zu kitschigen Postkarte, dazu die ganzen fremdartigen Geräusche aus den Bäumen, die um die Lagune herum und in der Lagune wachsen!

Am zweiten Tag, dem Freitag, stand ein Spaziergang durch den Dschungel an. Wir bekamen große Bäume und kleine Pilze zu sehen, giftige Frösche und farbenfrohe Insekten. Besonders die »Zitronen-Ameisen« fand ich spannend: Die schmeckten nach Zitrone, sagte Mariana – und schon waren wir alle am Ameisenessen! Abgesehen von der Ameise, die mir in die Zunge biss, hat sich der Snack gelohnt; die Ameisen schmeckten tatsächlich nach Zitrone! Nach etwas mehr als zwei Stunden kamen wir zum Boot zurück, um wieder in die Lodge zu fahren. Der Spaziergang war einerseits interessant gewesen – andererseits fand ich es befremdlich, dass wir mitten im Dschungel auf einem Trampelpfad herumliefen, an dem sich die Heilpflanzen reihten wie an einem Waldlehrpfad. So ganz unberührt und wild war das alles nicht. Aber vermutlich war es auch sehr naiv gewesen, so etwas zu erwarten: Wo es eine Lodge gibt und derart organisierte Reisen, muss eine gewisse Touristeninfrastruktur vorhanden sein...

Nachmittags fuhren wir mit Angeln ausgestattet erneut zur Lagune: Wir angelten Pirañas! Die sind nach Marianas Informationen gar nicht so aggressiv und gefährlich, wie ich es aus Dokumentationen gekannt hatte. Von Killermaschinen, die jeden Schwimmer innerhalb weniger Sekunden komplett verschlingen und in Boote springen, um deren Besatzung zu verspeisen kann also keine Rede sein. (Wir hielten jedoch an dieser Vorstellung fest, um den Nervenkitzel nicht zu verlieren!) Julian, der sich schon lange auf diesen Programmpunkt gefreut hatte – ich glaube fast, er kam nur deshalb nach Ecuador! – war dann auch der erste mit einer Piraña am Haken! Auch der zweite Fang sollte seiner sein, dieses Mal allerdings ein Katzenfisch. Alle Fänge wurden wieder in den Cuyabeno geschmissen: Kleine Pirañas bieten nicht ausreichend Fleisch zum Verzehr, und die großen sind oftmals mit Parasiten verseucht, sodass sich der Genuss des Pirañafleisches heftig auf die Gesundheit des Genießers oder der Genießerin auswirken kann...

Den Sonnenuntergang sahen wir erneut vom Wasser aus: Wir fuhren in einen Seitenarm des Cuyabeno, beobachteten Kormorane und andere Vögel und fuhren dann zu den Stellen, an denen Mariana und unser Fahrer Kaimane vermuteten. Leider sollten wir nicht das Glück haben, Kaimane aus der Nähe betrachten zu können. Das hatte vor allem zwei Gründe: Den hohen Wasserstand des Flusses, der es den Echsen erlaubt, sich tief ins Gestrüpp zurückziehen zu können und den Vollmond, der den Reptilien den Schutz der Dunkelheit nahm und sie so daran hinderte, ihre Verstecke zu verlassen.

Den Samstag nutzten wir, um eine Gemeinde stromabwärts zu besuchen. Wir bekamen gezeigt, wie das Yuccabrot hergestellt wird, eine Art geschmackloser und weißer Pfannkuchen und in Deutschland zurecht unbekannt. Viel aufregender als diese etwas bizarre, weil wie Routine wirkende Vorstellung – wir waren ja nicht die erste Gruppe dort... – war Nacho: Das ist der Affe des Dorfes! Ein Dorfbewohner hatte ihn auf dem Markt in Lago Agrio gekauft, um ihn in die Freiheit zu entlassen, was nicht den Plänen des jungen Affen zu entsprechen scheint: Er bekommt Nahrung im Dorf und viel Aufmerksamkeit von den Touristengruppen, sodass er das Leben bei den Menschen dem in der Wildnis vorzieht. Mittlerweile dürfte es eh unwahrscheinlich sein, dass Nacho noch fähig ist, in freier Wildbahn zu überleben.

Im Anschluss ans Yuccabrotbacken und ans Spielen mit Nacho versuchten Julian, drei der Australianer und ich uns im Fußballspiel bei viel zu hohen Temperaturen gegen die Dorfbewohner und unseren Fahrer. Am Ende siegte die Heimmannschaft mit sieben zu fünf, und wir waren vollkommen erledigt. Doch ein Bad im Fluss, in sich außerdem (bestimmt) Pirañas, Kaimane und Flussdelfine tummelten, konnte uns einigermaßen wiederherstellen.

Der letzte Teil unserer Exkursion führte uns zu einem Schamanen. Der scheint sich vorrangig von Ayahuasca (yahé), einem Trank, der Halluzinationen hervorruft, und guando (Engelstrompete) zu ernähren, um sich mit den Tieren, den Pflanzen, der Erde, dem Himmel und allem Anderen in Verbindung zu setzen und um in der Lage zu sein, die Krankheiten seiner Patientinnen und Patienten zu erkennen. Dass er tatsächlich immer so anzutreffen ist, wie wir in kennenlernten: Mit Federschmuck, roter Schminke im Gesicht und vielen Ketten um den Hals, bezweifle ich. Auch hier vermute ich, dass für die Touristen ein wenig getrickst und gemogelt wird. Verfälschung für die Authentizität, oder so.

Eine wichtige Beschäftigung für den Schamanen stellen die Gruppen dar, die in den Dschungel fahren, um Ayahuasca auszuprobieren. Eine russische Gruppe hatte den weiten Weg nach Ecuador auf sich genommen, um den Schamanen am Cuyabeno zu treffen: Der fertigte den Trank nach der traditionellen Machart an, stellte die Räumlichkeit zu Verfügung, führte eine Zeremonie durch und verabreichte seinen Kundinnen und Kunden den Sud. Für eine solche Prozedur werden pro Person rund siebzig Dollar verlangt – eine beträchtliche Summer, tief im Dschungel, wo es kaum Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben! In oder bei Otavalo gibt es jedes Jahr ein Treffen mit drei Schamanen aus drei Ländern und den dementsprechenden Ayahuascasorten. Die Teilnahme ein diesen Treffen kostet rund dreitausend Dollar – wenn man Glück hat, bekommt man angenehme Halluzinationen, mit etwas Pech übergibt man sich die ganze Nacht lang.

Mariana hat uns ein wenig von ihren Erfahrungen berichtet. Ayahuasca sei sehr angenehm, abgesehen vom Erbrechen vor dem Rausch. Das sei jedoch nötig und sorge für die Reinigung des Körpers. (Als Symptome einer Vergiftung des Organismus durch das Rauschgift wollte sie das Erbrechen nicht deuten.) Der Rausch bestehe dann aus verschiedensten Halluzinationen, akustischer und optischer Natur. Jedoch sei man immer in der Lage, zwischen »Vision« und Wirklichkeit zu unterscheiden. Nach wenigen Stunden ende die Wirkung des Ayahuasca, »hängen bleiben« könne man darauf nicht. Anders sei die Engelstrompete: Die rufe sehr starke Halluzinationen hervor, die manch einer den Rest des Lebens nicht mehr loswürde. Außerdem könne der Rausch vierundzwanzig Stunden und mehr anhalten. Das Einnehmen des guando ist Bestandteil der Ausbildung zum Schamanen.

Den Sonntag verbrachten wir damit, im Fluss zu schwimmen und später auch in der Lagune. Regen hatte eingesetzt und zwang uns dazu, den Tag sehr ruhig zu verbringen. Das war uns recht – wir hatten uns an unsere wilde Umgebung gewöhnt und waren weder von Affen noch von Flussdelfinen wirklich zu beeindrucken. Wie schnell das geht!

Am Montagvormittag fuhren wir zur Brücke zurück und von dort nach Lago Agrio. Dort war ein Bus nach Quito zur Abfahrt bereit, und wir erreichten die Hauptstadt gegen zehn Uhr am Abend. Mit den Deutsch-Spanierinnen und mit Águeda und Marco, die in der Zwischenzeit im Dschungel angekommen waren und mit einer anderen Gruppe vier Tage ein ähnliches Programm absolviert hatten, fuhren wir in ein schönes Hostal in der Altstadt, um dann in die Ronda zu gehen, die angeblich älteste Straße Ecuadors: Hier wollten wir auf meinen Geburtstag anstoßen, der am Dienstag auf dem Kalender stand. Das Unterfangen gestaltete sich schwieriger als erwartet, zu dieser Zeit hatte am Montagabend fast keine Bar mehr geöffnet! Nach einem Bier brachen wir bereits den Heimweg an, der Mann hinterm Thresen machte Feierabend.

Am Dienstag verabschiedeten wir Águeda, die inzwischen wieder in Galizien sein müsste. Auch von den anderen Reisenden verabschiedeten wir uns. Wir drehten eine kleine Runde durch die Altstadt, sahen uns die beeindruckende Compañía de Jesús mit ihren Wänden und Decken aus Gold an und fuhren dann in den Norden der Stadt. Von dort fuhren wir im Bus bis nach Cayambe, um von dort nach Tabacundo zu gelangen. In Tabacundo gibt es eine Farm, auf der zahlreiche Freiwillige arbeiten. Was genau deren Aufgabe ist, weiß ich nicht, Fakt ist aber, dass wir mit ihnen gemeinsam meinen Geburtstag feierten. Ich hatte die nötigen Zutaten für Pizza eingekauft, sodass wir den Pizzaofen der Finca einheizen und ein leckeres Abendessen zu uns nehmen konnten! Nach dem etwas tristen Start in der Ronda in Quito fand mein Geburtstag also noch ein sehr nettes und unterhaltsames Ende...

Mittwochs fuhren Julian und ich nach Otavalo und von dort nach Pucará. Dort wartete, ich habe es bereits erwähnt, schrecklichstes Herbstwetter auf uns: Nebel und Regen und Kälte! Es liegen nur noch wenige gemeinsame Tage in Ecuador vor uns, am Samstag reist Julian nach Nicaragua weiter. Aber wir werden das beste aus der verbleibenden Zeit machen!

miércoles, 17 de noviembre de 2010

November Rain

AUCH IN ECUADOR gibt es einen richtigen November: Seit einer Woche regnet es. Die Tristesse fing am letztem Dienstagnachmittag mit einem bemerkenswerten Wolkenbruch an und führte zunächst dazu, dass der Círculo de lectores - teatreros mit rund zwei Stunden verspätung begann: Bei dem Regen trauten sich die Kinder nicht aus den Häusern.

Die Woche verlief dann unaufregend, Neues gibt es kaum zu berichten. Am Freitag fuhr ich wieder nach Otavalo und traf mich dort mit Polly und vielen der anderen Freiwilligen. Ich weiß nicht, weshalb, aber irgendwie kam es dazu, dass wir in einer der Discos OOtavalos endeten. Salsa, Merengue und Reggaeton allenthalben...

Am Samstag fuhr ich mit Polly nach Quito: Dort sollte am Sonntag Julian ankommen. Doch zunächst erfuhr meine Vorfreude auf den Besuch und meine Fröhlichkeit bezüglich der neuesten Fußballresultate einen Dämpfer. Im Bus hatte mich beim Einsteigen ein junger Mann darauf hingewiesen, dass ich meiner großen Rucksack nicht in die Gepäckablage, sondern unter meinem Sitz verstauen solle. Gesagt - getan. Im Bus schlief ich irgendwann ein, als wir in Quito ankommen, ahnte ich nichts Böses. Erst im Hostal stellte ich fest, dass Wasch- und Geldbeutel fehlten. Im Laufe der Zeit bemerkte ich auch das Fehlen von Regenponcho, Pulli, Gürtel. Das ist alles nicht so wichtig, wobei dreihundert Dollar schon ein Batzen Geld ist, auf den ich nicht unbedingt verzichten wollte. Aber Ärgerlich ist, dass ich auf den Dieb reingefallen bin, der in aller Ruhe den Rucksack öffnen, leeren und wieder schließen konnte. Blöd auch, dass alles, was ich hier nun nachkaufen muss - wie bei dem Wetter eine Regenjacke - von übelster Qualität ist. Regenschirme, die sich nach drei Wochen auflösen, Regenjacken, die nur nach Weichmacher riechen, sich dem Körper aber ungefähr so anpassen wie eine Ritterrüstung...

Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder aufgefordert werde, meinen Rucksack unter den Sitz zu packen: Das wird ein Spaß, den ich mir noch genauer (und gemeiner) ausdenken muss!

Am Sonntag kam dann Julian an. Die letzten zwei Stunden davor war ich zu nichts zu gebrauchen, hauptsächlich aufgekratzt und ziemlich überdreht. Was ist das aber auch für ein Ereignis: Mit ehemaliger Nicaraguakollege und nun sehr guter Freund kommt mich in Lateinamerika besuchen und wir haben zwei Wochen Zeit, um das Land zu bereisen und unsicher zu machen!

Nach der langen Reise war der Herr verständlicherweise erschöpft, sodass außer einem guten Abendessen nichts mehr auf dem Programm stand. Am Montag kauften wir unseren Dschungeltrip, von dem ich bald berichten werde und taten ansonsten nicht viel: Der Regen von Quito machte uns einen Strich durch die Rechnung. Am Dienstag fuhren wir nach Baños, stiegen die rund sechshundert Stufen zu einem Aussichtspunkt über dem Ort hinauf und sahen uns den Súper Clásico an, den River Plate mit eins zu null gegen Boca Juniors für sich entschied. Heute werden wir mit dem Rad Richtung/nach Puyo fahren und dann den Rückweg nach Quito antreten: Dort hoffen wir, das Testspiel zwischen der ecuadorianischen und der venezolanischen Nationalmannschaft sehen zu könne; am Montag hatte der Vorverkauf noch nicht begonnen...

Bis dahin - bald gibt's mehr!

miércoles, 10 de noviembre de 2010

Im Zweifel für den Zweifel

ZWEIFEL SIND WICHTIG. Und ich bin überzeugt davon, dass die Menschen, die es tatsächlich schaffen, ein Leben zu führen, ohne sich zumindest manchmal zu hinterfragen und dabei gelegentlich in Sinnkrisen zu landen, irgendetwas verkehrt machen – so angenehm ein Leben ohne Zweifel auch sein mag! Andererseits: Zu viele Zweifel sind vermutlich ebensowenig von Vorteil.

Momentan bin ich wieder sehr am Hadern mit dem, was hier so passiert. Die Situation ist irgendwie verzwickt, und ich kann nicht absehen, wie es weitergehen wird.
Nach wie vor bin ich für die Círculos de lectores – teatreros in Pucará zuständig, dieses Angebot für Kinder, das wir dienstags und donnerstags mit dem Ziel veranstalten, den Kindern das Lesen und Schreiben, das Kreativsein und Präsentieren näherzubringen. Erfolge lassen auf sich warten, was jedoch nicht weiter überraschend ist, wenn man sich ansieht, wie das bisherige Bildungsprogramm aussieht: In der Schule wird vor allem Wert auf Drill gelegt, auf Auswendiglernen und -nachplappern. Kreativität scheint eher bekämpft denn gefordert und gefördert zu werden. Dementsprechend fangen wir bei null an, und die Freiheit, die wir dem Drill vorziehen, wird noch gerne ausgenutzt.

Abgesehen von dieser Tätigkeit, die lediglich an zwei Nachmittagen pro Woche stattfindet, bringe ich mich nach Möglichkeit im Periódico ÍNTAG ein. In der am Sonntag erscheinenden Ausgabe wird erstmals ein Artikel von mir zu lesen sein, und in den kommenden Tagen und Wochen werde ich aller Voraussicht nach wieder Artikel ins Deutsche übersetzen, damit die werte Leserschaft in Deutschland neues aus Íntag nachlesen kann, ohne dabei Spanischkenntnisse bemühen zu müssen. Doch auch die Arbeit mit der Zeitung lastet mich nicht sonderlich aus.

Natürlich könnte ich sagen, dass die aktuelle Situation genial ist: Sie lässt mir genügend Zeit, um die Natur hier in Ruhe beobachten und genießen zu können, um mich mit den Menschen entspannt und angeregt unterhalten zu können, um Ausflüge zu unternehmen und so mehr vom Land kennenzulernen! Und ich versuche auch immer wieder, die Dinge so zu sehen – das Positive zu schätzen und die Zweifel beiseite zu räumen. Allein, es glückt mir nicht wirklich! Ich weiß, dass ich nur auf anderer Leute Kosten hier sein kann und habe den Anspruch, diese Unterstützung irgendwie zurückzuzahlen. Mit einem sinnvollen Projekt!

Es gibt zwei Ideen für meine Arbeit in Pucará, die in meinen Augen Sinn machen.
Die erste ist eine kleine Bücherei. In der alten casa comunal, die seit Jahren leersteht, wäre genügend Platz vorhanden, um eine kleine Bibliothek einzurichten. Dazu müsste dieses Gebäude renoviert und entsprechend eingerichtet werden. Für mich schon allein deshalb interessant, weil ich die Renovierungsarbeiten planen und koordinieren sowie das zukünftige Erscheinungsbild der Bücherei entwerfen könnte – eine tolle Übung für mich als Architekturstudent! Für die Círculos de lectores – teatreros ein geeignetes Umfeld, für die Kinder und Jugendlichen Pucarás eine gute Erweiterung des dürftigen Bildungsangebotes und mittel- bis langfristig Arbeitsplatz für vielleicht zwei pucareños. Die Sache hat jedoch zwei Haken: Der erste ist das Geld. Alleine die Renovierung wird uns rund dreitausend Dollar kosten, hinzu kommen Gelder für Möbel und Bücher, später auch für Arbeitsplätze mit Computer. Durch Plattformen wie betterplanet.com dürfte ein großer Teil dieser Kosten finanziert werden können, und ich hoffe auf Weihnachts-Routine-Spenden aus Deutschland, wenn erst einmal die Werbetrommel gerührt wird. Doch hier ist der zweite Haken: Wir haben noch keine Planungssicherheit. Das Gebäude befindet sich auf dem Schulgelände und gehört somit dem Bildungsministerium. Von dem wollen wir eine Garantie, dass wir das Gebäude nutzen dürfen – um sichergehen zu können, dass wir die Kosten für die Renovierung zahlen und davon auch selbst profitieren können. Sprich: Damit am Ende nicht die Schulleiterin kommt und »ihre« Bibliothek zurückfordert, ohne dafür auch nur einen Finger gekrümmt zu haben. Bevor diese Sicherheit nicht da ist, werde ich nicht um Spenden buhlen. Und solange keine Spenden da sind, können wir mit dem Projekt nicht starten. Leider ist es schwieriger als erwartet, eine Zusage vom Bildungsministerium zu bekommen: Ich selbst kann mich darum nicht kümmern; als Ausländer ohne festen Wohnsitz und ohne Verbindungen zum Ministerium habe ich gar keinen Einfluss, keine Ansprechpartner in der Verwaltung. Carolina, Chefin der Zeitung und große Befürworterin des Projekts, will sich seit Wochen um diesen einen Anruf kümmern. Aber entweder erreicht sie niemanden, weil offenbar nur sehr sporadisch gearbeitet wird im Ministerium, oder sie vergisst ihr Vorhaben. Somit bin ich von Carolina, der Anwesenheit der Behörden und schließlich von deren Unterstützung abhängig.

Die zweite Idee für ein Projekt hier kommt von Peter. Sein Wunsch ist es, die Menschen in Pucará zur Mülltrennung und zum Recycling zu erziehen. Dieses Projekt wurde bereits einmal gestartet – und sofort vergessen, als der damalige Freiwillige Pucará verließ! Peter hat diesen Wunsch jedoch nicht vergessen und würde sich freuen, wenn ich ihn endlich in die Tat umsetzen könnte. Die Idee an sich sagt mir zu: Nicht nur, damit die Einwohnerinnen und Einwohner Pucarás endlich begreifen, dass Plastikflaschen und -tüten schädlich für sie und ihre Umwelt sind, sondern auch, weil sich alleine mit Mülltrennung Geld verdienen lässt, das hier durchaus nötig ist: Es gibt Unternehmen, die Plastikmüll aufkaufen und pro Pfund bezahlen! So könnten wir einen Fonds einrichten, aus dem beispielsweise Medikamente bezahlt werden könnten, die hier bitter notwendig sind: Diabetes, Prostataleiden und Osteoporose sind hier so etwas wie Volkskrankheiten, und gute Medikamente sind Mangelware. Das Problem mit diesem Projekt ist ganz simpel: Peter ist zu selten in Pucará! Ich möchte nicht anfangen, mich in die Thematik einzuarbeiten, die Planung übernehmen und am Ende mit der Gewissheit, dass das Projekt scheitern wird, abreisen. Vielmehr bin ich der Auffassung, dass ich Peter, der ja noch lange zumindest sporadisch hier lebt, nur unterstützen kann. Derzeit würde das aber umgekehrt sein; Peter kann nicht mehr als unterstützend wirken.

Ich kann momentan noch nicht sagen, ob eins der beiden möglichen und möglicherweise sinnvollen Projekte realisiert werden kann. Dementsprechend skeptisch blicke ich den nächsten Wochen und Monaten entgegen. Was, wenn ich weiterhin nur das mache, was ich derzeit tue? Hinzu kommt, dass die kleine Hilfe, die wir hier bieten wollen, oft nicht geschätzt und damit sinnlos wird, wie man am Beispiel der Spanischschule sehen kann: Im Andenbärprojekt sind inzwischen neue Freiwillige, die allesamt kein spanisch sprechen und Interesse an ein paar Spanischstunden haben. Ich habe mich mit ihnen und zwei der vier Lehrerinnen in Verbindung gesetzt und Termine vereinbart: Am Montagabend hätte die erste Stunde stattfinden sollen. Von den beiden Lehrerinnen erschien keine.

Es herrscht also eine Diskrepanz zwischen Reden und Handeln derer, die von der Spanischschule profitieren sollten: Während es keine möglichen Schülerinnen und Schüler gab, wurde ich immer wieder gefragt, wie wir an Arbeit für die Spanischlehrerinnen kommen könnten, um diesen zu Praxis und natürlich Geld zu verhelfen. Und bietet sich endlich die Möglichkeit, Spanischunterricht zu geben, scheitert wieder alles an der Zuverlässigkeit der Lehrerinnen. Dadurch wird meine Lust, den Lehrerinnen hinterherzurennen, Workshops zu organisieren und für Schülerinnen und Schüler zu werben, auch nicht gerade größer...

Zu guter Letzt endet das alles in einem tückischen Teufelskreis: Der Unmut über die Situation vor Ort führt dazu, dass ich nach Möglichkeit nicht in Pucará bin und, wie kürzlich, verreise. Meine Abwesenheit führt dazu, dass gar nichts mehr passiert, was mich bei meiner Rückkehr nach Pucará frustriert und dazu veranlasst, am besten gleich wieder zu verreisen. So ist das zumindest momentan: Nach der Woche an der Küste war ich eine Woche hier, um am vergangenen Wochenende nach Cayambe zu fahren und von dort aus die Thermalbäder von Papallacta zu besuchen. Nun werde ich nur bis Freitag in Pucará sein, weil ich das Wochenende in Quito verbringen werde, wo ich am Sonntag meine große Liebe treffen werde. Julian, mit dem ich in Nicaragua gearbeitet habe und der in Berlin quasi mein Nachbar ist, kommt für zwei Wochen nach Ecuador und wird mich während seiner Anwesenheit von Arbeit und -slosigkeit ablenken. Solange Julian hier ist und Ecuador kennenlernt – von der Reise, die bisher noch nicht geplant ist, werde ich im bald berichten! –, sei allen Leserinnen und Lesern dieser kulturelle Leckerbissen ans Herzen gelegt.

Trotz meines Plädoyers an Anfang dieses Eintrags – im Zweifel für den Zweifel – hoffe ich, dass ihr aufgrund des letzten Absatzes nicht zu sehr an meiner Integrität zweifelt: Irgendwie muss icg mich ja angesichts der ganzen Situation und der Ver-Zweiflung über Wasser und am Lachen halten...

lunes, 1 de noviembre de 2010

Detox before you retox!

EIN PAAR TAGE sind ins Land gezogen seit meinem letzten Blogeintrag. Und es ist viel passiert seitdem!
Zunächst war ich noch mit der Gruppe von Carpe Diem beschäftigt. Am Dienstag fand eine kleine Wanderung statt: Es ging ins Tal an den Fluss, und dem Strom folgend nach Apuela. Während dieser Wanderung wurden junge Bäume eingesammelt, um auf Peters Finca eingetütet zu werden: In nicht allzuferner Zukunft werden diese Bäume auf Peters Finca oder im Gemeindewald eingepflanzt. Ich war an diesem Vormittag nicht mit an Bord: Ich hielt es für eine schlechte Idee, mit Husten und generell etwas geschwächt bei Regen und vergleichweise niedrigen Temperaturen zu wandern.

Am Mittwoch fanden wir uns alle auf Peters Finca ein. Ein Teil der Gruppe war mit dem Eintüten der am Dienstag eingesammelten Bäume beschäftigt, ich war mit dem anderen Teil der Gruppe unterwegs: Wir pflanzten Bäume auf einer Weide, die Peter so bald wie möglich komplett aufforsten möchte. Die Arbeit war nicht sonderlich anspruchsvoll – mit Hacken ausgestattet gruben wir Löcher, in die die Bäume gesetzt wurden. Den vielen großen Spinnen und -netzen auszuweichen, war wohl die größte Herausforderung. Aber: Die körperlich auf Dauer doch anstrengende Arbeit hat sehr gut getan, und nebenbei konnte ich mich gut und nett mit den gringas und gringos unterhalten und so mein Englisch in Schuss halten!

Am Donnerstag fuhren Peter und ich mit der Gruppe zunächst nach Apuela. Dort schauten wir uns die Fabrik der AACRI an. Die AACRI – Asociación Agroartesanal de Caficultores Río Íntag – ist eine Organisation, die den Kaffee von rund vierhundert Kaffeefincas zu fairen Preisen einkauft und direkt (also ohne teure Zwischenhändler) exportiert. Wir bekamen erklärt, wie der Kaffee in unterschiedliche Klassen eingeteilt wird, welche Behandlung er in Apuela bekommt und welche Auswirkungen Fair Trade und Bio-Zertifikate auf die Produktionen haben. Interessant ist, dass die AACRI neben dem Kaffee an sich auch andere Produkte herstellt: Es geht hier vor allem um Permakultur, also darum, die Umgebung so zu nutzen, wie sie ist, ohne stark in sie einzugreifen – statt Dünger und andere Chemikalien zu verwenden, die erstens teuer und zweitens nicht gut für Mensch und Natur sind, sucht die AACRI nach Möglichkeiten, Pflanzen aus der Gegend für das Düngen und den Schutz der Pflanzen zu nutzen. Manche Pilze, die an bestimmten Pflanzen Schaden anrichten, können andernorts als Dünger angewandt werden. Und allein dieses Wissen bringt der AACRI auch finanzielle Gewinnen ein, da diese »Natürlichen Chemikalien« an andere Unternehmen verkauft werden.

Später fuhren wir auf die andere Seite des Íntagtals: In Cuellaje gab es zunächst eine kleine Führung auf einer Finca. Dort wird der Mist der zwei Schweine genutzt, um Biogas zu gewinnen. Dazu ist lediglich ein zehn Meter langer »Schlauch« notwendig, durch den der Mist fließen kann: Das Gas wird freigesetzt und kann sofort zum Kochen verwandt werden! Beeindruckend war auch, in welchem Zustand die vielen Plantagen und Beete waren – Terrassenbeete, die allein durch das Pflanzen von Zuckerrohr entstehen, Bäume, die in nur fünf Jahren eine Höhe von zehn bis fünfzehn Metern erreichen und dabei dennoch kein schlechtes Holz produzieren... Später erwartete uns ein leckeres Mittagessen, dessen Highlight das Hühnerhirn war, das ich mir schmecken lassen durfte. Im Anschluss daran wanderten wir nach Apuela zurück. Der Weg führte uns ziemlich steil ins Tal hinab – so schnell habe ich fünfhundert Höhenmeter wohl noch nie zu Fuß zurückgelegt!

Am Freitag, nachdem wir bei den Bädern von Nangulví übernachtet hatten, fuhr die Gruppe über Santa Rosa und Otavalo nach Quito, um am Folgetag die Reise nach Lima anzutreten. Ich blieb in Pucará: Am Nachmittag kamen Polly und Valentin. Polly habe ich vor ein paar Wochen kennengelernt, als sie Peter auf dessen Finca besucht hat. Sie kommt aus München, lebt in Glasgow und arbeitet seit diesem Frühjahr in Cayambe im Wall Street Institute als Englischlehrerin. Nach Pucará kam sie, um uns, oder besser: den Lehrerinnen der Spanischschule einen Workshop anzubieten. Das Thema: Lehren lernen. Das hielten Peter und ich für notwendig, da die vier jungen Frauen, die in der Spanischschule arbeiten, nur in der Schule gesehen und gelernt haben, wie Lehrerinnen und Lehrer arbeiten. Von Pädagogik wissen sie eigentlich nichts, und wie sie als Lehrerinnen auftreten können, ist ihnen auch nicht unbedingt bewusst. Wenn sie also auf das in ihrer Schulzeit erworbene Wissen zurückgreifen, um Ausländern die spanische Sprache näherzubringen, kann der Spanischschule nur ein baldiges Ende bevorstehen!

Valentin ist ein anderer weltwärts-Freiwilliger, der in Tabacundo auf einer Finca und in einer Schule arbeitet. Er wollte am Workshop teilnehmen, um etwas für seine Arbeit in der Schule zu lernen.

An dem für Samstag und Sonntag vorgesehenen und seit langem angekündigten Workshop nahmen dann schließlich und endlich zwei der vier Lehrerinnen teil. Das Geld, dass mit Spanischstunden verdient werden kann, wird zwar gerne gesehen, aber gerade den beiden jüngeren Lehrerinnen – Tania und Anita sind beide noch keine zwanzig Jahre alt – scheint nicht bewusst zu sein, dass sie auch Zeit und Energie aufbringen müssen, wenn sie als Lehrerinnen Geld verdienen wollen... Damit die Veranstaltung nicht zu traurig würde, haben wir kurzerhand andere junge Leute gefragt, ob sie nicht Interesse hätten, an dem Workshop teilzunehmen, und so wurde Pollys Fortbildung doch noch zu einem kleinen Erfolg.

Nach dem Ende des ersten Teils des Workshops fuhren Polly, Valentin und ich nach Peñaherrera. Das liegt rund fünf Kilometer jenseits von Apuela, quasi gegenüber Pucarás auf der anderen Seite des Tals und ist ein wirklich schönes Dorf. Wir fuhren dorthin, weil man mich hatte wissen lassen, dass es an jenem Abend Kino geben würde: Eine kleine Gruppe von Franzosen lebt seit kurzem in Peñaherrera und bietet Workshops rund ums Thema Film an, mit dem Ziel, Kurzfilme zu produzieren, die dann auch auf europäischen Filmfestivals gezeigt werden sollen. Und diese Gruppe zeigte am Samstagabend das ecuadorianische Roadmovie »Qué tan lejos?«. Der Film ist zwar nicht außergewöhnlich und ich hatte ihn schon in Deutschland gesehen – aber allein die Tatsache, dass es eine Veranstaltung geben würde, die an Kino erinnern würde, hatte uns in große Aufregung versetzt und uns sehr gefreut!

Am Sonntagmorgen ging es zurück nach Pucará. Die kurze Fahrt war aufgrund der tollen Blicke ins Tal und auf Apuela toll, und dass der Herr, der den Fahrpreis einsammelte, in der Schweiz gearbeitet hatte und ein paar Brocken Deutsch mit uns sprach, war auch sehr unterhaltsam. Nach dem zweiten Teil des Workshops stiegen Polly, Valentin und ich in den Bus nach Otavalo. Valentin fuhr nach Tabacundo zurück, Polly begleitete mich nach Ibarra. Dort aßen wir ein etwas enttäuschendes Eis in einem vielgelobten Eiscafé – diese Wissenschaft scheinen sie in Ibarra aber nicht so sehr zu beherrschen. Später trat Polly die Heimfahrt nach Cayambe an, während ich auf den Bus wartete, der mich über Nacht nach Portoviejo bringen sollte: Von dort nahm ich einen Bus nach Canoa, wo Águeda auf mich wartete. Águeda arbeitet in Pucará im Proyecto Oso Andino als Koordinatorin und nutzte die zwei Wochen ohne Freiwillige, um an die Küste zu fahren.

Das erste, was mir an der Küste auffiel, war der neue Dialekt: Im Hochland neigen die Menschen dazu, viele Vokale nicht auszusprechen. Statt »pues« heißt es hier beispielsweise »ps«; die Konsonanten sind sozusagen wichtiger als die Vokale, was auf das Quechua zurückzuführen ist. An der Küste ist es umgekehrt: Viele Konsonanten werden verschluckt, insgesamt wird schneller gesprochen und undeutlicher. Im Hochland nennt man die costeños abfällig »monos«, zu deutsch: Affen – womit man in erster Linie die Afroecuadorianer meint. Als ich den Dialekt der Küstenregion hörte, konnte ich diesen Spitznamen nachvollziehen; allerdings glaube ich, dass es sich bei der Bezeichnung um einen ziemlich deutlichen Ausdruck des Rassismus handelt und nicht um eine Anspielung auf den sonderbaren Dialekt.

Am Montagvormittag kam ich also in Canoa an. Das ist ein kleines Fischerdorf, in dem der Tourismus erst seit kurzem nennenswerte Ausmaße annimmt. Jetzt, in der Nebensaison und bei fast immer grauem Himmel, wirkt der Ort etwas trist und verlassen: Viele Bars am Strand sind geschlossen und die vielen jungen Männer, die sich in der Hochsaison die Zeit mit dem Verkauf und Konsum von Drogen und ausländischen Schönheiten vertreiben, wissen nichts mit sich anzufangen und sitzen gelangweilt am Straßenrand. Águeda und ich faulenzten vor allem, spazierten den breiten Sandstrand entlang und genossen die Leckereien, die das Meer zu bieten hat.

Am Dienstag entschlossen wir uns recht spontan, keine zweite Nacht in Canoa zu bleiben und fuhren gen Norden. Zunächst ging es mit dem Bus nach Pedernales. Dort gab es auf dem Busbahnhof Ananaseis für fünfundzwanzig Cent – und dieses Eis war Welten besser als das, das ich am Sonntag in Ibarra gegessen hatte! Diesen Leckerbissen hatten wir uns jedoch auch redlich verdient: Die Busfahrt von Canoa nach Pedernales war ziemlich heftig, weil schnell und somit lebensgefährlich. Ab Pedernales ging es in einer ranchera weiter, die nicht viel langsamer fuhr als der Bus zuvor. Doch diese Fahrt war sehr angenehm, an der frischen Luft der Abendstunden. Spektakulär war der junge Mann, der das Geld für den Transport einsammelte: Der hangelte sich außen am Bus entlang, was äußerst gefährlich aussah... Am Ende kamen wir bis Tres Vías, wo es ein eher bescheidenes Abendessen und kühles Bier gab. Neben unserem Zimmer nächtigten zu beiden Seiten Ecuadorianer, die die ganze Nacht Fernseher und Radio laufen ließen, was vor allem Águeda zu nächtlichen Wutausbrüchen veranlasste.

Doch auch diese Nacht ging vorüber, und Águeda und ich traten den Weg nach Mompiche an. Dieser Ort ist ähnlich klein und touristisch wie Canoa, und auch hier musste ich ab und zu an Geisterstädte aus Westernfilmen denken. Gleichzeitig war ich aber auch dankbar dafür, dass den Ort nicht mit hunderten von Touristen teilen zu müssen! In Mompiche fanden wir ein sehr nettes Hostal, das bezeichnenderweise nicht von Ecuadorianern geführt wird. Von dort konnten wir den Ort in wenigen Minuten erkunden – viel gab es nicht zu sehen! Interessanter war es, den Fischern zuzusehen, die vormittags die Netze an den Strand zogen, unterstützt von vielen Dorfbewoherinnen und Dorfbewohnern: Am Strand wurden dann die unbrauchbaren Fische aussortiert und weggeworfen, während die guten Fänge unter den Anwesenden verteilt wurden. Águeda und ich fanden auf diese Weise Beschäftigung: Wir beförderten die aussortierten Fische, die am Strand zu verenden drohten, zurück ins Meer. Es handelte sich dabei hauptsächlich um sehr kleine und um Kugelfische. Letztere stellten uns jedoch vor Probleme: Wenn sie am Strand liegen und um ihr Leben fürchten, neigen sie dazu, sich aufzublasen, was dazu führt, dass ihre giftigen Stacheln zu allen Seiten abstehen. Wir rollten die Fische also mit Hilfe unserer Schuhe ins Meer, was auf die Fischer und die anderen Menschen sehr komisch gewirkt haben muss: Diese verrückten Ausländer, die die unnützen Fische ins Meer zurückbringen...

Neben Kugelfischen, Rochen und anderen Exoten könnten wir in Mompiche außerdem Pelikane sehen und Vögel mit blauen Füßen. Ansonsten waren die Meeresfrüchte vor allem im Essen angenehm; auf Schildkrötenfleisch muss ich weiterhin warten.

Am Donnerstag trat ich den Rückweg an. Águeda entschloss sich spontan dazu, mich zu begleiten: Es ging nach Cayambe, wo Polly am Freitag ihren Geburtstag feiern würde. Von Mompiche ging es nach Tres Vías und von dort nach Esmeraldas. Von dort wollten wir einen Bus nach Ibarra nehmen, was sich jedoch als unmöglich herausstellte. Stattessen mussten wir nach Atacames zurückfahren, von wo es über Quito fast bis nach Cayambe ging. Dort kamen wir am Freitagvormittag an.

Cayambe liegt zwischen Quito und Otavalo auf zweitausendachthundert Metern über dem Meeresspiegel am Fuß des Cayambe-Vulkans inmitten von unzähligen Rosenplantagen. Berühmt ist die Stadt in Ecuador jedoch nicht nur für diese Blume, die in riesigen Mengen in die ganze Welt exportiert wird, sondern auch für die biscochos eine Art Keks, die allerorten verkauft wird. Ich fand vor allem den immer weißen Gipfel des Cayambe beeindruckend.

Ursprünglich hatte ich vor, Polly einen leckeren Geburtstagskuchen zu backen. Das sollte jedoch nicht möglich sein: Es gab keinen Ofen. Auf meine Frage, ob denn irgendein Bekannter einen Ofen haben würde, bekam ich die Auskunft, dass es in Cayambe generell sehr schwierig sei, zu backen – es gebe kaum Gas in der Stadt! Offenbar kaufen Schmuggler die gesamten staatlichen (und subventionierten) Gasvorräte auf – die Flasche kostet keine zwei Dollar! –, um sie in Kolumbien zu verkaufen. Für schlappe dreißig Dollar pro Flasche! Wer in Cayambe Gas will, muss sich stundenlang in einer Schlange anstellen und hoffen, dass es am Ende noch Gas gibt. Angeblich finden in diesen Warteschlangen regelmäßig Schlägereien statt: Ohne Gas kocht es sich in einer Stadt, in der wenig Brennholz zu finden ist, eben nur schlecht. Am Ende gab es Blaubeerpfannkuchen, die ein kulinarisches Highlight in meinem bisherigen Ecuadoraufenthalt darstellten!

Ansonsten gab es an Pollys Geburtstag nicht sehr viel zu feiern: Polly war noch etwas angeschlagen, nachdem sie die Tage zuvor krank gewesen war. Und im Wall Street Institute fand eine Halloweenparty statt, zu der Polly gehen musste. Highlight am Freitag war das Licht kurz vor Sonnenuntergang: Alles färbte sich gelb, eine komische Stimmung lag in der Luft. Alles erinnerte an Alien- oder Weltuntergangsfilme. (Im Fotoalbum gibt es ein Bild, das die Stimmung ganz gut wiedergibt – die Farben waren wirklich so, der merkwürdige Farbstich liegt nicht am Weißabgleich!)

Am Samstag gingen Polly und ich ins Schwimmbad, was eine Wohltat war. Später standen weitere Halloweenveranstaltungen auf dem Programm. Zunächst saßen wir jedoch noch im Café el Jinete: David und Michelle, Kinder einer ecuadorianerin Mutter und eines pakistanischen Vaters und Mitbewohner von Polly, zogen vor dreieinhalb Jahren aus London zurück in die Heimat ihrer Mutter und eröffneten dieses Café. Die beiden sind durch und durch europäisch und haben ihren Laden dementsprechend eingerichtet – wie angenehm es ist, wenn mal eine andere Musik läuft als der immergleiche Raggaeton-Bachata-Mix!

Die Halloweenparty, zu der wir später gingen, war von Cayambes populärsten Friseur organisiert worden. Der ist schwul und tritt offensichtlich für die Rechte der homosexuellen Minderheit in Ecuador ein: Die Party bestand im Wesentlichen aus einer Misswahl – alle Kandidatinnen waren früher einmal Männer gewesen und leben inzwischen als Frauen. Ihre Reden waren von recht kämpferischen Ausrufen geprägt, die deutlich machten, dass ihnen einiges bis alles daran gelegen war, das Schwul- und Anderssein in Ecuador zu etwas Normalem zu machen, frei von Diskriminierung und Unterdrückung. Ich fand es beeindruckend, in Ecuador eine derartige Veranstaltung zu erleben, weil die Bevölkerung im Großen und Ganzen sehr katholisch und dementsprechend streng und voreingenommen ist.

Am Sonntag fuhr ich mit Águeda nach Otavalo, um mich über die erneute Tabellenführung zu freuen und einen Bus nach Pucará zu nehmen. Als wir dort ankamen, war ich sehr überrascht ob der vielen Menschen im Ort. Wegen des día de los difuntos, dem Tag der Toten, sind Montag, Dienstag und Mittwoch Feiertage, was viele Menschen nutzen, um ihre Familien zu besuchen. Viele derer, die Pucará auf der Suche nach Arbeit verlassen haben, sind die Tage also hier. Águeda und ich gingen am Abend in den paradero, wo es an den Wochenenden immer Grillfleisch gibt und Zuckerrohrsaft mit Zuckerrohrschnaps. Auch dort war am Abend sehr viel los: Es wurde Gitarre gespielt und gesungen, getanzt und viel getrunken. Und ich wusste wieder, warum ich Lateinamerika so mag.

Gleich gehe ich wieder dort hin...

miércoles, 20 de octubre de 2010

Besuch aus Gringolandia

WÄHREND DIE MÄUSE mein Zimmer auseinandernehmen und das Zeitungspapier, das verhindern soll, dass Wind und Feuchtigkeit durch die Ritzen zwischen den Brettern, die die Wände bilden, eindringen, auffressen, warte ich darauf, dass sich mein Husten verflüchtigt – wobei ich mich auch nicht so schone, wie ich das vielleicht tun sollte: Am Wochenende habe ich Íntag wieder einmal den Rücken zugekehrt, um das bescheidene Nachtleben Otavalos zu genießen, und seit Sonntag ist eine Gruppe von gringos hier, die ich nach Möglichkeit begleite.

Es handelt sich um eine dreizehnköpfige Gruppe der Organisation »Carpe Diem«. »Carpe Diem« bietet Reisen in Länder wie Nicaragua, Ecuador, Tansania, Thailand etc. an – die Gruppe, die jetzt in Pucará ist, wird Ecuador am Freitag nach sechs Wochen verlassen, um weitere sechs Wochen in Peru zu verweilen. Das Programm bewegt sich, soweit ich das bisher in Erfahrung bringen konnte, zwischen Sprachschule, Sightseeing und Feldarbeit. Es geht, so ließ man mich wissen, darum, einmalige und unbezahlbare Erfahrungen zu sammeln. Wobei der Kostenpunkt ziemlich deutlich und nah dran an unbezahlbar ist: Stolze achttausend Dollar bezahlen die jungen Leute für drei Monate Ferienprogramm. (Wobei man meine Frage, ob das eine Beschäftigung für die Ferien sei, ganz klar verneint hat: Es handele sich nicht um Ferien, sondern um Erfahrungen!) Vermutlich kosten die neun Monate, die ich in Pucará bin, weniger – obwohl der Flug von den Staaten nach Ecuador und Peru deutlich günstiger ausfallen dürfte...

Zurück zu den gringos: Am Montag fuhren wir, gemeinsam mit einigen pucareños, in den Gemeindewald. Der liegt ein paar Kilometer nordöstlich des Dorfes und ist dessen Lebensversicherung – von dort kommt das Wasser, das in Pucará aus der Leitung kommt. Um die Wasserversorgung sicherzustellen, ist es dringend notwendig, dass der Bereich des Gemeindewaldes nicht dem Kahlschlag zum Opfer fällt: Ohne Bäume, die das Wasser im Erdreich binden, kein Wasser! Unsere Aufgabe war dementsprechend die Wiederaufforstung. Ob das Sinn machen würde, fragten sich nicht wenige beim Anblick des durchaus dicht bewachsenen Hügels – nach Peters Auskunft tut es das: Auch bereits bewaldetem Gelände könnten ein paar Bäume mehr nicht schaden, da auch sie Wasser bänden und Wasserversorgungsengpässen (wie kürzlich beschrieben) vorbeugten.

Wir stiegen also, mit Schaufeln und Setzlingen in Plastiktüten bepackt, den Berg hinauf, in immer dichteres Dickicht, um unsere kostbare Last zu vergraben. Insgesamt liefen wir vermutlich mehr als dass wir arbeiteten, und zumindest der Trupp, mit dem ich ging, brachte nicht so viele Bäume ins Erdreich – insgesamt konnten wir aber immerhin rund fünfhundert Setzlinge einpflanzen.

Mit der Wiederaufforstung hatte auch die Aufgabe zu tun, der sich die Gruppe am Dienstag gewidmet hat, dieses Mal ohne mich: Sie folgten dem kleinen Pfad zum Fluss unterhalb Pucarás, um von dort nach Apuela zu laufen. Auf dem Weg sammelten sie kleine Bäumchen am Wegrand ein, um sie nach Pucará zu bringen, wo die Setzlinge in die besagten schwarzen Plastiktüten eingepackt werden, um weiterzuwachsen, bevor sie in nicht allzuferner Zukunft der Wiederaufforstung Íntags dienen werden!

Die Plastiktüten... Der Ecuadorianer an sich scheint ein großer Freund dieser Errungenschaft unserer Wegwerfgesellschaft zu sein. Angeblich verbraucht jede Ecuadorianerin und jeder Ecuadorianer acht Plastiktüten am Tag! Die wenigsten davon kommen vermutlich in der Wiederaufforstung zum Einsatz: Auch wenn ich ein Brötchen kaufe oder eine Banane oder eine Packung Kekse, wird mir in der Regel eine Plastiktüte für den komfortablen Transport angeboten. Essen, das am Straßenrand verkauft wird, erhält man normalerweise in kleinen, gelben Plastiktütchen oder silbernen Plastikschalen. Und all dieses Plastik endet dann am Straßenrand oder auf einem Feld oder in einem Bach. Es schadet ja keinem... Aber so widersprüchlich wie im Gemeindewald hatte ich die Situation bis dato noch nicht wahrgenommen: Einerseits ist man sich irgendwie dessen bewusst, dass uns die Natur nicht endlos versorgt, wenn wir uns nicht um sie kümmern oder sie zumindest schonen – und pflanzt Bäume, um die Wasserversorgung zu sichern. Anderseits hinterlässt man selbst im dichtesten Gestrüpp eine Plastiktüte nach der anderen – und jede einzelne dieser Plastiktüten wird über kurz oder lang ihre kleinen Spuren im Trinkwasser hinterlassen!

Es wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis sich in dieser Hinsicht etwas ändert. Zu tief sitzt der Glaube, dass Plastik ausschließlich gut ist: Der Rauch, der entsteht, wenn man Plastikmüll verbrennt, ist sicherlich nicht giftig! Plastik ist so stabil, dass es in der Natur keinen Schaden anrichten kann, weil es sich nicht zersetzt. Die Coca Cola Company hilft aber auch kräftig mit und liefert ihre Getränke am allerliebsten in Einwegplastikflaschen. Auf denen steht dann: »Mit dieser Verpackung machen wir Ecuador noch ein bisschen besser!« Und daneben: »Einwegflasche« Humor haben die Damen und Herren bei dieser kleinen und sympathischen Firma offensichtlich! Und Recht: Wie öde wäre der Nebelwald ohne diese bunten Plastikwimpel, die an den Bäumen und Sträuchern am Straßenrand hängen!?

Wäre das Plastik in meinem Zimmerchen zum Einsatz gekommen, zur Abdichtung der Holzwände – ich wäre so dankbar, weil die Mäuse daran sicherlich nicht so viel Interesse zeigen würden! Stattdessen riecht meine Wäsche ab und zu nach den Plastikdämpfen, wenn ich sie abhänge...

Bis Íntag tot ist, dürften aber noch einige Jahre ins Land ziehen. Noch wimmelt es hier von Kolibris, meinen Lieblingsvögeln: den horeros, die angeblich zu jeder vollen Stunde singen und dabei klingen wie durchdrehende Babies – und von Jaguarundis: Ich habe nachgeschaut, welches Tier mir da vor kurzem über den Weg gelaufen ist. Es war der hier, also kein Wickelbär. Aber danke für die Recherche, Andy!

miércoles, 13 de octubre de 2010

Im Krankheitsfall

JEDES MAL, WENN ich krank bin, schlägt sich das auch auf meine Stimmung nieder. Im Augenblick bin ich wieder am Kränkeln; es ist nichts Schlimmes, vielleicht eine Grippe oder so. Und ich bin genervt: Weil ich weiß, dass ich sicherlich kerngesund wäre, wenn ich hier nur halbwegs ordentlich essen würde – und nicht Reis und Kartoffen tagein, tagaus. Da bleibt mir ja nichts Anderes übrig, als über Kurz oder Lang krank zu werden! Was ich auch weiß: Dass ich über diesen Gedanken nur müde lächeln können werde, wenn ich wieder fit bin. Hätte ich letzten Samstag nicht so lange mit anderen Freiwilligen in der Kälte gesessen und Schnaps getrunken, ginge es mir jetzt vielleicht besser. Aber: Ich war davor schon angeschlagen. (Was das Ganze nicht besser macht.)

Gestern war ich wieder bei Doña Empera zu Gast, um endlich die seit langem versprochenen Kartoffelpuffer zu brutzeln. Ich habe mir vorgenommen, in jeder Familie einmal zu kochen – das klingt zwar wenig, aber das Kochen hier ist gar nicht so einfach: Was nicht an den Zutaten, die hier nicht unbedingt zu bekommen sind, scheitert, muss noch irgendwie in den interessant ausgestatteten Küchen improvisiert werden! Also: Kartoffelpuffer für den Anfang. Doña Empera hat zunächst interessiert zugeschaut und ein paar Äpfel für das Apfelmus geschält, bevor sie zu Mittag gegessen hat. Das irritierte mich erst, doch dann war ich erleichtert: Ein Essen ohne Reis ist (hier) keine echte Mahlzeit; das werde ich nicht aus den Köpfen Pucarás verbannen können. Und nach ihrem ersten Mittagessen hatte Doña Empera sozusagen die Bürde von mir genommen, ihr und Don Manuel ein vollwertiges Mittagessen zuzubereiten. Mein Nachtisch hat die beiden offenbar sehr zufriedengestellt – was Vicente davon hielt, weiß ich nicht, weil der erst später kam.

Aber ganz zufrieden kann ich mit dem Essen nicht sein: Als ich neulich in Otavalo war, habe ich die Äpfel für das Apfelmus eingekauft, weil ich mich nicht auf den Markt von Apuela verlassen wollte. Als ich die Äpfel gestern ausgepackt habe, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass sie von der Dole Company waren. Dieses freundliche Unternehmen besitzt in Nicaragua große Bananenplantagen, auf denen lange mit Nemagon gedüngt wurde. An Nemagon erkrankten viele der Arbeiterinnen und Arbeiter, Kinder kamen behindert zur Welt, Männer wurden zeugungsunfähig. Dole wurde von einem US-amerikanischen Anwalt lateinamerikanischen Ursprungs verklagt – und zur Kasse gebeten. Die Freude über den Erfolg währte jedoch nur kurz: Die Obstgiganten schafften es, dem Anwalt erfolgreich die Fälschung von Beweismitteln zu unterstellen. Und inzwischen ist es in den Vereinigten Staaten von Amerika verboten, dass Männer und Frauen, die weder die US-amerikanische Staatsbürgerschaft innehaben noch in den USA leben, Anklage gegen Personen oder Unternehmen aus den USA erheben. So weit der kleine Dole-Exkurs. (Das Apfelmus war trotzdem lecker...)

Was mach an das Kinderbuch »Wo die wilden Kerle wohnen« erinnert, das mit dem schönen Teilsatz »... und es war noch warm.« endet: Das gibt es seit neuestem auch in Apuela (»Donde viven los monstruos«), sodass ich mir dachte, dass es vielleicht auch den Kindern in Pucará gefallen könnte. In Ecuador werden zwar auch Kinderbücher verfasst, illustriert und bedruckt, aber sie weisen eine ganz andere – inhaltliche und gestalterische – Ästhetik auf, erinnern eher an Zeichentrick- und Kinderfernsehsender als an Kinderbücher. Da ist oft alles schrill und grell und knallig und irgendwie laut. Und die Kindern hören nicht zu, wenn man ihnen diese Bücher vorliest. Anders bei den wilden Kerlen: Die haben ihnen offensichtlich gefallen und sie auch, zumindest für die Dauer der Geschichte, beruhigt!

miércoles, 6 de octubre de 2010

WAR DAS SCHÖN, als sich am Sonntagabend ein Moment der Zufriedenheit einstellte: Bisher war ich immer etwas beunruhigt und nicht ganz zufrieden gewesen, weil ich von meinen Aufgaben in Pucará nicht so ganz überzeugt war. Woher genau diese Zufriedenheit nun genau kam, kann ich gar nicht erklären.

Lag es an dem ereignisreichen Wochenende? Ich war am Donnerstag nach Otavalo gefahren, um dort zu entscheiden, dass ich am Freitag nicht nach Quito reisen würde: Wegen einer Kunstausstellung wollte ich mich nicht in die Hauptstadt wagen, die am Tag zuvor von einem versuchten Staatsstreich und Feuergefechten zwischen Polizei und Militär heimgesucht worden war. Infolgedessen blieb ich in Otavalo, wo wir den Geburtstag einer anderen Freiwilligen feierten und einen mindestens genauso langen wie netten Abend verbrachten. Am Samstag fuhr ich nach Pucará zurück, wo die nächste Feier anstand: Peter verabschiedete seinen britischen Freund Stuart, der Ecuador nach achteinhalb Jahren verlassen und mit seiner Freundin nach Spanien ziehen wird – wohin, das wissen die beiden noch nicht. Wozu auch? Als sie vor achteinhalb Jahren als Backpacker nach Ecuador kamen, wussten sie auch weder dass noch wo sie so lange hier leben und arbeiten würden! Die Feier bei Peter war sehr nett, und für mich war es ein fast neues Gefühl, in Pucará zu sein und trotzdem gute und lange und abwechslungsreiche Gespräche zu führen. Am Sonntag fuhren die Bekannten Peters wieder nach Cayambe und Quito zurück – und uns bot sich ein wunderschöner Sonnenuntergang: Es war das erste Mal seit meiner Ankunft in Pucará nicht schon vor dem Sonneuntergang bewölkt, nur unterhalb des Gipfels des Cotacachi waren schon einige Nebelschwaden aufgestiegen. Doch die machten den Anblick noch spektakulärer: Die Hügel und Täler um Pucará waren schon in den Schatten der beginnenden Nacht getaucht, als im Westen der Himmel und im Osten der schneebedeckte Cotacachi über den Nebelschwaden golden leuchteten! (Dass ich meine Kamera ausnahmsweise nicht einstecken hatte, ist nur halb so wild: So schön wie der Sonnenuntergang tatsächlich war, hätte er auf einem Foto nicht aussehen können...) Auf dem Rückweg von Peters Finca, es war inzwischen dunkel, stellte sich das eingangs erwähnte Gefühl ein.

Am Sonntag schlief ich dann erstmals in meiner neuen Gastfamilie: Ich lebe jetzt bei Doña Teresa und ihrem Mann, Don Segundo. Sie ist fünfundsechzig Jahre alt, er siebzig. Die beiden leben vielleicht zweihundert Meter von meiner alten Gastfamilie entfernt: Pucará ist nicht groß. Von ihren fünf Töchtern lebt nur noch eine in Pucará: Esperanza, mit ihren drei Töchtern und zwei Söhnen, aber ohne die dazugehörigen fünf Väter. Die sieben Söhne von Teresa und Segundo leben alle außerhalb. Doch dass ich mit den beiden Herrschaften alleine bin, kommt fast nicht vor: Die meiste Zeit sind Shisela, Fernanda und Andrés im Haus, die drei jüngeren Kinder von Esperanza. Die drei sind auch für mich eine gute Unterhaltung. Shisela ist neun Jahre alt und geht in die fünfte Klasse der Grundschule in Pucará. Sie ist sehr aufgeweckt und quasi rund um die Uhr daran interessiert, dass ich ihr eine Geschichte vorlese. Fernanda, vier Jahre alt, und Andrés, der jüngste, hängen meistens an Shiselas Fersen und trauen sich nicht so recht, mit mir zu sprechen. (Und dass Fernanda von Doña Teresa immer gesagt bekommt, was sie mir antworten oder erzählen soll, finde ich etwas nervig: Da ziehe ich Schüchternheit dem Nachplappern vor...)

Witzig ist irgendwie, dass ich jetzt zwar problemlos in der Küche stehen kann, mich dafür sowohl im Bad als auch in meinem Zimmer, einem Bretterverschlag hinter dem Haupthaus, nur gebückt fortbewege. Ansonsten hat mein neues Zuhause viele Ähnlichkeiten mit dem vorherigen: Es gibt wieder mehrere Gebäude, von denen jedes ein Aufgabenfeld aufnimmt – die Hütte mit Küche und Esszimmer, das Haupthaus mit Schlafzimmer (und, wichtig, Fernseher) und meinem Verschlag im Anhang, und das Bad, eher eine Latrine mit Dusche. Dazwischen liegt ein kleiner Hof, eine staubige Fläche, über der die Wäscheleinen nächtliche Spaziergänge ziemlich gefährlich werden lassen.

Aus der Welt der Arbeit gibt es auch kleine Neuigkeiten. Gegen Ende des Monats wird eine Gruppe aus den Vereinigten Staaten nach Pucará kommen; ihre Aufgabe: Wiederaufforstung. Drei Tage werden sie in Familien in Pucará untergebracht sein, bevor sie, von Peter und mir begleitet, die Íntag-Region besser kennenlernen werden. Im Anschluss wird es einen kleinen Kurs für die Lehrerinnen der Spanischschule geben: Polly, eine Bekannte von Peter, mit der ich bei Stuarts Abschiedsfeier ins Gespräch kam, wird ihnen das Lehren lehren – eine für Lehrerinnen nicht ganz unwichtige Fähigkeit!

Ansonsten bin ich gespannt, auf welche Tiere ich in den nächsten Tagen stoßen werde: Am Sonntag ringelte vor mir eine Schlange über den Weg. Meine Recherche hat ergeben, dass es eine Korallenotter gewesen sein müsste – schwarz mit roten und gelben Streifen (oder Ringeln?) und etwas mehr als einen Meter lang. Am Montag folgte der nächste Exot, den ich allerdings nicht benennen kann: Ein braunes Tier, das sehr nach Katze aussah, jedoch größer war und einen ziemlich langen Schwanz hatte. Man hat mir den Namen zwar verraten, ich konnte jedoch keine Übersetzung finden. Tierfreunde und -kenner: Ich würde mich über eure Hilfe freuen!

Euch allen wünsche ich einen schönen Herbst – die Angaben zu dessen Beginn sind irgendwie widersprüchlich: Mal heißt es, dass er bereits Einzug erhalten habe, mal hören sich die Berichte noch sehr nach Sommer an. Hier regnet es immer öfter, aber stets erst am Nachmittag. Dennoch gab es am Dienstag erstmals kein Wasser aus der Leitung in Pucará – was in Apuela schon seit Wochen stattfindet, scheint nun auch hier zu beginnen. Warum das ausgerechnet jetzt, da es regnet, losgeht, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Doch das Periódico ÍNTAG wird im November darüber berichten...

jueves, 30 de septiembre de 2010

Golpe de estado

IM ABGESCHIEDENEN ÍNTAG bekomme ich nicht immer gleich alles mit. Wenn ich im Internetcafé bin, verfolge ich zwar die Nachrichten auf diversen deutschen Nachrichtenportalen – das lateinamerikanische Tagesgeschehen im Allgemeinen und das ecuadorianische im Besonderen bekomme ich da aber nur am Rande mit: Man sollte meinen, dass ich, da ich ja hier bin, erfahren sollte, was sich so tut! Weit gefehlt: Als man mir heute erzählte, dass sich das Land im Ausnahmezustand befände, war ich doch sehr überrascht!

Die Fahrt nach Quito wird erstmal verschoben. Schade! Die Ausstellung, die ich mir ansehen wollte (danke, Herr Herbstreuth, für Ihren Tip!), ist dann gelaufen. Aber irgendwie lohnt es sich nicht, alle Warnungen zu ignorieren, um mir das anzusehen: Die Policía Nacional streikt und kann demnach nicht für die Sicherheit im Land sorgen. Präsident Correa hat angekündigt, die Boni für Polizisten zu kürzen, womit sich die Staatsdiener nicht abfinden wollen. Sie haben also kurzerhand den Flughafen in Quito besetzt und den Präsidenten und dessen Frau nach Medienberichten attackiert, woraufhin die Regierung den Ausnahmezustand verhängt hat. Peru hat die Grenze zu Ecuador zugemacht und noch ist nicht abzusehen, wohin das Spektakel führt...

Ich bin im Augenblick in Otavalo, wo es ruhig ist. Und in Íntag wird eh nichts passieren: Dort wird weiterhin alles seinen gewohnten Lauf nehmen. Also: Bei mir ist alles gut, macht euch keine Sorgen! Schaut euch stattdessen die Bilder an, die ich hochgeladen habe.

miércoles, 29 de septiembre de 2010

Chang: otro amigo mío, Sebi aka BoboPK, solía seguir el blog que tenía en Nicaragua, y quisiera saber si está leyendo de nuevo...

DER ERSTE MONAT in Pucará ist vorbei, und somit steht auch schon der Wechsel zu meiner zweiten Gastfamilie vor der Tür! Am Samstag werde ich umziehen und dann bis Anfang November bei Doña Teresa wohnen, etwa hundertfünfzig Meter von meiner aktuellen Gastfamilie entfernt. Schade, irgendwie, dass ich, solange ich hier bin, monatlich umziehen muss: Zumindest bei Doña Emperatriz habe ich mich sehr wohlgefühlt – und kam mir willkommener vor, als dies jemals bei meiner nicaraguanischen Gastfamilie, mit der ich ein eher schwieriges Verhältnis pflegte, der Fall war. Aber es hilft ja nichts: Was muss, das muss – und so werde ich mich diesem durchaus ertragbaren Schicksal beugen. Und umziehen!

Während der Alltag in Pucará seinen Lauf nimmt, ist noch nicht ganz sicher, mit welchen Aufgaben ich mich im weiteren Verlauf der kommenden Wochen und Monate beschäftigen werde. Auf jeden Fall werde ich weiterhin zweimal wöchentlich mit den Kindern aus Pucará arbeiten. Zusätzlich übersetze ich zumindest momentan Artikel aus der hiesigen Zeitung, dem Periódico ÍNTAG, damit man auch in Deutschland von den Ereignissen rund um Umweltschutz und Minenunternehmen erfahren kann, ohne der spanische Sprache mächtig sein zu müssen. Weitere Ideen für mehr als genug Arbeit existieren – ob ich sie tatsächlich umsetzen kann, steht allerdings noch in den Sternen, weshalb ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts verraten möchte...

Nachdem mir in letzter Zeit immer wieder zu Ohren gekommen war, dass mal diese, mal jene Person aus Pucará krank geworden war, schien es sich am Dienstag um etwas Ernsthaftes zu handeln: Doña Teresa, die ab Samstag meine Gastmutter sein wird, lief schnellen Schrittes zu Don Fausto, der allerdings in diesem Moment nicht in Pucará war, um ihn zu bitten, ihre Enkelin Tanya, die in der Spanischschule arbeitet, schnellstmöglich ins Krankenhaus zu fahren – es ginge ihr sehr schlecht, und im Krankenhaus von Apuela könne man sie nicht behandeln. Auch die Tränen von Doña Teresa halfen nichts: Don Fausto, der eins der beiden Autos von Pucará besitzt, war nunmal außerhalb Pucarás unterwegs. Beeindruckend, mit welcher Gelassenheit die anderen Anwesend ihre Vermutungen anstellten: »Das wird bestimmt der Blinddarm sein!« Warum nicht den Krankenwagen rufen? Der Stand auf halber Strecke zwischen Pucará und Apuela – mit nur drei Rädern. Und das seit Montag... Im Endeffekt ging alles gut, Tanya wurde in Cotacachi operiert – es war tatsächlich der Blinddarm! – und auch der Krankenwagen steht nicht mehr in der Wildnis.

Vorhin habe ich ein wenig recherchiert, um etwas mehr über die hier aktiven Nichtregierungsorganisationen zu erfahren und stieß dabei auf zwei interessante Homepages: Das Energieunternehmen Lichtblick engagiert sich offensichtlich auch in Ecuador für den Umweltschutz und für erneuerbare Unternehmen und scheint regelmäßig auch aus Íntag zu berichten: Hier geht es zum entsprechenden Bericht – inklusive Foto von Doña Empera und mir! Zudem gibt es einen Bericht in englischer Sprache über die Asamble Nacional Ambiental, die Nationale Umweltschutzversammlung, und die aktuellen Entwicklungen in Ecuador, was das Thema Umweltschutz betrifft, auf der Seite der DECOIN.

Am Donnerstag werde ich nach Otavalo fahren, um am Freitag nach Quito zu reisen: Eine Kunstausstellung wartet dort, und ich werde mich mit Julika, die ich seit Jahren kenne und die auch gerade mit weltwärts in Ecuador ist, treffen! Ich habe dabei ein etwas ungutes Gefühl, weil ich seit langem nichts Gutes mehr über Quito gehört habe: Es scheinen alle, die sich dorthin wagen, überfallen zu werden. Hoffen wir, dass ich auch dieses Mal wieder gut aus der Hauptstadt komme! Es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich den Moloch unbeschadet und zufrieden verlasse...

domingo, 26 de septiembre de 2010

¿Estás siguiendo este blog, Sebi?

DAS PARADIES IST eigentlich gar nicht schwer zu erreichen: Mit dem ersten und dem letzten Bus des Transportunternehmens »Otavalo« fährt man von Apuela weiter in südwestlicher Richtung, »adentro«: hinein, wie man diese Richtung hier beschreibt, über García Moreno und gelangt schließlich nach Magdalena Bajo. Dort muss man ein bisschen Glück haben, dass gerade eine camioneta bereitsteht, deren Fahrer die wenigen Kilometer über die noch weniger gute »Straße« zurückzulegen bereit ist. Nach einer Fahrzeit von insgesamt rund zweieinhalb Stunden kommt man dann an: In El Paraíso!

Schon oft habe ich mich gewundert, warum Jesus und alle, die mit ihm Kontakt gekommen sind, auf sämtlichen Darstellungen weiß sind. In Tansania habe ich mich darüber schon fast geärgert: Dass die Kirche ihre Protagonisten immer nach europäischem Vorbild gestaltet! Hier – endlich, endlich – fühle ich mich zwar nicht bestätigt, weil ich keine Vorstellung hatte, die man mir hätte bestätigen können, aber irgendwie empfinde ich dennoch eine Genugtuung: Die Menschen, die im Paradies leben, sind fast ausschließlich schwarz!

Lange war ich nicht im Paradies: Von Freitagmittag bis Samstagmorgen habe ich dort mit Nora zusammen eine Rast eingelegt, um mit Carmen, die dort lebt und in Pucará in der Spanischschule arbeitet, über mögliche Arbeiten und Aufgaben in der und für die Spanischschule zu sprechen. Dennoch hatte ich genug Zeit, ein paar Dinge zu bemerken: Auf dem Weg von Apuela nach El Paraíso änderte sich die Zusammensetzung der Fahrgäste. Es stiegen nicht nur immer mehr Menschen aus, sodass wir am Ende noch zu fünft im Bus saßen – die Menschen, die mit uns im Bus saßen, waren, je weiter wir Apuela zurückließen, immer seltener indianischen oder spanischen Ursprungs, haben ihre Wurzeln offensichtlich auf dem Afrikanischen Kontinent. Die Häuser am Straßen-, besser: Wegrand unterschieden sich immer mehr von denen in Pucará, Apuela, Otavalo: In dem Maße, in dem Beton und Stein als Materialien abnahmen, waren immer mehr Holzhäuser zu sehen. Und zum Teil hatten die diese Bezeichnung: Haus, durchaus verdient! Nicht selten waren sie zweigeschossig, und teilweise waren die Fassaden aus filigran zurechtgeschnitzten Holzstückchen zusammengesetzt! Klar: Je weiter die Städte entfernt liegen, desto teurer wird der Transport der Baumaterialien, sodass die Entscheidung für in der Umgebung auffindbare Baustoffe irgendwann erforderlich wird!

Ich habe mich jedenfalls sehr an den Nicaragua-Karibikurlaub erinnert gefühlt: Die Bauweise in El Rama, Bluefields und auf den Corn Islands war sehr ähnlich, und auch dort bestand die Bevölkerung hauptsächlich aus dunkelhäutigen – ich weiß nicht, was momentan politisch korrekt ist; und es ist mir egal – Nicaraguanerinnen und Nicaraguanern – das Gendering kann ja trotzdem. Nur ein nicht ganz unwichtiges Detail unterschied sich sehr vom nicaraguanischen oriente: Wir befanden uns nach wie vor in den Bergen!

Carmen hat mit ihrem Gatten Patricio eine kleine Pension in El Paraíso. Außerdem stellen sie Schmuck und Schlüsselanhänger aus Perlen her, die sie aus bestimmten Samen schnitzen, schleifen, bemalen. Warum sie ausgerechnet in El Paraíso, was wirklich ab vom Schuss liegt, eine Pension unterhalten, wurde mir nicht ganz klar. Dass dieses Unternehmen nicht so gut laufen kann, schloss ich nicht nur aus dessen Lage, sondern auch daran, dass vor allem Carmen in ungefähr jedem zweiten Satz den Wunsch äußerte, dass wir unbedingt wieder zu Besuch kommen sollten, um uns die »Attraktionen« in und um El Paraíso anzusehen! Und am besten solle ich doch auch als Freiwilliger dort arbeiten, und nicht nur in Pucará. Es beschlich mich im Laufe unseres Besuchs immer mehr das Gefühl, dass es Carmen nicht darum ging, mit mir über die Spanischschule zu sprechen, sondern mich von dieser abzuwerben. Unangenehm!

Angenehmer war das Abendprogramm: Weil eine französische Reisegruppe in El Paraíso war, wurde eine ortsansässige Band organisiert, die uns mit ihren musikalischen Fähigkeiten unterhielt. Wir saßen also gemütlich in einer Runde, ein Kanister mit selbstgebranntem Destillat machte die Runde und die Herren gaben ziemlich schnulzige Lieder zum Besten. Danach unterhielten Nora und ich uns noch ein Weilchen mit der Dorfjugend und wurden mit Bier vom Nachbarn der Pension, der auch Simon heißt und in diesem wirklich nicht barrierefreien Dorf (Schlaglöcher, und der Weg dorthin ist ein Thema für sich) trotz seiner Blindheit gut zurechtzukommen scheint...

Am Samstagmorgen fuhren Nora und ich mit Patricio und einem anderen jungen Mann aus El Paraíso nach Junin. Weil es billiger war und schneller gehen sollte, nahmen wir beide auf jeweils einem Motorradrücksitz Platz. Ohne Helm: Wir sind ja in Südamerika! (Nein, wir haben keine Sekunde daran gedacht, dass in diesem Jahr eine andere YAP-Freiwillige in Nicaragua fast an den Folgen eines Motorradunfalls gestorben war, weil sie keinen Helm getragen hatte.) Allerdings: Besonders schnell waren wir nicht unterwegs. Das ließen diverse Steigungen, Schlaglöcher und Fahrbahnbeläge nicht zu! Dreißig Kilometer und etwas mehr als eine Stunde später kamen wir dann in Junin an. Einerseits wollten wir dorthin, weil die achte »Asamblea de Mujeres de Íntag«, also die achte Versammlung der Frauen aus Íntag, dort stattfinden würde. Andererseits hat Junin eine spannende Vergangenheit: Vor einigen Jahren ließ sich dort ein Minenunternehmen nieder. Oder, richtiger: wollte sich dort niederlassen. Man hatte es auf die Kupfervorkommen bei Junin abgesehen. Nach erfolgreichen Probebohrungen und -sprengungen hätte die Kupferförderung dann eigentlich losgehen können. Eigentlich: Wenn sich die Einwohnerinnen und Einwohner nicht so hartnäckig und effektiv gewehrt hätten...

Nachdem man den Versprechen des Unternehmens anfänglich Glauben geschenkt und dem Minenbetrieb somit Tür und Tor so gut wie geöffnet hatte, bemerkte man bald, dass irgendetwas aus dem Ruder gelaufen war: Die Arbeiten hatten gerade erst begonnen, da starben die ersten Tiere, weil sie aus dem Bach getrunken hatten, von dem das Dorf lebte. Kindern, die in dem Rinnsal gebadet hatten, wurden krank, bekamen schlimme Ausschläge. Den Menschen aus Junin fiel es wie Schuppen von den Augen: Sie würden sehr bald an einen anderen Ort ziehen müssen, weg von dem verseuchten Wasser, weg von dem verseuchten Boden, der es ihnen nicht mehr erlauben würde, Felder zu bestellen und Gemüsegärten zu pflegen. Sie taten, was getan werden musste, um sich diesem Schicksal nicht ergeben zu müssen: Sie griffen zu allen erdenklichen Mitteln und schafften es nach zahlreichen Auseinandersetzungen, das Minenunternehmen tatsächlich aus Junin zu vertreiben. Wasser und Erdreich scheinen nicht nachhaltig verunreinigt worden zu sein, das behauptet man jedenfalls – der Alltag hat in Junin wieder Einzug erhalten!

Minenunternehmen wollen jetzt mit dem Kupferabbau unweit von El Paraíso beginnen; derzeit laufen die letzten Untersuchungen. Widerstand regt sich dort kaum – zu groß ist derzeit noch die Verlockung, täglich mehr als zwanzig Dollar für vergleichbar einfache Arbeit zu verdienen! Dass das kurzsichtig gedacht ist, ist offensichtlich: Obwohl dreiundzwanzig Dollar Tagelohn für hiesige Verhältnisse wirklich gut zu sein scheinen, helfen sie nicht sonderlich viel, wenn man davon zunächst neues Land kaufen muss, weil das alte verseucht ist. Wenn man irgendwann alle Lebensmittel von außerhalb kaufen muss. Wenn man zwar ein Dach über dem Kopf hat, aber keine Möglichkeit, an sauberes Wasser zum Baden und Waschen zu kommen. Wenn man die Kosten für Ärzte und Medikamente aufbringen muss...

(Patricio hat erzählt, dass das Minenunternehmen ihm, als er der »Präsident« von El Paraíso war, stolze sechshundert Dollar pro Monat versprochen hatte: Damit er sich nicht gegen den Kupferabbau äußere oder über die Risiken und Nebenwirkungen berichte.)

Zurück zu Junin: Heute gibt es dort Betten für Touristen, die kommen, um von den Kämpfen und Siegen der Vergangenheit zu erfahren und die (wieder) unberührte Natur zu erkunden. Etwas erschrocken war ich aber, nachdem ich von der Direktorin der ganzen Angelegenheit erfahren hatte, dass eine Übernachtung in Junin stolze dreißig Dollar kostet! Freiwillige, die in Junin Englisch- und Computerkenntnisse vermitteln sollen, zahlen stolze fünfzehn bis zwanzig Dollar. Täglich – ich bin noch kein Freund des turismo comunitario, für den ich mich in Pucará ja eigentlich stark machen soll!

Die asamblea der Frauen war nicht sonderlich spektakulär: Eine interessante Rede über und gegen den Machismus von einer Frau, die nicht nur gebildet und entschlossen wirkte, sondern durch viele Fragen an ihre Zuhörerinnen versuchte, diese aus ihrem Trott zu reißen, war der Anfang der sonst ziemlich zähen – Basisdemokratie... – Veranstaltung. Die Rednerin appellierte an die Zuhörerschaft, die bestimmt zu einem Drittel aus Männern bestand, dass diese die Arbeit der Frauen – die ungelogen so beschrieben wurde: kochen, waschen, putzen, Klatsch und Tratsch in der Dorfgemeinschaft, Erziehung der Kinder, Ehefrau – anerkennen und der Tatsache, dass ohne diese Arbeit kein Ehemann, keine Familie überleben könne, ins Auge blicken solle.

Die Rückfahrt nach Apuela war dann noch ein kleines Abenteuer. Wir fuhren mit der ranchera, einem Laster, der einen Bretterverschlag mit Sitzbänken geladen hat, in dem wiederum viele Passagiere Platz finden. Dieses Gefährt war erst langsam unterwegs, dann gar nicht mehr: Der Keilriemen riss. Nach einer Weile konnte er jedoch ersetzt werden – mit durch einen Nylonstrumpf. So kamen wir immerhin in die nächste Ortschaft, in der wir dann nochmal ein Stündchen warten musste, bis ein neuer Keilriemen aus Apuela gebracht wurde. Dort kamen wir dann schließlich noch an – wer hätte das gedacht?