jueves, 30 de septiembre de 2010

Golpe de estado

IM ABGESCHIEDENEN ÍNTAG bekomme ich nicht immer gleich alles mit. Wenn ich im Internetcafé bin, verfolge ich zwar die Nachrichten auf diversen deutschen Nachrichtenportalen – das lateinamerikanische Tagesgeschehen im Allgemeinen und das ecuadorianische im Besonderen bekomme ich da aber nur am Rande mit: Man sollte meinen, dass ich, da ich ja hier bin, erfahren sollte, was sich so tut! Weit gefehlt: Als man mir heute erzählte, dass sich das Land im Ausnahmezustand befände, war ich doch sehr überrascht!

Die Fahrt nach Quito wird erstmal verschoben. Schade! Die Ausstellung, die ich mir ansehen wollte (danke, Herr Herbstreuth, für Ihren Tip!), ist dann gelaufen. Aber irgendwie lohnt es sich nicht, alle Warnungen zu ignorieren, um mir das anzusehen: Die Policía Nacional streikt und kann demnach nicht für die Sicherheit im Land sorgen. Präsident Correa hat angekündigt, die Boni für Polizisten zu kürzen, womit sich die Staatsdiener nicht abfinden wollen. Sie haben also kurzerhand den Flughafen in Quito besetzt und den Präsidenten und dessen Frau nach Medienberichten attackiert, woraufhin die Regierung den Ausnahmezustand verhängt hat. Peru hat die Grenze zu Ecuador zugemacht und noch ist nicht abzusehen, wohin das Spektakel führt...

Ich bin im Augenblick in Otavalo, wo es ruhig ist. Und in Íntag wird eh nichts passieren: Dort wird weiterhin alles seinen gewohnten Lauf nehmen. Also: Bei mir ist alles gut, macht euch keine Sorgen! Schaut euch stattdessen die Bilder an, die ich hochgeladen habe.

miércoles, 29 de septiembre de 2010

Chang: otro amigo mío, Sebi aka BoboPK, solía seguir el blog que tenía en Nicaragua, y quisiera saber si está leyendo de nuevo...

DER ERSTE MONAT in Pucará ist vorbei, und somit steht auch schon der Wechsel zu meiner zweiten Gastfamilie vor der Tür! Am Samstag werde ich umziehen und dann bis Anfang November bei Doña Teresa wohnen, etwa hundertfünfzig Meter von meiner aktuellen Gastfamilie entfernt. Schade, irgendwie, dass ich, solange ich hier bin, monatlich umziehen muss: Zumindest bei Doña Emperatriz habe ich mich sehr wohlgefühlt – und kam mir willkommener vor, als dies jemals bei meiner nicaraguanischen Gastfamilie, mit der ich ein eher schwieriges Verhältnis pflegte, der Fall war. Aber es hilft ja nichts: Was muss, das muss – und so werde ich mich diesem durchaus ertragbaren Schicksal beugen. Und umziehen!

Während der Alltag in Pucará seinen Lauf nimmt, ist noch nicht ganz sicher, mit welchen Aufgaben ich mich im weiteren Verlauf der kommenden Wochen und Monate beschäftigen werde. Auf jeden Fall werde ich weiterhin zweimal wöchentlich mit den Kindern aus Pucará arbeiten. Zusätzlich übersetze ich zumindest momentan Artikel aus der hiesigen Zeitung, dem Periódico ÍNTAG, damit man auch in Deutschland von den Ereignissen rund um Umweltschutz und Minenunternehmen erfahren kann, ohne der spanische Sprache mächtig sein zu müssen. Weitere Ideen für mehr als genug Arbeit existieren – ob ich sie tatsächlich umsetzen kann, steht allerdings noch in den Sternen, weshalb ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts verraten möchte...

Nachdem mir in letzter Zeit immer wieder zu Ohren gekommen war, dass mal diese, mal jene Person aus Pucará krank geworden war, schien es sich am Dienstag um etwas Ernsthaftes zu handeln: Doña Teresa, die ab Samstag meine Gastmutter sein wird, lief schnellen Schrittes zu Don Fausto, der allerdings in diesem Moment nicht in Pucará war, um ihn zu bitten, ihre Enkelin Tanya, die in der Spanischschule arbeitet, schnellstmöglich ins Krankenhaus zu fahren – es ginge ihr sehr schlecht, und im Krankenhaus von Apuela könne man sie nicht behandeln. Auch die Tränen von Doña Teresa halfen nichts: Don Fausto, der eins der beiden Autos von Pucará besitzt, war nunmal außerhalb Pucarás unterwegs. Beeindruckend, mit welcher Gelassenheit die anderen Anwesend ihre Vermutungen anstellten: »Das wird bestimmt der Blinddarm sein!« Warum nicht den Krankenwagen rufen? Der Stand auf halber Strecke zwischen Pucará und Apuela – mit nur drei Rädern. Und das seit Montag... Im Endeffekt ging alles gut, Tanya wurde in Cotacachi operiert – es war tatsächlich der Blinddarm! – und auch der Krankenwagen steht nicht mehr in der Wildnis.

Vorhin habe ich ein wenig recherchiert, um etwas mehr über die hier aktiven Nichtregierungsorganisationen zu erfahren und stieß dabei auf zwei interessante Homepages: Das Energieunternehmen Lichtblick engagiert sich offensichtlich auch in Ecuador für den Umweltschutz und für erneuerbare Unternehmen und scheint regelmäßig auch aus Íntag zu berichten: Hier geht es zum entsprechenden Bericht – inklusive Foto von Doña Empera und mir! Zudem gibt es einen Bericht in englischer Sprache über die Asamble Nacional Ambiental, die Nationale Umweltschutzversammlung, und die aktuellen Entwicklungen in Ecuador, was das Thema Umweltschutz betrifft, auf der Seite der DECOIN.

Am Donnerstag werde ich nach Otavalo fahren, um am Freitag nach Quito zu reisen: Eine Kunstausstellung wartet dort, und ich werde mich mit Julika, die ich seit Jahren kenne und die auch gerade mit weltwärts in Ecuador ist, treffen! Ich habe dabei ein etwas ungutes Gefühl, weil ich seit langem nichts Gutes mehr über Quito gehört habe: Es scheinen alle, die sich dorthin wagen, überfallen zu werden. Hoffen wir, dass ich auch dieses Mal wieder gut aus der Hauptstadt komme! Es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich den Moloch unbeschadet und zufrieden verlasse...

domingo, 26 de septiembre de 2010

¿Estás siguiendo este blog, Sebi?

DAS PARADIES IST eigentlich gar nicht schwer zu erreichen: Mit dem ersten und dem letzten Bus des Transportunternehmens »Otavalo« fährt man von Apuela weiter in südwestlicher Richtung, »adentro«: hinein, wie man diese Richtung hier beschreibt, über García Moreno und gelangt schließlich nach Magdalena Bajo. Dort muss man ein bisschen Glück haben, dass gerade eine camioneta bereitsteht, deren Fahrer die wenigen Kilometer über die noch weniger gute »Straße« zurückzulegen bereit ist. Nach einer Fahrzeit von insgesamt rund zweieinhalb Stunden kommt man dann an: In El Paraíso!

Schon oft habe ich mich gewundert, warum Jesus und alle, die mit ihm Kontakt gekommen sind, auf sämtlichen Darstellungen weiß sind. In Tansania habe ich mich darüber schon fast geärgert: Dass die Kirche ihre Protagonisten immer nach europäischem Vorbild gestaltet! Hier – endlich, endlich – fühle ich mich zwar nicht bestätigt, weil ich keine Vorstellung hatte, die man mir hätte bestätigen können, aber irgendwie empfinde ich dennoch eine Genugtuung: Die Menschen, die im Paradies leben, sind fast ausschließlich schwarz!

Lange war ich nicht im Paradies: Von Freitagmittag bis Samstagmorgen habe ich dort mit Nora zusammen eine Rast eingelegt, um mit Carmen, die dort lebt und in Pucará in der Spanischschule arbeitet, über mögliche Arbeiten und Aufgaben in der und für die Spanischschule zu sprechen. Dennoch hatte ich genug Zeit, ein paar Dinge zu bemerken: Auf dem Weg von Apuela nach El Paraíso änderte sich die Zusammensetzung der Fahrgäste. Es stiegen nicht nur immer mehr Menschen aus, sodass wir am Ende noch zu fünft im Bus saßen – die Menschen, die mit uns im Bus saßen, waren, je weiter wir Apuela zurückließen, immer seltener indianischen oder spanischen Ursprungs, haben ihre Wurzeln offensichtlich auf dem Afrikanischen Kontinent. Die Häuser am Straßen-, besser: Wegrand unterschieden sich immer mehr von denen in Pucará, Apuela, Otavalo: In dem Maße, in dem Beton und Stein als Materialien abnahmen, waren immer mehr Holzhäuser zu sehen. Und zum Teil hatten die diese Bezeichnung: Haus, durchaus verdient! Nicht selten waren sie zweigeschossig, und teilweise waren die Fassaden aus filigran zurechtgeschnitzten Holzstückchen zusammengesetzt! Klar: Je weiter die Städte entfernt liegen, desto teurer wird der Transport der Baumaterialien, sodass die Entscheidung für in der Umgebung auffindbare Baustoffe irgendwann erforderlich wird!

Ich habe mich jedenfalls sehr an den Nicaragua-Karibikurlaub erinnert gefühlt: Die Bauweise in El Rama, Bluefields und auf den Corn Islands war sehr ähnlich, und auch dort bestand die Bevölkerung hauptsächlich aus dunkelhäutigen – ich weiß nicht, was momentan politisch korrekt ist; und es ist mir egal – Nicaraguanerinnen und Nicaraguanern – das Gendering kann ja trotzdem. Nur ein nicht ganz unwichtiges Detail unterschied sich sehr vom nicaraguanischen oriente: Wir befanden uns nach wie vor in den Bergen!

Carmen hat mit ihrem Gatten Patricio eine kleine Pension in El Paraíso. Außerdem stellen sie Schmuck und Schlüsselanhänger aus Perlen her, die sie aus bestimmten Samen schnitzen, schleifen, bemalen. Warum sie ausgerechnet in El Paraíso, was wirklich ab vom Schuss liegt, eine Pension unterhalten, wurde mir nicht ganz klar. Dass dieses Unternehmen nicht so gut laufen kann, schloss ich nicht nur aus dessen Lage, sondern auch daran, dass vor allem Carmen in ungefähr jedem zweiten Satz den Wunsch äußerte, dass wir unbedingt wieder zu Besuch kommen sollten, um uns die »Attraktionen« in und um El Paraíso anzusehen! Und am besten solle ich doch auch als Freiwilliger dort arbeiten, und nicht nur in Pucará. Es beschlich mich im Laufe unseres Besuchs immer mehr das Gefühl, dass es Carmen nicht darum ging, mit mir über die Spanischschule zu sprechen, sondern mich von dieser abzuwerben. Unangenehm!

Angenehmer war das Abendprogramm: Weil eine französische Reisegruppe in El Paraíso war, wurde eine ortsansässige Band organisiert, die uns mit ihren musikalischen Fähigkeiten unterhielt. Wir saßen also gemütlich in einer Runde, ein Kanister mit selbstgebranntem Destillat machte die Runde und die Herren gaben ziemlich schnulzige Lieder zum Besten. Danach unterhielten Nora und ich uns noch ein Weilchen mit der Dorfjugend und wurden mit Bier vom Nachbarn der Pension, der auch Simon heißt und in diesem wirklich nicht barrierefreien Dorf (Schlaglöcher, und der Weg dorthin ist ein Thema für sich) trotz seiner Blindheit gut zurechtzukommen scheint...

Am Samstagmorgen fuhren Nora und ich mit Patricio und einem anderen jungen Mann aus El Paraíso nach Junin. Weil es billiger war und schneller gehen sollte, nahmen wir beide auf jeweils einem Motorradrücksitz Platz. Ohne Helm: Wir sind ja in Südamerika! (Nein, wir haben keine Sekunde daran gedacht, dass in diesem Jahr eine andere YAP-Freiwillige in Nicaragua fast an den Folgen eines Motorradunfalls gestorben war, weil sie keinen Helm getragen hatte.) Allerdings: Besonders schnell waren wir nicht unterwegs. Das ließen diverse Steigungen, Schlaglöcher und Fahrbahnbeläge nicht zu! Dreißig Kilometer und etwas mehr als eine Stunde später kamen wir dann in Junin an. Einerseits wollten wir dorthin, weil die achte »Asamblea de Mujeres de Íntag«, also die achte Versammlung der Frauen aus Íntag, dort stattfinden würde. Andererseits hat Junin eine spannende Vergangenheit: Vor einigen Jahren ließ sich dort ein Minenunternehmen nieder. Oder, richtiger: wollte sich dort niederlassen. Man hatte es auf die Kupfervorkommen bei Junin abgesehen. Nach erfolgreichen Probebohrungen und -sprengungen hätte die Kupferförderung dann eigentlich losgehen können. Eigentlich: Wenn sich die Einwohnerinnen und Einwohner nicht so hartnäckig und effektiv gewehrt hätten...

Nachdem man den Versprechen des Unternehmens anfänglich Glauben geschenkt und dem Minenbetrieb somit Tür und Tor so gut wie geöffnet hatte, bemerkte man bald, dass irgendetwas aus dem Ruder gelaufen war: Die Arbeiten hatten gerade erst begonnen, da starben die ersten Tiere, weil sie aus dem Bach getrunken hatten, von dem das Dorf lebte. Kindern, die in dem Rinnsal gebadet hatten, wurden krank, bekamen schlimme Ausschläge. Den Menschen aus Junin fiel es wie Schuppen von den Augen: Sie würden sehr bald an einen anderen Ort ziehen müssen, weg von dem verseuchten Wasser, weg von dem verseuchten Boden, der es ihnen nicht mehr erlauben würde, Felder zu bestellen und Gemüsegärten zu pflegen. Sie taten, was getan werden musste, um sich diesem Schicksal nicht ergeben zu müssen: Sie griffen zu allen erdenklichen Mitteln und schafften es nach zahlreichen Auseinandersetzungen, das Minenunternehmen tatsächlich aus Junin zu vertreiben. Wasser und Erdreich scheinen nicht nachhaltig verunreinigt worden zu sein, das behauptet man jedenfalls – der Alltag hat in Junin wieder Einzug erhalten!

Minenunternehmen wollen jetzt mit dem Kupferabbau unweit von El Paraíso beginnen; derzeit laufen die letzten Untersuchungen. Widerstand regt sich dort kaum – zu groß ist derzeit noch die Verlockung, täglich mehr als zwanzig Dollar für vergleichbar einfache Arbeit zu verdienen! Dass das kurzsichtig gedacht ist, ist offensichtlich: Obwohl dreiundzwanzig Dollar Tagelohn für hiesige Verhältnisse wirklich gut zu sein scheinen, helfen sie nicht sonderlich viel, wenn man davon zunächst neues Land kaufen muss, weil das alte verseucht ist. Wenn man irgendwann alle Lebensmittel von außerhalb kaufen muss. Wenn man zwar ein Dach über dem Kopf hat, aber keine Möglichkeit, an sauberes Wasser zum Baden und Waschen zu kommen. Wenn man die Kosten für Ärzte und Medikamente aufbringen muss...

(Patricio hat erzählt, dass das Minenunternehmen ihm, als er der »Präsident« von El Paraíso war, stolze sechshundert Dollar pro Monat versprochen hatte: Damit er sich nicht gegen den Kupferabbau äußere oder über die Risiken und Nebenwirkungen berichte.)

Zurück zu Junin: Heute gibt es dort Betten für Touristen, die kommen, um von den Kämpfen und Siegen der Vergangenheit zu erfahren und die (wieder) unberührte Natur zu erkunden. Etwas erschrocken war ich aber, nachdem ich von der Direktorin der ganzen Angelegenheit erfahren hatte, dass eine Übernachtung in Junin stolze dreißig Dollar kostet! Freiwillige, die in Junin Englisch- und Computerkenntnisse vermitteln sollen, zahlen stolze fünfzehn bis zwanzig Dollar. Täglich – ich bin noch kein Freund des turismo comunitario, für den ich mich in Pucará ja eigentlich stark machen soll!

Die asamblea der Frauen war nicht sonderlich spektakulär: Eine interessante Rede über und gegen den Machismus von einer Frau, die nicht nur gebildet und entschlossen wirkte, sondern durch viele Fragen an ihre Zuhörerinnen versuchte, diese aus ihrem Trott zu reißen, war der Anfang der sonst ziemlich zähen – Basisdemokratie... – Veranstaltung. Die Rednerin appellierte an die Zuhörerschaft, die bestimmt zu einem Drittel aus Männern bestand, dass diese die Arbeit der Frauen – die ungelogen so beschrieben wurde: kochen, waschen, putzen, Klatsch und Tratsch in der Dorfgemeinschaft, Erziehung der Kinder, Ehefrau – anerkennen und der Tatsache, dass ohne diese Arbeit kein Ehemann, keine Familie überleben könne, ins Auge blicken solle.

Die Rückfahrt nach Apuela war dann noch ein kleines Abenteuer. Wir fuhren mit der ranchera, einem Laster, der einen Bretterverschlag mit Sitzbänken geladen hat, in dem wiederum viele Passagiere Platz finden. Dieses Gefährt war erst langsam unterwegs, dann gar nicht mehr: Der Keilriemen riss. Nach einer Weile konnte er jedoch ersetzt werden – mit durch einen Nylonstrumpf. So kamen wir immerhin in die nächste Ortschaft, in der wir dann nochmal ein Stündchen warten musste, bis ein neuer Keilriemen aus Apuela gebracht wurde. Dort kamen wir dann schließlich noch an – wer hätte das gedacht?

miércoles, 22 de septiembre de 2010

Von Bergseen und Ministern

WEIL ICH DERZEIT so oft in Apuela bin, kann ich die Blog-Schlagzahl ein wenig erhöhen – und mal wieder von dem schreiben, was ich hier tagein, tagaus erlebe! Es hat sich etwas getan; nicht allzuviel, aber genug, um davon zu berichten.

Obwohl ich mir Anfang September gesagt hatte, vor Anbruch des kommenden Monats kein weiteres Mal nach Otavalo oder in eine andere Stadt außerhalb Íntags zu fahren, habe ich am vergangenen Donnerstag wieder den Weg nach Otavalo angetreten: Spontan habe ich Nora, die – ebenfalls mit YAP – in Apuela arbeitet, begleitet, um mit ihr um den Cuicocha-See zu umwandern. Erstmals seit Nicaragua kam ich in den (hier: zweifelhaften) Genuss, eine längere Strecke auf der Ladefläche einer camioneta (Pick-Up) zurückzulegen, da beim Warten auf den Bus nach Otavalo ein solches Gefährt geradezu provokant vor uns angehalten und sein Fahrer sich dazu bereiterklärt hatte, uns mitzunehmen. Wir hatten allerdings nicht bedacht, dass die rund fünfzig Kilometer nach Otavalo fast ausschließlich auf einer sehr holprigen Sandpiste zurückgelegt würden – was uns dazu zwang, über der Hinterachse des Fahrzeuges zu sitzen, um nicht gleich wieder von der Ladefläche katapultiert zu werden. Dumm: Dass diese Achse direkt hinter der Kabine ist und man also rückwärts transportiert wird. Wider erwarten kamen wir beide ohne rebellierende Mägen an.

Am Freitag ging es dann zur Laguna de Cuicocha. Dieser See liegt auf etwas mehr als dreitausend Metern, südlich des knapp fünftausend Meter hohen Cotacachi und eingefasst vom Kraterrand eines erloschenen Vulkans. Im See liegen zwei Inseln, auf die möglicherweise der Name des Sees zurückzuführen ist: Der Begriff cuicocha kommt aus dem Quichua und besteht aus den Wörtern cui, was Meerschweinchen bedeutet, und cocha, was für See steht. An dieser Stelle sei erwähnt, dass überhaupt alle den Inka bekannten Berge Ecuadors – und das sind die meisten – ihre von den Inka erdachten Namen behielten und nicht wenige Städte nicht umbenannt wurden.

Zurück zum Meerschweinchensee und dessen Umrundung. Gute vier Stunden brauchten wird, um das Gewässer auf dem Kraterrand zu umwandern – dabei boten sich uns tolle Ausblicke auf die südlich und westlich von Otavalo liegenden Berge Taita Imbabura und Fuya Fuya, die beide knapp fünftausend Meter hoch sind, und auf den schneebedeckten Cayambe zwischen Otavalo und Quito, der mit seinen fünftausendsiebenhundertsechzig Metern immerhin die höchste Erhebung auf dem Äquator darstellt. Doch auch der See sah spektakulär aus, wie er da dunkelblau vor uns lag, mit den beiden grünen Inselchen in seiner Mitte und eingerahmt von den steilen, begrünten Hängen die sich in das kühle Nass stürzen. Auch Blumen gab es zu bestaunen – es dürfte das erste Mal in meinem Leben gewesen sein, dass ich bereute, mich auf diesem Feld überhaupt nicht auszukennen! – und Eidechsen, die sich allerdings nur sehr selten blicken ließen.

Wieder beim Ausgangspunkt angekommen, stand die Sonne senkrecht über uns, meine Oberarme waren ziemlich dunkelrot und wir zufrieden, diese kleine, aufgrund der Höhe aber phasenweise dennoch anstrengende Wanderung unternommen zu haben! Ich konnte noch einen Guide für eine Mögliche Cotacachi-Besteigung ausmachen, und schon machten wir uns wieder auf den Weg nach Otavalo, wo wir uns mit anderen Freiwilligen trafen.

Am Samstagmittag – ich hatte den ersten Bus verschlafen und wollte im zweiten nicht mitfahren, weil der voll war und mir mein Kopf, meine Beine und meine Müdigkeit es mir nicht verziehen hätten, die drei Stunden im Stehen zurückzulegen – fuhr ich dann zurück nach Pucará. Bei der Gelegenheit habe ich fast meine Kamera eingebüßt, die noch auf meinem Platz lag, als ich schlaftrunken aus dem Fahrzeug sprang – und war irgendwie zufrieden, wieder in diesem verschlafenen Nest in Íntag angekommen zu sein!

[Zum Sonntag sage ich aus Respekt vor denen, deren Herz für einen Fußballverein aus der Nähe der Autobahnausfahrt Herne-West schlägt, nichts. Schön war's und ist's!]

Am Dienstag fand dann das statt, worauf ich mich schon seit ein paar Tagen gefreut hatte. Ich durfte arbeiten! Bisher hatte ich mich mit kleinen Arbeiten wie der Reparatur einer Tür, des Verlegens der Abflussrohre eines Spülbeckens, dem Aufsammeln von Müll und dergleichen beschäftigt. Jetzt kam ich zu der Ehre, genau die Arbeit zu tun, die ich von vornherein nicht machen wollte: Mein erklärtes Ziel war es, nach Jahren der Jugendarbeit gegen Ende meiner Schullaufbahn und einem Jahr Arbeit mit Kindern in Nicaragua auf diesem Feld vorerst nicht mehr tätig zu werden. Und dann kam der Vorschlag, dass ich doch mit den Grundschulkindern aus Pucará eine Gruppe aufbauen könnte, in der es ums Vorlesen, Lesen und Erfinden von Geschichten, ums Theaterspielen, ums Zeichnen – kurz: Um die Entfaltung und Förderung der Kreativität geht.

Trotz meines Vorsatzes gefiel mir die Idee auf Anhieb: Das könnte ein Engagement sein, das zwar kein Bargeld bringt und von heute auf morgen möglicherweise keinerlei Vorteile mit sich bringt, auf lange Sicht aber sehrwohl positive Effekte auf die Entwicklung und Persönlichkeit der Kinder haben kann. Und ins Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe passt diese Unterstützung nach meinem Verständnis auch eher als die Finanzspritzen, die ich bisher vor allem gesehen habe...

Wenn wir es schaffen, diese Gruppe in Pucará zu etablieren und die Kinder Gefallen finden an diesem Angebot, werde ich von nun an zweimal wöchentlich mit dieser Aufgabe beschäftigt sein. Den Rest der Zeit sollte weiterhin/hoffentlich bald die Arbeit mit und für und von Peter in Anspruch nehmen.

Last but not least: In einigen wenigen Zeitungen (Stand: Sonntag) war bereits davon zu lesen, dass der für seine hervorragende Arbeit und perfekte Eignung viel und völlig zurecht gerühmte Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (»Entwicklungsminister«), der ehrenwerte Herr Dirk Niebel, das beinahe in trockenen Tüchern geglaubte Engagement Deutschlands für das Naturschutzgebiet Yasunín in Ecuador abgesagt hat. Es handelt sich hierbei um ein bisher einzigartiges Vorhaben, oder besser: Es hätte sich um ein bisher einzigartiges Vorhaben gehandelt. Im Yasunín-Reservat, das, wie andere Gegenden Ecuadors, eine atemberaubende Artenvielfalt aufweist, liegen große Erdölvorkommen begraben, die die ecuadorianische Regierung gewinnbringend und umweltzerstörend fördern könnte – doch bevor dieser Schritt getan werden konnte, kam von ausländischen Regierungen – unter anderem aus Deutschland, allerdings noch vor der laufenden Legislaturperiode – der Vorschlag, in diesem Fall das Erdölvorkommen Erdölvorkommen sein zu lassen. Im Gegenzug hätten Deutschland und andere Staaten die Hälfte der möglichen Einnahmen ohne weitere Gegenleistungen, abgesehen von der Nich-Förderung des Erdöls, in einen Fonds eingezahlt, der durch seine Zinsen die Finanzierung von Projekten im Bildungs- und Gesundheitssektor in Ecuador ermöglicht hätte. Als der ecuadorianische Präsident vor kurzem die Frist, innerhalb derer die Zahlungen hätten getätigt werden müssen, von einem auf ein halbes Jahr kürzte, wurde bereits das Ende des ehrgeizigen Vorhabens befürchtet. Seit nun Dirk Niebel an der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zweifelte und ankündigte, keine Gelder aus seinem Etat zur Verfügung zu stellen, ist vom beinahe sicheren Tod dieser interessanten Idee die Rede. Ob der Herr Minister noch umzustimmen oder das Projekt auch ohne Deutsche Hilfe durchzuführen ist, steht derzeit in den Sternen – aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und vielleicht meint es Herr Niebel ja auch nur gut: Nach der Zusammenlegung von DED und GTZ hätte er womöglich nicht mehr genügend hervorragend ausgebildete Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, die er zur zuverlässigen Überwachung der Erfüllung des Abkommens nach Ecuador schicken könnte...

jueves, 16 de septiembre de 2010

Alltag

WAS MACHT MAN eigentlich so den ganzen Tag in einem Dorf, in dem nur – nehmen wir mal an – rund einhundert Menschen leben und das von der Außenwelt mehr oder weniger abgeschnitten ist? Arbeiten! – dachte ich. Das ist Quatsch! – weiß ich jetzt. Also: Was machen die Leute hier? [Ich kann hier (noch) nicht für alle Pucareños antworten, weil ich die meisten nicht von morgens bis abends begleite oder mitbekomme. Aber grundlegend unterscheiden sich die Tagesabläufe der Leute hier nicht, und so kann man sich anhand des Alltags meiner derzeitigen Gastfamilie sicherlich schon einiges vorstellen.]

Es geht früh los. Vicente sitzt ab kurz vor sieben auf der Bank vor dem Haus, zusammen mit seiner fast gleichaltrigen Nichte Jessica und gelegentlich auch mit seiner Mutter, und wartet auf den Laster, der Jessica und ihn mit nach Apuela nimmt, wo die beiden auf das colegio, die weiterführende Schule, gehen. Während Vicente und Co. draußen sitzen, läuft für gewöhnlich in dem Zimmer, das an meins grenzt, Musik. Oder, besser: Reggaeton. Und das so laut, dass sogar ich davon aufwache. Bis ich dann bei Bewusstsein bin, sind die Schülerinnen und Schüler schon kurz vor Apuela – und mein Gastvater, Don Manuel, arbeitet seit einer knappen Stunde. Kurz nach Sonnenaufgang – also um kurz nach sechs – macht er sich, meistens mit einer Hacke oder sonstigem leichten Werkzeug ausgestattet, auf den Weg: Etwas oberhalb von Pucará befinden sich die Felder eines Nachbarn, auf denen Don Manuel stets mitarbeitet: Bohnen, Mais, Erbsen, Kartoffeln etc. werden geerntet und die Felder dann neu bestellt. Geld bekommt mein Gastvater für diese Arbeit nicht, aber er erhält einen Teil der Ernte. Doña Empera, meine Gastmutter, sagt, dass die Ernte zwischen den beiden Herren – dem Besitzer und Don Manuel – geteilt würde, was ich allerdings bezweifle. (Nichtsdestotrotz muss meine Gastfamilie keinen Hunger leiden.) Meine Gastmutter frühstückt zunächst gemeinsam mit mir: Brot, Kaffee und ein (manchmal halbrohes) Ei und macht dann vormittags, was eben so anfällt. Sie füttert die Schweine, die ich trotz intensiver Suche irgendwie noch nicht entdecken konnte, wäscht, löst Maiskörner vom Maiskolben oder Erbsen oder Bohnen aus ihren Hülsen, füttert die Hühner (was schnell geht) und unterhält sich auf der Straße mit den Nachbarn.

Um möglichst genau zwölf Uhr mittags gibt es dann Essen. Meistens sind wir zu dritt; Doña Empera, Don Manuel und ich. Es gibt immer zunächst eine Suppe, in der nicht selten ein (Stück) Huhn schwimmt. Es folgt immer: Reis. Mal mit Mais, mal mit Bohnen, mal mit Erbsen, mal mit Kartoffeln, mal mit de todo un poco; und oben drauf liegt nicht selten ein Spiegelei. Das Mahl sättigt nicht schlecht und immer wieder passiert es, dass ich mich nach dem Essen erstmal hinsetzen und tief durchatmen muss.

Nach dem Mittagessen geht es dann weiter: Don Manuel geht manchmal zurück aufs Feld, bleibt aber auch hin und wieder zu Hause. Hier putzt er dann das BMX von Vicente oder seine Gummistiefel oder setzt sich vor die kleine Kirche, die auf der anderen Seite des Sandweges, der am Grundstück der Familie vorbeiführt, steht: Weil dort immer irgendwer vorbeikommt und sich dann zu ihm gesellt, ist er dort auch nie allein. Vicente kommt um zwei Uhr rum nach Hause, sieht fern, hört wieder Reggaeton, telefoniert und hilft manchmal Doña Empera bei kleinen Arbeiten. Als die beiden das kleine Stück Rasen zwischen Haus und Maisfeld gepflegt haben, als wären wir hier in England, kam mir jedoch der dumpfe Verdacht, dass die beiden, zumindest in jenem Moment, auch Mühe hatten, beschäftigt zu bleiben. Doña Emperas Programm sieht am Nachmittag so aus wie am Morgen.

Ab spätestens fünf Uhr ziehen dann ziemlich rasch ziemlich viele Wolken auf, die langsam sinken und in ihrer Bewegung Pucará in Nebel hüllen. Dann wird es ziemlich frisch und bald darauf auch schnell dunkel – am Äquator fackelt die Sonne weder beim Auf- noch beim Untergehen lange: Zeit zum Abendessen! Das sieht dem Mittagessen ähnlich, kommt ihm bei der Größe der Portionen aber glücklicherweise nicht so nah. Und: Abends sind wir zu viert! Nach dem Essen ziehen sich Vater, Mutter, Kind zum Fernsehen zurück, ich gehe die drei Schritte weiter in mein Zimmer und lese. Soweit zum Alltag in der Familie.

Generell würde ich nach den bisherigen Eindrücken davon ausgehen, dass sich hier niemand zu Tode arbeiten wird. Es ist zwar enorm, welche Lasten und Volumen vor allem die Männer manchmal auf ihrem Weg vom Feld nach Hause schleppen – aber so häufig kommt das nicht vor, und wirklich lange scheint am Tag fast niemand zu arbeiten. Warum auch? Die meiste Arbeit, die anfällt, hat direkt mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln zu tun. Arbeitsverträge müssen nicht erfüllt werden, und wer zuviel erntet, kann damit sowieso erst einmal nichts anfangen! Don Gonzalo, den hier alle nur Mono (Affe) nennen, schießt den Vogel ab: Er bietet mir ab und zu schon vormittags einen Schnaps an. Obwohl ich hier wirklich nur sehr ungern Angebote ablehne, weil das schnell als beleidigend aufgefasst wird, kann ich da nicht mitziehen – und inzwischen wundere ich mich über diese nettgemeinten Angebote nicht mehr: Der Mono scheint Pucarás (angeblich) einziger Alkoholiker zu sein.

Und es gibt außer dem Mono noch andere Herrschaften, die nicht auf den Feldern arbeiten. Don Marco beispielsweise. Der wohnt in einem von Peters Projekt erbauten Haus, gemeinsam mit seiner Frau, seiner (?) Tochter und ein paar Hunden und ist zu alt, um ein Feld zu bestellen oder abzuernten. Dafür wacht er über den Schlüssel, der seit neuestem für den Eintritt in die öffentlichen Duschen notwendig ist, und hat einen kleinen Gemüsegarten auf dem Grundstück dieser Duschen. Weil er gegenüber der Casa Comunal wohnt, in der sich auch mein »Gerätelager« befindet, sehe ich Don Marco eigentlich, naja, immer. Nach den Falten in seinem Gesicht zu urteilen, wird er ungefähr vierhundert Jahre alt sein. Seine Witze und seine derbe Ausdrucksweise lassen darauf schließen, dass er vielleicht bald mit der Schule fertig ist. Auf alle Fälle ist er ein ziemlich lustiger Zeitgenosse, und wenn ich mich eine Weile mit ihm unterhalten habe, und das mache ich ja gerne, schenkt er mir regelmäßig zwei guineos, das sind diese kleinen Bananen, die man in Deutschland bekommt, wenn man ecuadorianische Bio-Bananen (so ein Unsinn!) einkauft – und die sowohl in Mittelamerika als auch hier die ganz normalen, süßen Bananen zum sofortigen Verzehr sind.

Und mit diesem kurzen Exkurs zum Thema Bananen beschließe ich diesen Eintrag: Weil schwatzgelb so eine schöne Farbe ist!

domingo, 12 de septiembre de 2010

Arbeit und -losigkeit

ES IST SCHADE, wie der »Entwicklungspolitische Freiwilligendienst« des Bundesministeriums für Zusammenarbeit, »weltwärts«, immer wieder in der Kritik steht: Den Freiwilligen wird, mehr oder weniger pauschal, unterstellt, einen »Egotrip ins Elend« zu unternehmen und dergleichen. Dem habe ich immer widersprochen – und auch weiterhin bin ich davon überzeugt, dass man nicht davon sprechen kann, dass die Einsätze, die durch »weltwärts« ermöglicht werden, grundsätzlich sinnlos sind.

Allerdings merke ich momentan sehr, wie stark die Sinnhaftig- respektive -losigkeit eines Einsatzes im Rahmen des »weltwärts«-Programmes von der guten Planung durch die beteiligten Organisationen abhängig ist. Und von einer Vision, einer Zielsetzung.

Nueva Nicaragua Wiesbaden e.V., der Verein, für den ich nach dem Abitur ein Jahr lang in Nicaragua gearbeitet habe, hatte all dies: Eine gute Planung, eine Vision und Zielsetzungen. Dafür hatte ich kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in Deutschland und vor Ort und meistens etwas zu tun.

Jetzt sieht das anders aus: Wie den ersten Blogeinträgen zu entnehmen ist (oder sein sollte), lief schon während der Vorbereitungsphase nicht alles ganz rund: Plötzlich sollte ich nicht mehr in dem Projekt arbeiten, an das ich vertraglich gebunden war und bin. Dann kam ein weiterer Projektwechsel, der dazu führte, dass wirklich alles unklar wurde und ich gar nicht mehr wusste, was mich erwarten würde. Das nahm ich als Herausforderung wahr und an: Ich würde das schon meistern!

Was die Sprache angeht und die Kultur, den Alltag, passt das auch: Inzwischen habe ich mich einigermaßen eingelebt in Pucará und fühle mich auch wohl dort. In meinem neuen Zuhause im ecuadorianischen Nebelwald, auf zweitausend Metern über Normal Null, mit ebenso einfachen wie herzlichen Mitmenschen, Subsistenzwirtschaft und herrlicher Aussicht.

Arbeitstechnisch sieht es allerdings mau aus: Offiziell bin ich der Koordinator der Escuela de Español de Intag. Doch dieser Titel bedeutet offenbar nicht unbedingt, dass ich alle Hände voll zu tun habe! Da nicht alle wissen, was es mit der Spanischschule auf sich hat, fange ich mal ganz vorne an –

Peter Shear ist US-Amerikaner. Er kommt aus einem ländlichen Staat im Nordwesten der USA und hat vor einiger Zeit seine eigene Nichtregierungsorganisation »C.A.S.A. interamericana« ins Leben gerufen. (C.A.S.A. steht für »Centro para las artes, el sustento, y la acción«, also Zentrum für Kunst, Nachhaltigkeit und Aktion.) Nach einigen Jahren in Guatemala hat es Peter nach Ecuador verschlagen. Hier kam er angesichts der rund zweihunderttausend Sprachschülerinnen und Sprachschüler auf die Idee, eine eigene Sprachschule aufbauen. Die sollte nicht in einer der üblichen Städte – Quito, Cuenca, Otavalo et cetera – sein und nicht von studierten, also relativ wohlhabenden Ecuadorianerinnen und Ecuadorianern unterhalten werden, sondern von Menschen, die hilfsbedürftig sind.

An dieser Stelle kommt Pucará ins Spiel: Ein kleines Dorf, das vor langer Zeit vom Volk der yumbo gegründet wurde, in Vergessenheit geriet und verfiel, um in den Vierzigerjahren des zwanzigesten Jahrhunderts wieder besiedelt zu werden. Pucará liegt auf einem Plateau am westlichen Rand der Anden, thront gewissermaßen über dem Intag-Tal, in dem Apuela liegt, und bietet hervorragenden Bedingungen für Landwirtschaft. Was der Ort nicht bietet: Verdienstmöglichkeiten. Und aus diesem Grund beschließen die jungen Menschen, die in Pucará aufwuchsen und aufwachsen, in die Stadt zu gehen. Nach Otavalo, nach Ibarra, nach Quito. Um Geld zu verdienen, um das Leben zu leben, das das Fernsehprogramm tagtäglich verspricht.

Peter beschloss, in Pucará eine Spanischschule zu gründen: Um Touristen in die Gegend zu locken und mit ihnen Geld. Die vier Lehrerinnen, die derzeit in der Spanischschule arbeiten, kommen aus oder leben in Pucará. Keine von ihnen hatte die Möglichkeit, zu studieren; sie haben Kurse besucht und jeweils eine Urkunde erhalten, die sie berechtig, Spanisch für Ausländer zu unterrichten. Für die Dauer ihres Aufenthaltes werden die Schülerinnen und Schüler in Gastfamilien untergebracht: Derzeit nehmen einundzwanzig Familien aus Pucará an dem Programm teil. Für jede Übernachtung erhält die entsprechende Familie zehn Dollar von ihrem Gast. Eine stattliche Summe, wenn man erstens in Betracht zieht, dass das Geld in Pucará selbst kaum ausgegeben werden kann und zweitens weiß, dass der monatliche staatliche Zuschuss für arme Familien dreißig Dollar beträgt!

Geworben wird für die Escuela de Español de Intag mit dem Ausdruck des turismo comunitario, dessen Übersetzung ins Deutsche ich nicht kenne: Gemeint ist eine Art Tourismus, von der die Einheimischen und am besten gleich eine ganze Gemeinschaft profitiert – und nicht ein Reiseunternehmen. Außerdem bietet die Spanischschule in Pucará Freiwilligeneinsätze an: Die Schülerinnen und Schüler gehen einen halben Tag in die Spanischschule und werden die andere Hälfte des Tages in die Feldarbeit oder andere Projekte eingebunden.

Soviel zur Spanischschule. Nun zu meiner Arbeit: Als Koordinater dieser Schule. Im Grunde lässt sich meine Arbeit in drei Bereiche einteilen – erstens: Die Arbeit mit den Lehrerinnen. Ich soll ihnen helfen, den Unterricht zu verbessern, indem ich ihnen beispielsweise die Erwartungen und Gedanken der ausländischen Schülerinnen und Schüler näherbringe. Zweitens: Die Arbeit mit den Gastfamilien. Ich schaue, welche Schülerinnen und welche Schüler in welcher Familie unterkommen. Dabei habe ich darauf zu achten, dass jede Familie auf lange Sicht ungefähr gleich viele Gäste hat und somit gleich stark von dem Programm profitiert. Drittens: Handwerkliche Tätigkeiten. Ich muss einen Überblick haben über die anstehenden Aufgaben. Was ist zu tun, was geht wie, und wann wird es am besten erledigt?

Vor allem den letzten Punkt hatte ich mir gewünscht für meinen Freiwilligendienst. Um trotz der Pause vom Architekturstudium irgendwie mit der Thematik auf Tuchfühlung zu bleiben – ganz praktisch und nicht nur in der Theorie. Blöd nur: Dass ich die Arbeiten nach Möglichkeit nicht erledigen soll! Vielmehr soll ich darauf achten, dass genügend Arbeit anfällt, wenn mal Kundschaft für die Schule kommt!

Und das ist genau der Haken an der ganzen Sache: Dass ich das Gefühl habe, ein paar gringas und gringos nicht mehr und nicht weniger als schöne Ferien bereiten zu sollen. Dass das ganze Projekt – so nett Peter ist und so herzlich die Pucareños sind – mit dem, was ich unter Entwicklungszusammenarbeit verstehe, nichts zu tun hat. Es geht um zweierlei: Bargeld für die Einheimischen und Events für die Touristen. Nun sind ja diese beiden Dinge per se nicht zu verteufeln – aber hier führen sie doch zu einem ziemlich wackeligen Konstrukt: Sobald Peter, warum auch immer, nicht mehr hier ist, um Schülerinnen und Schüler aus den USA zu mobilisieren und somit das Einkommen der Pucareños, ist die Sache gelaufen.

Mein Ziel ist es, eine Idee zu entwickeln, die das Projekt auf eine andere Schiene führt: Weg vom Geld, hin zu anderen Anreizen. Die können auch materieller Art sein: Ein Raum für die Jugendlichen, die noch in Pucará leben. Mit Internetanschluss, Computerkursen und Workshops mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zeitung. Zum Beispiel.

Dazu muss ich zunächst die Jugendlichen besser kennenlernen. Dazu muss ich mit Peter sprechen, von dem immerhin das Geld kommt – oder kommen soll. Dazu muss ich mich mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern auseinandersetzen: Damit sie verstehen und unterstützen, um was es geht!

Sollte all das nicht zu Stande kommen, wird es folgendermaßen aussehen: Ich werde mal hier, mal dort etwas reparieren. Mal hier, mal dort helfen, Erbsen zu schälen oder Bohnen. Einkäufe für die Schule tätigen und Fortbildungen buchen. Mit den Gastfamilien und mit an Spanischunterricht Interessierten in Kontakt bleiben. Und das wird der Bezeichnung des »Entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes« des Bundesministeriums für Zusammenarbeit, »weltwärts«, nicht gerecht, finde ich.

Ich hoffe also und denke viel nach. Und werde an gleicher Stelle berichten, sobald ich mehr weiß! Peter kommt in anderthalb Wochen wieder nach Ecuador...

jueves, 2 de septiembre de 2010

Bei Doña Empera

MEINE ERSTE GASTFAMILIE hier in Pucará ist die Familie Gonzales. Ich habe elf Gastbrüder, von denen allerdings nur der jüngste, Vicente, vierzehn Jahre alt, noch hier lebt: Die anderen zehn sind nach Otavalo gezogen, wo sie allesamt in Schreinereien arbeiten und Möbel herstellen. Meine Gastmutter, Doña Magdalena (Emperatriz Gonzales Flores), sagt, dass sie sechzig Jahre alt sei – es ist aber gut möglich, dass das grob geschätzt oder gerundet ist. Mein Gastvater ist (ungefähr) achtzig Jahre alt und heißt Don Manuel (Naranjo).

(Es mag ein unpassender Begriff sein, aber ein besserer fällt mir im Augenblick nicht ein:) Das Anwesen besteht aus fünf Hütten. Die größte nimmt vier kleine Zimmerchen auf, besteht aus Betonblöcken und ist so hoch, dass man aufrecht in ihr gehen und stehen kann. In einem der Zimmer, es ist das kleinste, schlafe ich: Geschätzte sieben Quadratmeter darf ich nun mein Reich nennen. Es ist, nunja, überschaubar und beschaulich und ganz gemütlich: Die Betonsteine wurden irgendwann einmal flüchtig gelb angestrichen, der Fußboden ist nackter wie staubiger Beton. Neben dieser Hütte steht ein Bad, ebenfalls aus Beton, mit Dusche, Waschbecken und Toilette. Warmes Wasser? Wozu! (Dieses Bad ist an die Kanalisation angeschlossen. Dieses Privileg genießen in Pucará nur drei Haushalte. Dennoch ist der Auffangbehälter für die Abwässer schon voll und läuft über. Da hat sich eine Nichtregierungsorganisation einige Dollar dazuverdient mit einer ziemlich unsinnigen, weil schlecht gemachten und vermutlich nicht gut ge- und bedachten sogenannten Hilfe...) Daneben steht eine alte Latrine, die von meinen Gasteltern genutzt wird. Diese Latrine besteht aus einer Art Fachwerk: Ein Holzgerüst, das mit Steinen und Lehm aufgefüllt wurde. Daneben, in ebendieser Bauweise errichtet, steht eine Mischung aus Abstellkammer und Küche. Werkzeuge und dergleichen werden dort gelagert, Meerschweinchen gehalten – cuy ist eine ecuadorianische Spezialität! – und irgendwas wird dort ständig gekocht. Gegenüber befindet sich die eigentliche Küche samt Esszimmer. Auch ein Holz-Lehm-Gebilde, das zusätzlich mit Plastikfolie ausgekleidet ist. Der Fußboden hat den Namen nicht wirklich verdient: Im Lauf der Jahre hat sich der Lehmboden festgelaufen. Die Küche ist ein ziemlich finsteres Loch: Fenster gibt es nicht. Dazu kommt, dass die Raumhöhe ungefähr einen Meter sechzig beträgt. Meine Gasteltern könnten hier vielleicht Seilspringen, wenn sie wollten – bei Vicente und mir sieht es da schlecht aus. Die Küche wird von Hühnern und Küken bewohnt. Das Mobiliar, ein Esstisch mit ein sechs Stühle, haben die Möbelsöhne mitgebracht. Zwischen den beiden Küchen steht ein Betonblock: Rechts und links mit Waschbrett versehen, in der Mitte mit einem Wasserbecken. Hier wird gespült, gewaschen (Essen, Kleidung, Fahrräder, Hühnereingeweide und Princesa, der Hund von Peter) und geratscht. (Entgegen meiner Vermutung ist das »moderne« Betonhaus das älteste Gebäude; die Lehmhütten sehen aufgrund der verwendeten Materialien ziemlich dürftig aus und werden immer wieder renoviert.)

Vicente hat seit dieser Woche keine Ferien mehr. Er wird täglich von einer camioneta nach Apuela gefahren, um dort in die zehnte Klasse zu gehen; dieser Service kostet ein paar Dollar im Monat. Doña Magdalena und ihr Mann gehen keiner bezahlten Arbeit nach. Don Manuel war Bauer und beschäftigt sich nach wie vor auf diesem Gebiet: Erntet mal Erbsen, mal Yucca und ist viel draußen unterwegs, während Doña Magdalena alles regelt, was mit dem Haushalt zu tun hat und nebenbei Taschen knüpft, die sie verkauft. Alle drei, vor allem jedoch die Eltern, sind sehr freundlich und es macht Spaß und bereitet mir Freude, mit ihnen zu plaudern. Und Doña Magdalena findet Gefallen daran, mich Kartoffeln schälen sowie Erbsen und Bohnen pulen zu lassen. Warum auch nicht?

Verglichen mit meiner Gastfamilie in Nicaragua, die man dort vielleicht zur verschwindend geringen Mittelschicht zählen könnte, ist meine jetzige Gastfamilie wirklich arm. Aber ein paar Dollar verdienen sie mit mir ja – und für alles Andere gibt es den Garten hinter der Küche, in dem Gemüse und Kräuter zu finden sind. Und für mich ist es eine neue Erfahrung, die mir sicherlich nicht schadet und bisher sogar gut gefällt! (Auch wenn die Beschreibung des Hauses mitunter etwas bissig klingen mag, fühle ich mich doch sehr wohl hier und kann mich über nichts beklagen, abgesehen von den enorm großen Portionen, die mir dreimal am Tag auf meinen Teller geladen werden, doch dazu bald mehr.)

Bemerkenswert – und nachvollziehbar – finde ich, wie sich in Pucará alle Menschen aus dem eigenen Garten ernähren. Alle bauen auf dem kleinen Grund, den sie besitzen, Nahrungsmittel an: Kartoffeln, Salat, Erbsen, Bohnen, Karotten und melloco, eine Art Kartoffel, nur kleiner und gelb, sind sozusagen der Standard. Andere, die mehr Platz haben, können auch Orangen, Bananen, Zitronen und deren geschmacklose Verwandte, die lima ernten, außerdem Ananas, naranjilla, guyaba, Pithaya, Brombeeren und andere Früchte mehr. Weniger nachvollziehbar ist für mich die Tatsache, dass dennoch der Reis die Basis jeder Mahlzeit ist – dabei muss der zwangsläufig gekauft werden, weil er hier oben, in diesem Terrain und in den kleinen Gärten nicht angebaut werden kann. Auch Fleisch wird in der Regel dazugekauft, da nur die wenigsten über Kühe oder Schweine verfügen, die meisten aber Meerschweinchen und/oder Hühner besitzen.

Und wo ich schon beim Essen bin: Gut schmeckt's! (Das allermeiste jedenfalls...) Grundsätzlich gibt es Reis, der hier, wie in Deutschland, in Wasser gekocht wird und nicht, wie in Nicaragua in Öl. Dazu gibt es oft Erbsen oder Bohnen und ein Stück Fleisch und ein Spiegelei. Zumindest mittags, aber ab und zu auch abends, gibt es vor dem Reis plus X noch eine Suppe. In der schwimmen meistens Reis und ein paar Kartoffelstücke; dazu wird häufig Popcorn – palomitas – gereicht, das sozusagen die Backerbsen ersetzt. Einen Nachtisch gibt es nie, aber hin und wieder werden als Salat ein paar Stücke Papaya kredenzt. Zum Frühstück gibt es für mich immer ein Ei und irgendeine Teigware – empanadas oder tortillas. Für den Rest der Familie sieht das nicht anders aus, allein es fehlt das Ei.

Mir fehlt es an weiteren Dingen, von denen ich berichten oder die ich beschreiben möchte und euch sicherlich an Zeit, noch mehr zu lesen.
Pues, que la pasen muy bien, y hasta la próxima – chao!