jueves, 25 de noviembre de 2010

Von Affen und Schamanen

WIEDER IN PUCARÁ geht es ziemlich genau da weiter, wo es aufgehört hat: Es regnet, ist relativ kalt und sehr, sehr grau. Was aussieht wie der Herbst in Deutschland, ist der ecuadorianische Winter. Zum Glück konnten Julian und ich dieser ungemütlichen Jahreszeit ein wenig entfliehen!

Nach zwei komplett verregneten Tagen in Quito brachen Julian und ich am Dienstagmittag nach Baños auf: Dieses Städtchen liegt rund drei Stunden südöstlich von Quito und wird wegen seiner heißen Quellen gerne von (Rucksack-)Reisenden besucht. Auch seine Lage zwischen der sierra und dem Amazonastiefland hat ihm zu einem Stammplatz auf der Route Ecuadorreisender verholfen. Wir fuhren dort hin, um dem winterlichen Quito zu entfliehen – und wurden wettertechnisch leider nicht belohnt. Immerhin: Die Fahrradtour Richtung Puyo führte uns durch die Pastaza-Schlucht Richtung Amazonastiefland und immer wieder boten sich uns tolle Blicke ins tief in die Berge eingeschnittene Tal. Am Ende unserer Tour konnten wir noch einen ersten Blick auf die Amazonasebene erhaschen, bevor der Regen einsetzte und wir den nächsten Bus zurück nach Baños nahmen.

Nach der kleinen Radtour ging es ziemlich direkt nach Quito zurück. Dort wartete ein etwas stressiges Programm auf uns: Wir mussten unser Gepäck im Hostal in der Altstadt abholen, es bei dem Busunternehmen, das uns später nach Lago Agrio bringen sollte, abgeben und dann zum Stadion fahren, in der Hoffnung, noch Eintrittskarten zu bekommen: Des Freundschaftsspiel der ecuadorianischen Nationalmannschaft gegen Venezuela stand an, und wir wollten uns dieses Event nicht entgehen lassen!

Für zehn Dollar haben wir Karten für die Gegentribüne bekommen, und beim Schlangestehen vor den ziemlich nachlässigen Kontrollen wurden wir von zwei jungen Ecuadorianern angesprochen, mit denen wir uns während des Spiels gut unterhielten und die bei meinen nächsten Quitofahrten eine Anlaufstelle sein könnten, wenn ich das Leben in Hostals leid bin. Das Spiel fing unterhaltsam an, und nach gefühlten drei Minuten stand es bereits zwei zu null für die gasgebende Mannschaft. Bis zur Halbzeit fiel noch ein weiterer Treffer für die Heimmannschaft, und nach dreiundneunizg Minuten stand es vier zu eins.

Bemerkenswert waren die Verkäuferinnen und Verkäufer im Stadion: Während des gesamten Spiels liefen sie durch die Ränge und priesen ihre Waren lauthals an: Bier, Softdrinks, empanadas, Bonbons, Chips, Zigaretten. Ansonsten war die Stimmung eher mittelprächtig. Die Tribünen waren beiweitem nicht ausverkauft, wie es bei einem unbedeutenden Freundschaftsspiel und bei diesen Witterungsverhältnissen, noch dazu unter der Woche und abends, wohl weltweit zu erwarten gewesen wäre.

Später an diesem Abend stiegen Julian und ich in den Bus der Trans Esmeraldas, der uns in den oriente bringen sollte, genauer: nach Lago Agrio, im Nordosten des Landes, unweit der kolumbianischen Grenze. Die achtstündige Nachtfahrt war schrecklich, der Fernseher unglaublich laut und der Film – »Papá se volvió loco« – unglaublich schlecht. Immerhin: Als wir am Folgetag um halb sieben Uhr morgens in Lago Agrio ankamen, schien die Sonne! Und es war warm.

Nach dem Frühstück wurden wir und zwölf weitere Touristen von Mariana abgeholt: Die sollte für die folgenden fünf Tage unsere Führerin sein und uns sicher durch den Dschungel bringen. Doch zunächst standen zweieinhalb weitere Stunden im Bus an. Wir fuhren bis zur Cuyabeno-Brücke, wo unser Gepäck und wir in motorisierte Kanus verfrachtet wurden. Nun ging es zwei Stunden auf dem Cuyabeno-Fluss stromabwärts bis zu unserer Lodge. Unterwegs war das dichte Grün des Dschungels zu bestaunen, das leuchtende Blau der Schmetterlinge, das ununterbrochene Gezwitscher verschiedener Vögel. Auch Affen konnten wir beobachten, um sogar die rosafarbenen Flussdelfine konnten wir entdecken. Die Bootsfahrt durch den Dschungel war aufregend: Wir waren von Wasser, dem Grün des Urwaldes und der vielseitigen Klangkulisse, für die die Dschungelbewohner sorgten, umgeben. Keine Strommasten, keine Häuser, keine Straßen, keine Verkehrsgeräusche. Nur der Dschungel und wir!

Unsere Gruppe bestand aus zehn Menschen. Neben uns nahmen eine pensionierte Lehrerin und ihre Tochter aus Texas, ein australisches Paar und vier Freiwillige aus Australien an der Tour teil. Ein Schwede, eine Deutsche und zwei Deutsch-Spanierinnen, die zuvor mit uns im Bus zur Brücke gefahren waren, waren einem anderen Guide zugeteilt worden. Wir waren in einer Lodge am Ufer des Cuyabeno unterbracht: Zwei Holzhäuser mit Einzel- und Doppelzimmern und ein Küchen- und Esszimmerpavillon, jeweils aus Holz und mit Palmblättern gedeckt, machten die gesamte Anlage aus. Zwei Solarpaneele sorgten für die nötige Stromversorgung in der Küche, in den Zimmern mussten Taschenlampen und Kerzen herhalten. Das Wasser kam aus (Regen-)Wassertanks, die Wasserpumpe wurde ebenfalls aus den Solarpaneelen gespeist. Abgesehen von den verwendeten Materialien und der Form der Energiegewinnung wurde hatte ich nicht den Eindruck, dass die Lodge ihrer Bezeichnung gerecht werden könnte: Eco Lodge. Alles, was uns im Laufe unseres Aufenthaltes aufgetischt wurde, war in Quito und Lago Agrio eingekauft und dann mit dem Boot durch den Urwald geschippert worden! Beschweren möchte ich mich aber nicht: So gut hatte ich bis dato noch nicht gegessen in Ecuador!

Am ersten Abend fuhren wir mit unserem Motorkanu, in dem die gesamte Gruppe Platz fand, an die Laguna Grande, um eine Runde zu schwimmen und um den Sonnenuntergang zu betrachten. Das war wunderschön: Ein Sonnenuntergang wie auf einer zu kitschigen Postkarte, dazu die ganzen fremdartigen Geräusche aus den Bäumen, die um die Lagune herum und in der Lagune wachsen!

Am zweiten Tag, dem Freitag, stand ein Spaziergang durch den Dschungel an. Wir bekamen große Bäume und kleine Pilze zu sehen, giftige Frösche und farbenfrohe Insekten. Besonders die »Zitronen-Ameisen« fand ich spannend: Die schmeckten nach Zitrone, sagte Mariana – und schon waren wir alle am Ameisenessen! Abgesehen von der Ameise, die mir in die Zunge biss, hat sich der Snack gelohnt; die Ameisen schmeckten tatsächlich nach Zitrone! Nach etwas mehr als zwei Stunden kamen wir zum Boot zurück, um wieder in die Lodge zu fahren. Der Spaziergang war einerseits interessant gewesen – andererseits fand ich es befremdlich, dass wir mitten im Dschungel auf einem Trampelpfad herumliefen, an dem sich die Heilpflanzen reihten wie an einem Waldlehrpfad. So ganz unberührt und wild war das alles nicht. Aber vermutlich war es auch sehr naiv gewesen, so etwas zu erwarten: Wo es eine Lodge gibt und derart organisierte Reisen, muss eine gewisse Touristeninfrastruktur vorhanden sein...

Nachmittags fuhren wir mit Angeln ausgestattet erneut zur Lagune: Wir angelten Pirañas! Die sind nach Marianas Informationen gar nicht so aggressiv und gefährlich, wie ich es aus Dokumentationen gekannt hatte. Von Killermaschinen, die jeden Schwimmer innerhalb weniger Sekunden komplett verschlingen und in Boote springen, um deren Besatzung zu verspeisen kann also keine Rede sein. (Wir hielten jedoch an dieser Vorstellung fest, um den Nervenkitzel nicht zu verlieren!) Julian, der sich schon lange auf diesen Programmpunkt gefreut hatte – ich glaube fast, er kam nur deshalb nach Ecuador! – war dann auch der erste mit einer Piraña am Haken! Auch der zweite Fang sollte seiner sein, dieses Mal allerdings ein Katzenfisch. Alle Fänge wurden wieder in den Cuyabeno geschmissen: Kleine Pirañas bieten nicht ausreichend Fleisch zum Verzehr, und die großen sind oftmals mit Parasiten verseucht, sodass sich der Genuss des Pirañafleisches heftig auf die Gesundheit des Genießers oder der Genießerin auswirken kann...

Den Sonnenuntergang sahen wir erneut vom Wasser aus: Wir fuhren in einen Seitenarm des Cuyabeno, beobachteten Kormorane und andere Vögel und fuhren dann zu den Stellen, an denen Mariana und unser Fahrer Kaimane vermuteten. Leider sollten wir nicht das Glück haben, Kaimane aus der Nähe betrachten zu können. Das hatte vor allem zwei Gründe: Den hohen Wasserstand des Flusses, der es den Echsen erlaubt, sich tief ins Gestrüpp zurückziehen zu können und den Vollmond, der den Reptilien den Schutz der Dunkelheit nahm und sie so daran hinderte, ihre Verstecke zu verlassen.

Den Samstag nutzten wir, um eine Gemeinde stromabwärts zu besuchen. Wir bekamen gezeigt, wie das Yuccabrot hergestellt wird, eine Art geschmackloser und weißer Pfannkuchen und in Deutschland zurecht unbekannt. Viel aufregender als diese etwas bizarre, weil wie Routine wirkende Vorstellung – wir waren ja nicht die erste Gruppe dort... – war Nacho: Das ist der Affe des Dorfes! Ein Dorfbewohner hatte ihn auf dem Markt in Lago Agrio gekauft, um ihn in die Freiheit zu entlassen, was nicht den Plänen des jungen Affen zu entsprechen scheint: Er bekommt Nahrung im Dorf und viel Aufmerksamkeit von den Touristengruppen, sodass er das Leben bei den Menschen dem in der Wildnis vorzieht. Mittlerweile dürfte es eh unwahrscheinlich sein, dass Nacho noch fähig ist, in freier Wildbahn zu überleben.

Im Anschluss ans Yuccabrotbacken und ans Spielen mit Nacho versuchten Julian, drei der Australianer und ich uns im Fußballspiel bei viel zu hohen Temperaturen gegen die Dorfbewohner und unseren Fahrer. Am Ende siegte die Heimmannschaft mit sieben zu fünf, und wir waren vollkommen erledigt. Doch ein Bad im Fluss, in sich außerdem (bestimmt) Pirañas, Kaimane und Flussdelfine tummelten, konnte uns einigermaßen wiederherstellen.

Der letzte Teil unserer Exkursion führte uns zu einem Schamanen. Der scheint sich vorrangig von Ayahuasca (yahé), einem Trank, der Halluzinationen hervorruft, und guando (Engelstrompete) zu ernähren, um sich mit den Tieren, den Pflanzen, der Erde, dem Himmel und allem Anderen in Verbindung zu setzen und um in der Lage zu sein, die Krankheiten seiner Patientinnen und Patienten zu erkennen. Dass er tatsächlich immer so anzutreffen ist, wie wir in kennenlernten: Mit Federschmuck, roter Schminke im Gesicht und vielen Ketten um den Hals, bezweifle ich. Auch hier vermute ich, dass für die Touristen ein wenig getrickst und gemogelt wird. Verfälschung für die Authentizität, oder so.

Eine wichtige Beschäftigung für den Schamanen stellen die Gruppen dar, die in den Dschungel fahren, um Ayahuasca auszuprobieren. Eine russische Gruppe hatte den weiten Weg nach Ecuador auf sich genommen, um den Schamanen am Cuyabeno zu treffen: Der fertigte den Trank nach der traditionellen Machart an, stellte die Räumlichkeit zu Verfügung, führte eine Zeremonie durch und verabreichte seinen Kundinnen und Kunden den Sud. Für eine solche Prozedur werden pro Person rund siebzig Dollar verlangt – eine beträchtliche Summer, tief im Dschungel, wo es kaum Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben! In oder bei Otavalo gibt es jedes Jahr ein Treffen mit drei Schamanen aus drei Ländern und den dementsprechenden Ayahuascasorten. Die Teilnahme ein diesen Treffen kostet rund dreitausend Dollar – wenn man Glück hat, bekommt man angenehme Halluzinationen, mit etwas Pech übergibt man sich die ganze Nacht lang.

Mariana hat uns ein wenig von ihren Erfahrungen berichtet. Ayahuasca sei sehr angenehm, abgesehen vom Erbrechen vor dem Rausch. Das sei jedoch nötig und sorge für die Reinigung des Körpers. (Als Symptome einer Vergiftung des Organismus durch das Rauschgift wollte sie das Erbrechen nicht deuten.) Der Rausch bestehe dann aus verschiedensten Halluzinationen, akustischer und optischer Natur. Jedoch sei man immer in der Lage, zwischen »Vision« und Wirklichkeit zu unterscheiden. Nach wenigen Stunden ende die Wirkung des Ayahuasca, »hängen bleiben« könne man darauf nicht. Anders sei die Engelstrompete: Die rufe sehr starke Halluzinationen hervor, die manch einer den Rest des Lebens nicht mehr loswürde. Außerdem könne der Rausch vierundzwanzig Stunden und mehr anhalten. Das Einnehmen des guando ist Bestandteil der Ausbildung zum Schamanen.

Den Sonntag verbrachten wir damit, im Fluss zu schwimmen und später auch in der Lagune. Regen hatte eingesetzt und zwang uns dazu, den Tag sehr ruhig zu verbringen. Das war uns recht – wir hatten uns an unsere wilde Umgebung gewöhnt und waren weder von Affen noch von Flussdelfinen wirklich zu beeindrucken. Wie schnell das geht!

Am Montagvormittag fuhren wir zur Brücke zurück und von dort nach Lago Agrio. Dort war ein Bus nach Quito zur Abfahrt bereit, und wir erreichten die Hauptstadt gegen zehn Uhr am Abend. Mit den Deutsch-Spanierinnen und mit Águeda und Marco, die in der Zwischenzeit im Dschungel angekommen waren und mit einer anderen Gruppe vier Tage ein ähnliches Programm absolviert hatten, fuhren wir in ein schönes Hostal in der Altstadt, um dann in die Ronda zu gehen, die angeblich älteste Straße Ecuadors: Hier wollten wir auf meinen Geburtstag anstoßen, der am Dienstag auf dem Kalender stand. Das Unterfangen gestaltete sich schwieriger als erwartet, zu dieser Zeit hatte am Montagabend fast keine Bar mehr geöffnet! Nach einem Bier brachen wir bereits den Heimweg an, der Mann hinterm Thresen machte Feierabend.

Am Dienstag verabschiedeten wir Águeda, die inzwischen wieder in Galizien sein müsste. Auch von den anderen Reisenden verabschiedeten wir uns. Wir drehten eine kleine Runde durch die Altstadt, sahen uns die beeindruckende Compañía de Jesús mit ihren Wänden und Decken aus Gold an und fuhren dann in den Norden der Stadt. Von dort fuhren wir im Bus bis nach Cayambe, um von dort nach Tabacundo zu gelangen. In Tabacundo gibt es eine Farm, auf der zahlreiche Freiwillige arbeiten. Was genau deren Aufgabe ist, weiß ich nicht, Fakt ist aber, dass wir mit ihnen gemeinsam meinen Geburtstag feierten. Ich hatte die nötigen Zutaten für Pizza eingekauft, sodass wir den Pizzaofen der Finca einheizen und ein leckeres Abendessen zu uns nehmen konnten! Nach dem etwas tristen Start in der Ronda in Quito fand mein Geburtstag also noch ein sehr nettes und unterhaltsames Ende...

Mittwochs fuhren Julian und ich nach Otavalo und von dort nach Pucará. Dort wartete, ich habe es bereits erwähnt, schrecklichstes Herbstwetter auf uns: Nebel und Regen und Kälte! Es liegen nur noch wenige gemeinsame Tage in Ecuador vor uns, am Samstag reist Julian nach Nicaragua weiter. Aber wir werden das beste aus der verbleibenden Zeit machen!

miércoles, 17 de noviembre de 2010

November Rain

AUCH IN ECUADOR gibt es einen richtigen November: Seit einer Woche regnet es. Die Tristesse fing am letztem Dienstagnachmittag mit einem bemerkenswerten Wolkenbruch an und führte zunächst dazu, dass der Círculo de lectores - teatreros mit rund zwei Stunden verspätung begann: Bei dem Regen trauten sich die Kinder nicht aus den Häusern.

Die Woche verlief dann unaufregend, Neues gibt es kaum zu berichten. Am Freitag fuhr ich wieder nach Otavalo und traf mich dort mit Polly und vielen der anderen Freiwilligen. Ich weiß nicht, weshalb, aber irgendwie kam es dazu, dass wir in einer der Discos OOtavalos endeten. Salsa, Merengue und Reggaeton allenthalben...

Am Samstag fuhr ich mit Polly nach Quito: Dort sollte am Sonntag Julian ankommen. Doch zunächst erfuhr meine Vorfreude auf den Besuch und meine Fröhlichkeit bezüglich der neuesten Fußballresultate einen Dämpfer. Im Bus hatte mich beim Einsteigen ein junger Mann darauf hingewiesen, dass ich meiner großen Rucksack nicht in die Gepäckablage, sondern unter meinem Sitz verstauen solle. Gesagt - getan. Im Bus schlief ich irgendwann ein, als wir in Quito ankommen, ahnte ich nichts Böses. Erst im Hostal stellte ich fest, dass Wasch- und Geldbeutel fehlten. Im Laufe der Zeit bemerkte ich auch das Fehlen von Regenponcho, Pulli, Gürtel. Das ist alles nicht so wichtig, wobei dreihundert Dollar schon ein Batzen Geld ist, auf den ich nicht unbedingt verzichten wollte. Aber Ärgerlich ist, dass ich auf den Dieb reingefallen bin, der in aller Ruhe den Rucksack öffnen, leeren und wieder schließen konnte. Blöd auch, dass alles, was ich hier nun nachkaufen muss - wie bei dem Wetter eine Regenjacke - von übelster Qualität ist. Regenschirme, die sich nach drei Wochen auflösen, Regenjacken, die nur nach Weichmacher riechen, sich dem Körper aber ungefähr so anpassen wie eine Ritterrüstung...

Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder aufgefordert werde, meinen Rucksack unter den Sitz zu packen: Das wird ein Spaß, den ich mir noch genauer (und gemeiner) ausdenken muss!

Am Sonntag kam dann Julian an. Die letzten zwei Stunden davor war ich zu nichts zu gebrauchen, hauptsächlich aufgekratzt und ziemlich überdreht. Was ist das aber auch für ein Ereignis: Mit ehemaliger Nicaraguakollege und nun sehr guter Freund kommt mich in Lateinamerika besuchen und wir haben zwei Wochen Zeit, um das Land zu bereisen und unsicher zu machen!

Nach der langen Reise war der Herr verständlicherweise erschöpft, sodass außer einem guten Abendessen nichts mehr auf dem Programm stand. Am Montag kauften wir unseren Dschungeltrip, von dem ich bald berichten werde und taten ansonsten nicht viel: Der Regen von Quito machte uns einen Strich durch die Rechnung. Am Dienstag fuhren wir nach Baños, stiegen die rund sechshundert Stufen zu einem Aussichtspunkt über dem Ort hinauf und sahen uns den Súper Clásico an, den River Plate mit eins zu null gegen Boca Juniors für sich entschied. Heute werden wir mit dem Rad Richtung/nach Puyo fahren und dann den Rückweg nach Quito antreten: Dort hoffen wir, das Testspiel zwischen der ecuadorianischen und der venezolanischen Nationalmannschaft sehen zu könne; am Montag hatte der Vorverkauf noch nicht begonnen...

Bis dahin - bald gibt's mehr!

miércoles, 10 de noviembre de 2010

Im Zweifel für den Zweifel

ZWEIFEL SIND WICHTIG. Und ich bin überzeugt davon, dass die Menschen, die es tatsächlich schaffen, ein Leben zu führen, ohne sich zumindest manchmal zu hinterfragen und dabei gelegentlich in Sinnkrisen zu landen, irgendetwas verkehrt machen – so angenehm ein Leben ohne Zweifel auch sein mag! Andererseits: Zu viele Zweifel sind vermutlich ebensowenig von Vorteil.

Momentan bin ich wieder sehr am Hadern mit dem, was hier so passiert. Die Situation ist irgendwie verzwickt, und ich kann nicht absehen, wie es weitergehen wird.
Nach wie vor bin ich für die Círculos de lectores – teatreros in Pucará zuständig, dieses Angebot für Kinder, das wir dienstags und donnerstags mit dem Ziel veranstalten, den Kindern das Lesen und Schreiben, das Kreativsein und Präsentieren näherzubringen. Erfolge lassen auf sich warten, was jedoch nicht weiter überraschend ist, wenn man sich ansieht, wie das bisherige Bildungsprogramm aussieht: In der Schule wird vor allem Wert auf Drill gelegt, auf Auswendiglernen und -nachplappern. Kreativität scheint eher bekämpft denn gefordert und gefördert zu werden. Dementsprechend fangen wir bei null an, und die Freiheit, die wir dem Drill vorziehen, wird noch gerne ausgenutzt.

Abgesehen von dieser Tätigkeit, die lediglich an zwei Nachmittagen pro Woche stattfindet, bringe ich mich nach Möglichkeit im Periódico ÍNTAG ein. In der am Sonntag erscheinenden Ausgabe wird erstmals ein Artikel von mir zu lesen sein, und in den kommenden Tagen und Wochen werde ich aller Voraussicht nach wieder Artikel ins Deutsche übersetzen, damit die werte Leserschaft in Deutschland neues aus Íntag nachlesen kann, ohne dabei Spanischkenntnisse bemühen zu müssen. Doch auch die Arbeit mit der Zeitung lastet mich nicht sonderlich aus.

Natürlich könnte ich sagen, dass die aktuelle Situation genial ist: Sie lässt mir genügend Zeit, um die Natur hier in Ruhe beobachten und genießen zu können, um mich mit den Menschen entspannt und angeregt unterhalten zu können, um Ausflüge zu unternehmen und so mehr vom Land kennenzulernen! Und ich versuche auch immer wieder, die Dinge so zu sehen – das Positive zu schätzen und die Zweifel beiseite zu räumen. Allein, es glückt mir nicht wirklich! Ich weiß, dass ich nur auf anderer Leute Kosten hier sein kann und habe den Anspruch, diese Unterstützung irgendwie zurückzuzahlen. Mit einem sinnvollen Projekt!

Es gibt zwei Ideen für meine Arbeit in Pucará, die in meinen Augen Sinn machen.
Die erste ist eine kleine Bücherei. In der alten casa comunal, die seit Jahren leersteht, wäre genügend Platz vorhanden, um eine kleine Bibliothek einzurichten. Dazu müsste dieses Gebäude renoviert und entsprechend eingerichtet werden. Für mich schon allein deshalb interessant, weil ich die Renovierungsarbeiten planen und koordinieren sowie das zukünftige Erscheinungsbild der Bücherei entwerfen könnte – eine tolle Übung für mich als Architekturstudent! Für die Círculos de lectores – teatreros ein geeignetes Umfeld, für die Kinder und Jugendlichen Pucarás eine gute Erweiterung des dürftigen Bildungsangebotes und mittel- bis langfristig Arbeitsplatz für vielleicht zwei pucareños. Die Sache hat jedoch zwei Haken: Der erste ist das Geld. Alleine die Renovierung wird uns rund dreitausend Dollar kosten, hinzu kommen Gelder für Möbel und Bücher, später auch für Arbeitsplätze mit Computer. Durch Plattformen wie betterplanet.com dürfte ein großer Teil dieser Kosten finanziert werden können, und ich hoffe auf Weihnachts-Routine-Spenden aus Deutschland, wenn erst einmal die Werbetrommel gerührt wird. Doch hier ist der zweite Haken: Wir haben noch keine Planungssicherheit. Das Gebäude befindet sich auf dem Schulgelände und gehört somit dem Bildungsministerium. Von dem wollen wir eine Garantie, dass wir das Gebäude nutzen dürfen – um sichergehen zu können, dass wir die Kosten für die Renovierung zahlen und davon auch selbst profitieren können. Sprich: Damit am Ende nicht die Schulleiterin kommt und »ihre« Bibliothek zurückfordert, ohne dafür auch nur einen Finger gekrümmt zu haben. Bevor diese Sicherheit nicht da ist, werde ich nicht um Spenden buhlen. Und solange keine Spenden da sind, können wir mit dem Projekt nicht starten. Leider ist es schwieriger als erwartet, eine Zusage vom Bildungsministerium zu bekommen: Ich selbst kann mich darum nicht kümmern; als Ausländer ohne festen Wohnsitz und ohne Verbindungen zum Ministerium habe ich gar keinen Einfluss, keine Ansprechpartner in der Verwaltung. Carolina, Chefin der Zeitung und große Befürworterin des Projekts, will sich seit Wochen um diesen einen Anruf kümmern. Aber entweder erreicht sie niemanden, weil offenbar nur sehr sporadisch gearbeitet wird im Ministerium, oder sie vergisst ihr Vorhaben. Somit bin ich von Carolina, der Anwesenheit der Behörden und schließlich von deren Unterstützung abhängig.

Die zweite Idee für ein Projekt hier kommt von Peter. Sein Wunsch ist es, die Menschen in Pucará zur Mülltrennung und zum Recycling zu erziehen. Dieses Projekt wurde bereits einmal gestartet – und sofort vergessen, als der damalige Freiwillige Pucará verließ! Peter hat diesen Wunsch jedoch nicht vergessen und würde sich freuen, wenn ich ihn endlich in die Tat umsetzen könnte. Die Idee an sich sagt mir zu: Nicht nur, damit die Einwohnerinnen und Einwohner Pucarás endlich begreifen, dass Plastikflaschen und -tüten schädlich für sie und ihre Umwelt sind, sondern auch, weil sich alleine mit Mülltrennung Geld verdienen lässt, das hier durchaus nötig ist: Es gibt Unternehmen, die Plastikmüll aufkaufen und pro Pfund bezahlen! So könnten wir einen Fonds einrichten, aus dem beispielsweise Medikamente bezahlt werden könnten, die hier bitter notwendig sind: Diabetes, Prostataleiden und Osteoporose sind hier so etwas wie Volkskrankheiten, und gute Medikamente sind Mangelware. Das Problem mit diesem Projekt ist ganz simpel: Peter ist zu selten in Pucará! Ich möchte nicht anfangen, mich in die Thematik einzuarbeiten, die Planung übernehmen und am Ende mit der Gewissheit, dass das Projekt scheitern wird, abreisen. Vielmehr bin ich der Auffassung, dass ich Peter, der ja noch lange zumindest sporadisch hier lebt, nur unterstützen kann. Derzeit würde das aber umgekehrt sein; Peter kann nicht mehr als unterstützend wirken.

Ich kann momentan noch nicht sagen, ob eins der beiden möglichen und möglicherweise sinnvollen Projekte realisiert werden kann. Dementsprechend skeptisch blicke ich den nächsten Wochen und Monaten entgegen. Was, wenn ich weiterhin nur das mache, was ich derzeit tue? Hinzu kommt, dass die kleine Hilfe, die wir hier bieten wollen, oft nicht geschätzt und damit sinnlos wird, wie man am Beispiel der Spanischschule sehen kann: Im Andenbärprojekt sind inzwischen neue Freiwillige, die allesamt kein spanisch sprechen und Interesse an ein paar Spanischstunden haben. Ich habe mich mit ihnen und zwei der vier Lehrerinnen in Verbindung gesetzt und Termine vereinbart: Am Montagabend hätte die erste Stunde stattfinden sollen. Von den beiden Lehrerinnen erschien keine.

Es herrscht also eine Diskrepanz zwischen Reden und Handeln derer, die von der Spanischschule profitieren sollten: Während es keine möglichen Schülerinnen und Schüler gab, wurde ich immer wieder gefragt, wie wir an Arbeit für die Spanischlehrerinnen kommen könnten, um diesen zu Praxis und natürlich Geld zu verhelfen. Und bietet sich endlich die Möglichkeit, Spanischunterricht zu geben, scheitert wieder alles an der Zuverlässigkeit der Lehrerinnen. Dadurch wird meine Lust, den Lehrerinnen hinterherzurennen, Workshops zu organisieren und für Schülerinnen und Schüler zu werben, auch nicht gerade größer...

Zu guter Letzt endet das alles in einem tückischen Teufelskreis: Der Unmut über die Situation vor Ort führt dazu, dass ich nach Möglichkeit nicht in Pucará bin und, wie kürzlich, verreise. Meine Abwesenheit führt dazu, dass gar nichts mehr passiert, was mich bei meiner Rückkehr nach Pucará frustriert und dazu veranlasst, am besten gleich wieder zu verreisen. So ist das zumindest momentan: Nach der Woche an der Küste war ich eine Woche hier, um am vergangenen Wochenende nach Cayambe zu fahren und von dort aus die Thermalbäder von Papallacta zu besuchen. Nun werde ich nur bis Freitag in Pucará sein, weil ich das Wochenende in Quito verbringen werde, wo ich am Sonntag meine große Liebe treffen werde. Julian, mit dem ich in Nicaragua gearbeitet habe und der in Berlin quasi mein Nachbar ist, kommt für zwei Wochen nach Ecuador und wird mich während seiner Anwesenheit von Arbeit und -slosigkeit ablenken. Solange Julian hier ist und Ecuador kennenlernt – von der Reise, die bisher noch nicht geplant ist, werde ich im bald berichten! –, sei allen Leserinnen und Lesern dieser kulturelle Leckerbissen ans Herzen gelegt.

Trotz meines Plädoyers an Anfang dieses Eintrags – im Zweifel für den Zweifel – hoffe ich, dass ihr aufgrund des letzten Absatzes nicht zu sehr an meiner Integrität zweifelt: Irgendwie muss icg mich ja angesichts der ganzen Situation und der Ver-Zweiflung über Wasser und am Lachen halten...

lunes, 1 de noviembre de 2010

Detox before you retox!

EIN PAAR TAGE sind ins Land gezogen seit meinem letzten Blogeintrag. Und es ist viel passiert seitdem!
Zunächst war ich noch mit der Gruppe von Carpe Diem beschäftigt. Am Dienstag fand eine kleine Wanderung statt: Es ging ins Tal an den Fluss, und dem Strom folgend nach Apuela. Während dieser Wanderung wurden junge Bäume eingesammelt, um auf Peters Finca eingetütet zu werden: In nicht allzuferner Zukunft werden diese Bäume auf Peters Finca oder im Gemeindewald eingepflanzt. Ich war an diesem Vormittag nicht mit an Bord: Ich hielt es für eine schlechte Idee, mit Husten und generell etwas geschwächt bei Regen und vergleichweise niedrigen Temperaturen zu wandern.

Am Mittwoch fanden wir uns alle auf Peters Finca ein. Ein Teil der Gruppe war mit dem Eintüten der am Dienstag eingesammelten Bäume beschäftigt, ich war mit dem anderen Teil der Gruppe unterwegs: Wir pflanzten Bäume auf einer Weide, die Peter so bald wie möglich komplett aufforsten möchte. Die Arbeit war nicht sonderlich anspruchsvoll – mit Hacken ausgestattet gruben wir Löcher, in die die Bäume gesetzt wurden. Den vielen großen Spinnen und -netzen auszuweichen, war wohl die größte Herausforderung. Aber: Die körperlich auf Dauer doch anstrengende Arbeit hat sehr gut getan, und nebenbei konnte ich mich gut und nett mit den gringas und gringos unterhalten und so mein Englisch in Schuss halten!

Am Donnerstag fuhren Peter und ich mit der Gruppe zunächst nach Apuela. Dort schauten wir uns die Fabrik der AACRI an. Die AACRI – Asociación Agroartesanal de Caficultores Río Íntag – ist eine Organisation, die den Kaffee von rund vierhundert Kaffeefincas zu fairen Preisen einkauft und direkt (also ohne teure Zwischenhändler) exportiert. Wir bekamen erklärt, wie der Kaffee in unterschiedliche Klassen eingeteilt wird, welche Behandlung er in Apuela bekommt und welche Auswirkungen Fair Trade und Bio-Zertifikate auf die Produktionen haben. Interessant ist, dass die AACRI neben dem Kaffee an sich auch andere Produkte herstellt: Es geht hier vor allem um Permakultur, also darum, die Umgebung so zu nutzen, wie sie ist, ohne stark in sie einzugreifen – statt Dünger und andere Chemikalien zu verwenden, die erstens teuer und zweitens nicht gut für Mensch und Natur sind, sucht die AACRI nach Möglichkeiten, Pflanzen aus der Gegend für das Düngen und den Schutz der Pflanzen zu nutzen. Manche Pilze, die an bestimmten Pflanzen Schaden anrichten, können andernorts als Dünger angewandt werden. Und allein dieses Wissen bringt der AACRI auch finanzielle Gewinnen ein, da diese »Natürlichen Chemikalien« an andere Unternehmen verkauft werden.

Später fuhren wir auf die andere Seite des Íntagtals: In Cuellaje gab es zunächst eine kleine Führung auf einer Finca. Dort wird der Mist der zwei Schweine genutzt, um Biogas zu gewinnen. Dazu ist lediglich ein zehn Meter langer »Schlauch« notwendig, durch den der Mist fließen kann: Das Gas wird freigesetzt und kann sofort zum Kochen verwandt werden! Beeindruckend war auch, in welchem Zustand die vielen Plantagen und Beete waren – Terrassenbeete, die allein durch das Pflanzen von Zuckerrohr entstehen, Bäume, die in nur fünf Jahren eine Höhe von zehn bis fünfzehn Metern erreichen und dabei dennoch kein schlechtes Holz produzieren... Später erwartete uns ein leckeres Mittagessen, dessen Highlight das Hühnerhirn war, das ich mir schmecken lassen durfte. Im Anschluss daran wanderten wir nach Apuela zurück. Der Weg führte uns ziemlich steil ins Tal hinab – so schnell habe ich fünfhundert Höhenmeter wohl noch nie zu Fuß zurückgelegt!

Am Freitag, nachdem wir bei den Bädern von Nangulví übernachtet hatten, fuhr die Gruppe über Santa Rosa und Otavalo nach Quito, um am Folgetag die Reise nach Lima anzutreten. Ich blieb in Pucará: Am Nachmittag kamen Polly und Valentin. Polly habe ich vor ein paar Wochen kennengelernt, als sie Peter auf dessen Finca besucht hat. Sie kommt aus München, lebt in Glasgow und arbeitet seit diesem Frühjahr in Cayambe im Wall Street Institute als Englischlehrerin. Nach Pucará kam sie, um uns, oder besser: den Lehrerinnen der Spanischschule einen Workshop anzubieten. Das Thema: Lehren lernen. Das hielten Peter und ich für notwendig, da die vier jungen Frauen, die in der Spanischschule arbeiten, nur in der Schule gesehen und gelernt haben, wie Lehrerinnen und Lehrer arbeiten. Von Pädagogik wissen sie eigentlich nichts, und wie sie als Lehrerinnen auftreten können, ist ihnen auch nicht unbedingt bewusst. Wenn sie also auf das in ihrer Schulzeit erworbene Wissen zurückgreifen, um Ausländern die spanische Sprache näherzubringen, kann der Spanischschule nur ein baldiges Ende bevorstehen!

Valentin ist ein anderer weltwärts-Freiwilliger, der in Tabacundo auf einer Finca und in einer Schule arbeitet. Er wollte am Workshop teilnehmen, um etwas für seine Arbeit in der Schule zu lernen.

An dem für Samstag und Sonntag vorgesehenen und seit langem angekündigten Workshop nahmen dann schließlich und endlich zwei der vier Lehrerinnen teil. Das Geld, dass mit Spanischstunden verdient werden kann, wird zwar gerne gesehen, aber gerade den beiden jüngeren Lehrerinnen – Tania und Anita sind beide noch keine zwanzig Jahre alt – scheint nicht bewusst zu sein, dass sie auch Zeit und Energie aufbringen müssen, wenn sie als Lehrerinnen Geld verdienen wollen... Damit die Veranstaltung nicht zu traurig würde, haben wir kurzerhand andere junge Leute gefragt, ob sie nicht Interesse hätten, an dem Workshop teilzunehmen, und so wurde Pollys Fortbildung doch noch zu einem kleinen Erfolg.

Nach dem Ende des ersten Teils des Workshops fuhren Polly, Valentin und ich nach Peñaherrera. Das liegt rund fünf Kilometer jenseits von Apuela, quasi gegenüber Pucarás auf der anderen Seite des Tals und ist ein wirklich schönes Dorf. Wir fuhren dorthin, weil man mich hatte wissen lassen, dass es an jenem Abend Kino geben würde: Eine kleine Gruppe von Franzosen lebt seit kurzem in Peñaherrera und bietet Workshops rund ums Thema Film an, mit dem Ziel, Kurzfilme zu produzieren, die dann auch auf europäischen Filmfestivals gezeigt werden sollen. Und diese Gruppe zeigte am Samstagabend das ecuadorianische Roadmovie »Qué tan lejos?«. Der Film ist zwar nicht außergewöhnlich und ich hatte ihn schon in Deutschland gesehen – aber allein die Tatsache, dass es eine Veranstaltung geben würde, die an Kino erinnern würde, hatte uns in große Aufregung versetzt und uns sehr gefreut!

Am Sonntagmorgen ging es zurück nach Pucará. Die kurze Fahrt war aufgrund der tollen Blicke ins Tal und auf Apuela toll, und dass der Herr, der den Fahrpreis einsammelte, in der Schweiz gearbeitet hatte und ein paar Brocken Deutsch mit uns sprach, war auch sehr unterhaltsam. Nach dem zweiten Teil des Workshops stiegen Polly, Valentin und ich in den Bus nach Otavalo. Valentin fuhr nach Tabacundo zurück, Polly begleitete mich nach Ibarra. Dort aßen wir ein etwas enttäuschendes Eis in einem vielgelobten Eiscafé – diese Wissenschaft scheinen sie in Ibarra aber nicht so sehr zu beherrschen. Später trat Polly die Heimfahrt nach Cayambe an, während ich auf den Bus wartete, der mich über Nacht nach Portoviejo bringen sollte: Von dort nahm ich einen Bus nach Canoa, wo Águeda auf mich wartete. Águeda arbeitet in Pucará im Proyecto Oso Andino als Koordinatorin und nutzte die zwei Wochen ohne Freiwillige, um an die Küste zu fahren.

Das erste, was mir an der Küste auffiel, war der neue Dialekt: Im Hochland neigen die Menschen dazu, viele Vokale nicht auszusprechen. Statt »pues« heißt es hier beispielsweise »ps«; die Konsonanten sind sozusagen wichtiger als die Vokale, was auf das Quechua zurückzuführen ist. An der Küste ist es umgekehrt: Viele Konsonanten werden verschluckt, insgesamt wird schneller gesprochen und undeutlicher. Im Hochland nennt man die costeños abfällig »monos«, zu deutsch: Affen – womit man in erster Linie die Afroecuadorianer meint. Als ich den Dialekt der Küstenregion hörte, konnte ich diesen Spitznamen nachvollziehen; allerdings glaube ich, dass es sich bei der Bezeichnung um einen ziemlich deutlichen Ausdruck des Rassismus handelt und nicht um eine Anspielung auf den sonderbaren Dialekt.

Am Montagvormittag kam ich also in Canoa an. Das ist ein kleines Fischerdorf, in dem der Tourismus erst seit kurzem nennenswerte Ausmaße annimmt. Jetzt, in der Nebensaison und bei fast immer grauem Himmel, wirkt der Ort etwas trist und verlassen: Viele Bars am Strand sind geschlossen und die vielen jungen Männer, die sich in der Hochsaison die Zeit mit dem Verkauf und Konsum von Drogen und ausländischen Schönheiten vertreiben, wissen nichts mit sich anzufangen und sitzen gelangweilt am Straßenrand. Águeda und ich faulenzten vor allem, spazierten den breiten Sandstrand entlang und genossen die Leckereien, die das Meer zu bieten hat.

Am Dienstag entschlossen wir uns recht spontan, keine zweite Nacht in Canoa zu bleiben und fuhren gen Norden. Zunächst ging es mit dem Bus nach Pedernales. Dort gab es auf dem Busbahnhof Ananaseis für fünfundzwanzig Cent – und dieses Eis war Welten besser als das, das ich am Sonntag in Ibarra gegessen hatte! Diesen Leckerbissen hatten wir uns jedoch auch redlich verdient: Die Busfahrt von Canoa nach Pedernales war ziemlich heftig, weil schnell und somit lebensgefährlich. Ab Pedernales ging es in einer ranchera weiter, die nicht viel langsamer fuhr als der Bus zuvor. Doch diese Fahrt war sehr angenehm, an der frischen Luft der Abendstunden. Spektakulär war der junge Mann, der das Geld für den Transport einsammelte: Der hangelte sich außen am Bus entlang, was äußerst gefährlich aussah... Am Ende kamen wir bis Tres Vías, wo es ein eher bescheidenes Abendessen und kühles Bier gab. Neben unserem Zimmer nächtigten zu beiden Seiten Ecuadorianer, die die ganze Nacht Fernseher und Radio laufen ließen, was vor allem Águeda zu nächtlichen Wutausbrüchen veranlasste.

Doch auch diese Nacht ging vorüber, und Águeda und ich traten den Weg nach Mompiche an. Dieser Ort ist ähnlich klein und touristisch wie Canoa, und auch hier musste ich ab und zu an Geisterstädte aus Westernfilmen denken. Gleichzeitig war ich aber auch dankbar dafür, dass den Ort nicht mit hunderten von Touristen teilen zu müssen! In Mompiche fanden wir ein sehr nettes Hostal, das bezeichnenderweise nicht von Ecuadorianern geführt wird. Von dort konnten wir den Ort in wenigen Minuten erkunden – viel gab es nicht zu sehen! Interessanter war es, den Fischern zuzusehen, die vormittags die Netze an den Strand zogen, unterstützt von vielen Dorfbewoherinnen und Dorfbewohnern: Am Strand wurden dann die unbrauchbaren Fische aussortiert und weggeworfen, während die guten Fänge unter den Anwesenden verteilt wurden. Águeda und ich fanden auf diese Weise Beschäftigung: Wir beförderten die aussortierten Fische, die am Strand zu verenden drohten, zurück ins Meer. Es handelte sich dabei hauptsächlich um sehr kleine und um Kugelfische. Letztere stellten uns jedoch vor Probleme: Wenn sie am Strand liegen und um ihr Leben fürchten, neigen sie dazu, sich aufzublasen, was dazu führt, dass ihre giftigen Stacheln zu allen Seiten abstehen. Wir rollten die Fische also mit Hilfe unserer Schuhe ins Meer, was auf die Fischer und die anderen Menschen sehr komisch gewirkt haben muss: Diese verrückten Ausländer, die die unnützen Fische ins Meer zurückbringen...

Neben Kugelfischen, Rochen und anderen Exoten könnten wir in Mompiche außerdem Pelikane sehen und Vögel mit blauen Füßen. Ansonsten waren die Meeresfrüchte vor allem im Essen angenehm; auf Schildkrötenfleisch muss ich weiterhin warten.

Am Donnerstag trat ich den Rückweg an. Águeda entschloss sich spontan dazu, mich zu begleiten: Es ging nach Cayambe, wo Polly am Freitag ihren Geburtstag feiern würde. Von Mompiche ging es nach Tres Vías und von dort nach Esmeraldas. Von dort wollten wir einen Bus nach Ibarra nehmen, was sich jedoch als unmöglich herausstellte. Stattessen mussten wir nach Atacames zurückfahren, von wo es über Quito fast bis nach Cayambe ging. Dort kamen wir am Freitagvormittag an.

Cayambe liegt zwischen Quito und Otavalo auf zweitausendachthundert Metern über dem Meeresspiegel am Fuß des Cayambe-Vulkans inmitten von unzähligen Rosenplantagen. Berühmt ist die Stadt in Ecuador jedoch nicht nur für diese Blume, die in riesigen Mengen in die ganze Welt exportiert wird, sondern auch für die biscochos eine Art Keks, die allerorten verkauft wird. Ich fand vor allem den immer weißen Gipfel des Cayambe beeindruckend.

Ursprünglich hatte ich vor, Polly einen leckeren Geburtstagskuchen zu backen. Das sollte jedoch nicht möglich sein: Es gab keinen Ofen. Auf meine Frage, ob denn irgendein Bekannter einen Ofen haben würde, bekam ich die Auskunft, dass es in Cayambe generell sehr schwierig sei, zu backen – es gebe kaum Gas in der Stadt! Offenbar kaufen Schmuggler die gesamten staatlichen (und subventionierten) Gasvorräte auf – die Flasche kostet keine zwei Dollar! –, um sie in Kolumbien zu verkaufen. Für schlappe dreißig Dollar pro Flasche! Wer in Cayambe Gas will, muss sich stundenlang in einer Schlange anstellen und hoffen, dass es am Ende noch Gas gibt. Angeblich finden in diesen Warteschlangen regelmäßig Schlägereien statt: Ohne Gas kocht es sich in einer Stadt, in der wenig Brennholz zu finden ist, eben nur schlecht. Am Ende gab es Blaubeerpfannkuchen, die ein kulinarisches Highlight in meinem bisherigen Ecuadoraufenthalt darstellten!

Ansonsten gab es an Pollys Geburtstag nicht sehr viel zu feiern: Polly war noch etwas angeschlagen, nachdem sie die Tage zuvor krank gewesen war. Und im Wall Street Institute fand eine Halloweenparty statt, zu der Polly gehen musste. Highlight am Freitag war das Licht kurz vor Sonnenuntergang: Alles färbte sich gelb, eine komische Stimmung lag in der Luft. Alles erinnerte an Alien- oder Weltuntergangsfilme. (Im Fotoalbum gibt es ein Bild, das die Stimmung ganz gut wiedergibt – die Farben waren wirklich so, der merkwürdige Farbstich liegt nicht am Weißabgleich!)

Am Samstag gingen Polly und ich ins Schwimmbad, was eine Wohltat war. Später standen weitere Halloweenveranstaltungen auf dem Programm. Zunächst saßen wir jedoch noch im Café el Jinete: David und Michelle, Kinder einer ecuadorianerin Mutter und eines pakistanischen Vaters und Mitbewohner von Polly, zogen vor dreieinhalb Jahren aus London zurück in die Heimat ihrer Mutter und eröffneten dieses Café. Die beiden sind durch und durch europäisch und haben ihren Laden dementsprechend eingerichtet – wie angenehm es ist, wenn mal eine andere Musik läuft als der immergleiche Raggaeton-Bachata-Mix!

Die Halloweenparty, zu der wir später gingen, war von Cayambes populärsten Friseur organisiert worden. Der ist schwul und tritt offensichtlich für die Rechte der homosexuellen Minderheit in Ecuador ein: Die Party bestand im Wesentlichen aus einer Misswahl – alle Kandidatinnen waren früher einmal Männer gewesen und leben inzwischen als Frauen. Ihre Reden waren von recht kämpferischen Ausrufen geprägt, die deutlich machten, dass ihnen einiges bis alles daran gelegen war, das Schwul- und Anderssein in Ecuador zu etwas Normalem zu machen, frei von Diskriminierung und Unterdrückung. Ich fand es beeindruckend, in Ecuador eine derartige Veranstaltung zu erleben, weil die Bevölkerung im Großen und Ganzen sehr katholisch und dementsprechend streng und voreingenommen ist.

Am Sonntag fuhr ich mit Águeda nach Otavalo, um mich über die erneute Tabellenführung zu freuen und einen Bus nach Pucará zu nehmen. Als wir dort ankamen, war ich sehr überrascht ob der vielen Menschen im Ort. Wegen des día de los difuntos, dem Tag der Toten, sind Montag, Dienstag und Mittwoch Feiertage, was viele Menschen nutzen, um ihre Familien zu besuchen. Viele derer, die Pucará auf der Suche nach Arbeit verlassen haben, sind die Tage also hier. Águeda und ich gingen am Abend in den paradero, wo es an den Wochenenden immer Grillfleisch gibt und Zuckerrohrsaft mit Zuckerrohrschnaps. Auch dort war am Abend sehr viel los: Es wurde Gitarre gespielt und gesungen, getanzt und viel getrunken. Und ich wusste wieder, warum ich Lateinamerika so mag.

Gleich gehe ich wieder dort hin...