miércoles, 30 de marzo de 2011

Tschüss, Landleben!

BEI DOÑA EMILIA wird aus dem beschaulichen und friedlichen Pucará Schritt für Schritt ein Ort, in dem eine ganze Menge übler Persönlichkeiten zusammenlebt. »Kleines Dorf, große Hölle«, sagt meine Gastmutter dazu. Zwar bin ich mir sicher, dass Doña Emilia erstens ein wenig übertreibt und zweitens selbst kein ganz einfacher Mensch ist – dennoch ist es interessant, Pucará mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Meine derzeitige Gastmutter lebt etwas außerhalb des Dorfes, rund zehn Minuten vom Dorfkern entfernt. Ihr Grundstück wird von der Straße nach Apuela in zwei Teile getrennt, auf deren jedem sie jeweils ein Häuschen besitzt. Das eine Haus, in dem sie normalerweise lebt, ist von der Straße aus nicht zu sehen und besteht aus einigen zusammengezimmerten Brettern. Das andere Haus, besser zugänglich und sichtbar, benutzt Doña Emilia nur, um Freiwillige zu beherbergen. Es besteht aus zwei Räumen; einem relativ geräumigen Schlafzimmer und einer kleinen Küche. In einem kleinen Abau sind Dusche und Toilette untergebracht. Nebenan steht ein kleiner Bretterverschlag, in dem Emilia unterkommt und den sie sich mit einem mit Feuerholz betriebenen Ofen teilt.

Auf ihrem Land baut Doña Emilia ungefähr alles an, was man hier anbauen kann: Kaffee, Bananen, Zuckerrohr, Avocado, Kohl, Bohnen, verschiedene Zitrusfrüchte, Maniok, Karotten, Mais, Zwiebeln, Ananas, Brombeeren, Erdbeeren und andere Gewächse, deren deutsche Bezeichnungen ich nicht kenne: guavas, granadaillas, guayabas, chigualcanes und camote.

Mit all dem Obst und Gemüse, das sie auf ihrem Grundstück anbaut und erntet, kann sich Doña Emilia eigentlich selbst versorgen. Nur einige wenige Dinge muss sie im Dorf kaufen, oder in Otavalo, wo sie in der Regel die Wochenenden verbringt: Sie kann sich die meiste Zeit von der Dorfgemeinschaft abschotten. Und das, betont sie regelmäßig, macht sie gründlich. Seit ihr Mann vor mehr als zwanzig Jahren an den Folgen seines Alkoholkonsums starb, ist Emilia alleine. Ihre Kinder leben allesamt nicht mehr in Íntag. Das hat sie angreifbar gemacht – und nach ihren Angaben würden das einige pucareños bei Gelegenheit ausnutzen. So behauptet meine Gastmutter, gehört zu haben, wie Nachbarn Pläne geschmiedet haben, sie loszuwerden, um an ihr Grundstück zu kommen.

Das kann ich mir zwar kaum vorstellen, zumal es sich bei den angeblichen Verschwörern um eine Familie handelt, die bereits viel Land besitzt und abgesehen davon sehr engagiert ist in der Gemeinschaft, die katholische Gemeinde Pucarás organisiert und einen sehr vernünftigen Eindruck vermittelt. Dennoch besteht Doña Emilia darauf: Diese Familie sei ein Haufen von unersättlichen und gierigen Individuen, denen ihre zahlreichen Felder und Weiden nicht genug sind und die immer versuchen, sich noch mehr unter den Nagel zu reißen. Und fast alle anderen im Dorf seien keinen Deut besser: Es gehe nur um den Klatsch und Tratsch. Je übler man über andere Leuten reden könnte, desto besser. Jeder trachte nur nach dem eigenen Vorteil, eine echte Gemeinschaft bestehe nicht.

Und dennoch habe sich die Lage in den letzten Jahrzehnten gebessert: Früher habe es viel mehr Ärger gegeben, beinahe wöchentlich seien ein paar Jugendliche aneinandergeraten und hätten Schlägereien angezettelt. Das ist zurückgegangen, logischerweise: Es gibt kaum noch Jugendliche. Wie ich bereist (mehrmals?) beschrieben habe, verlassen die meisten Jugendlichen Pucará nach Abschluss der weiterführenden Schule, um in einer Stadt entweder zu studieren oder eine Arbeit zu finden. Sie streben nach ganz westlichen Zielen: Reichtum und Luxus. Als Vorbilder dienen unter anderem die vielen (meistens weißen) Charaktere aus den novelas, den berühmten lateinamerikanischen Seifenopern.

Diese Landflucht ist Peters größtes Anliegen, sie gilt es aufzuhalten: Damit Pucará auch in zwanzig Jahren noch existiert und nicht ausstirbt. Bisher galt die Schaffung von Arbeitsplätzen als einziges wirksames Mittel gegen die Abwanderung von immer mehr jungen Menschen. Wenn Doña Emilia aber im Ansatz Recht hat und das soziale Klima in Pucará tatsächlich so vergiftet ist, hilft wohl auch der Dollar nicht, um die Menschen davon zu überzeugen, in Pucará zu bleiben...

Was der Weggang des Nachwuchses bedeutet, habe ich erneut erfahren bei einer Umfrage, die ich im Namen eines Freundes durchführe. Gestern habe ich angefangen, ein paar Landwirte in Pucará zu ihrer Haltung gegenüber nachhaltiger Landwirtschaft zu befragen. Die ersten fünf Herren, mit denen ich mich unterhalten konnte, waren im Durchschnitt über siebzig Jahre alt. Ihre Söhne leben nicht in Pucará, und so sind ihre früher großen und gedeihenden Felder im Laufe der Jahre immer mehr geschrumpft, wurden weniger bewirtschaftet und verloren schließlich ihren wirtschaftlichen Nutzen. Boten die Bauernhöfe vor wenigen Jahrzehnten noch Arbeit für viele Menschen, werden heutzutage nur noch zu wenigen Gelegenheiten im Jahr ein paar Arbeiter eingestellt. Selbst dort, wo es immer Arbeit gab, herrscht heute Tristesse: Die Landwirtschaft steht in dieser unglaublich fruchtbaren Region vor dem Aus.

Was wird in zehn Jahren aus Pucará geworden sein? Was in zwanzig, fünfzig hundert? Einige der Alteingesessenen werden bis dahin nicht mehr leben; Diabetes*, das schlechte Gesundheitssystem und die Natur werden das Ihrige dazu beitragen. Dass die heute jungen Leute aus der Stadt dauerhaft nach Íntag zurückkehren, scheint angesichts der vielen, die ihren Platz in der Stadt gefunden haben, sehr unwahrscheinlich. Eher wird Pucará weiter schrumpfen und Stück für Stück aussterben: Das Landleben ist auch hier einfach nicht mehr in Mode. Wer vom Land kommt, wird in der Stadt als rückständig belächelt, als Hinterwäldler.

Sicher ist, dass der Rückgang der Bevölkerung Organisationen wie dem Periódico ÍNTAG und den Plänen Peters einen Strich durch die Rechnung machen: Für was jetzt versuchen, ein langfristiges Konzept in Gang zu setzen, wenn es in absehbarer Zeit keine Nutznießer mehr geben wird? Ob die Abwanderung der Bevölkerung in Íntag den Minenunternehmen hilft, da sie auf keinen Widerstand mehr stoßen werden bei dem Versuch, Kupfer und andere Bodenschätze abzubauen, oder schadet, da sie vor Ort keine Arbeiter mehr finden, weiß ich nicht. Letzteres wäre auf jeden Fall der Hauptgewinn für Íntag, eine der artenreichsten Gegenden des Planeten – wenngleich es dann eine Art weniger geben würde im hiesigen Nebelwald...

sábado, 26 de marzo de 2011

Na dann, Prost!

EINEN WICHTIGEN TEIL der ecuadorianischen Kultur stellt, nach all dem, was ich bisher beobachten konnte, das Trinken dar. Gemeint ist damit natürlich der Konsum von Alkohol. Dabei kann jedoch weder von Alkoholgenuss noch von Trinkkultur gesprochen werden, wie ich finde: Das berühmt-berüchtigte »Komasaufen«, das in Deutschland angeblich erst vor wenigen Jahren Einzug erhalten hat, ist im Gegensatz zu dem, was hier ab und zu geschieht, ziemlich harmlos.

Während es in Deutschland nicht unnormal ist, sich zum Abendessen einen Wein zu gönnen oder im Sommer mit Freunden ein »warmes Bier im Park« zu trinken, spielt der Alkohol im Alltag hier keine bedeutende Rolle. Wein wird generell kaum konsumiert, da er hier vergleichsweise teuer ist: Der ecuadorianische Wein dürfte in Deutschland nicht als solcher bezeichnet werden – der schmeckt eher wie Pfirsichsirup mit Schnaps –, und importierter Wein kostet ist nur selten zu erschwinglichen Preisen zu finden. (Unser Lieblingswein, »Clos«, ist natürlich der günstigste: Ein Liter durchaus trinkbaren chilenischen Weins im Tetrapak für fünf Dollar.) Die beiden ecuadorianischen Biersorten – Pilsener und Club – sind annehmbar, doch kostet die große Flasche mit sechshundert Millilitern Fassungsvermögen in der Regel einen Dollar: Da wird der Rausch des armen Mannes zum Luxus! Am populärsten sind daher die puntas: Selbstgebrannter Zuckerrohrschnaps. Dessen Stärke kann man nie abschätzen, Angaben variieren zwischen zwanzig und achtzig Volumenprozent Alkohol.

Wenn jemand mit einer PET-Flasche klaren Inhalts aufkreuzt, ist zumeist klar: puntas! Und dann geht es los... Getrunken wird nicht alleine, solange die Alkoholsucht noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Der Zuckerrohrschnaps wird häufig aus dem Plastikdeckel der Flasche, also in kleinsten Portionen, konsumiert – so dauert das Vergnügen länger. Die andere Möglich stellt ein Plastikbecher dar: Der wird dann herumgereicht, jeder darf einmal. Auch Bier wird auf diese Weise getrunken: Dass jede anwesende, also mittrinkende Person ihr eigenes Bier, also ihre eigene Flasche oder zumindest ihr eigenes Glas, hat, ist hier undenkbar: Es gibt einen gemeinsamen Vorrat und einen Plastikbecher. Der wird schwungvoll gefüllt, ist also voller Schaum. Eine beliebige Person bekommt den Becher gereicht und leert ihn nach Möglichkeit mit einem Schluck; der Schaum, der im Becher zurückbleibt, wird mit einer schnellen Bewegung weggeschüttet und der Becher neu gefüllt, bevor er an eine andere Person weitergereicht wird. Diese Art des Trinkens führt dazu, dass man erstens recht schnell trinkt und zweitens gar keine Ahnung haben kann, wie viel man den schon intus hat.

Das Spektakel endet normalerweise, wenn es nichts mehr zu trinken gibt. Wird nur Bier getrunken, kann das bedeuten, dass das Gelage noch vor dem Vollrausch aufhört. Im Zweifelsfall wird dann Nachschub geholt – trinken ohne Suff, das wird hier nur wenig akzeptiert. Bei Schnaps sieht es in der Regel anders aus: Der wirkt rasch.

Trinken tun alle. Frauen konsumieren durchaus auch Alkohol. Doch ist es unüblich, eine Frau in der Öffentlich beim Trinken zu sehen – das geschieht dann eher auf Festen. Männer hingegen setzen sich gerne an die Straße, wo man sich ohne Probleme zu ihnen gesellen kann. Dort kann man sie dann über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten und dabei sehen, wie die allgemeine Verfassung schlechter und schlechter wird. Ständig kommt es zu Streitigkeiten, die vorzugsweise mit der Androhung von Schlägen mit herumliegenden Steinen gelöst werden. Die Straße wird zur öffentlichen Bedürfnisanstalt. Und Schnapsleichen gehören dann sowieso zum Straßenbild – auch noch am Folgetag.

Das Trinken gehört hier wohl auch deshalb nicht zum Alltag, da sich dieser mit den Auswirkungen des Alkoholkonsum nicht in Einklang bringen lässt. Nicht selten sind die fleißigen Trinken noch am zweiten Tag nach dem Gelage »krank«, chuchaqui, gnadenlos verkatert. Man versucht daher, das Trinken nur zu bestimmten Anlässen derart ausufern zu lassen. Hochzeiten, Taufen und die Feste zu Ehren der Schutzheiligen der Städte sind solche Termine. Aber auch Silvester und Fasching. Und manche müssen sich sicherlich auch andere Begründungen einfallen lassen – die Feiertage reichen nicht immer aus...

Für mich als Westeuropäer ist es manchmal sehr unangenehm, zu sehen, wie manche Männer öffentlich ihre Würde wegtrinken – Alkoholismus ist zwar auch in Deutschland ein Problem, aber in der Regel wird es nicht öffentlich gemacht. Und auch wenn es in Berlin normal zu sein scheint, mittags mit einem Bier in der U-Bahn zu sitzen, ist der Vollrausch in der Öffentlichkeit von der Gesellschaft ausgeschlossenen Gruppen vorbehalten.

Hier ist das umgekehrt: Die Beweislast liegt bei der Person, die nicht trinkt. Wer nicht mitbechert, muss ein gutes Argument haben: Krankheit oder Religion funktionieren. Aber ein komischer Vogel ist man immernoch...

miércoles, 23 de marzo de 2011

Noch zwei...

WÄHREND DIE GRÜNEN sich beschweren, dass die Bundeswehr sich nicht auch an den Luftangriffen in Libyen beteiligt und schwarz-gelb eine ganze Reihe von Atomkraftwerken zumindest vorübergehend abschaltet, ist wenigstens in Pucará noch alles beim Alten: Ich habe wieder einmal die Gastfamilie gewechselt!

Ich wohne seit gestern bei Doña Emilia. Sie ist einundsiebzig Jahre alt und lebt alleine etwas außerhalb Pucarás. Ihr Mann musste seinem Alkoholkonsum schon vor über zwanzig Jahren Tribut zollen und verstarb. Die sechs Kinder leben allesamt außerhalb, in Otavalo, Quito und an der Küste. Sie haben studiert und haben so etwas geschafft, was vielen Menschen hier nicht gelingt: Sie haben das Leben als minifundistas hinter sich gelassen, leben nicht mehr von der Landwirtschaft und sind wirtschaftlich unabhängig.

Doña Emilia wurde im Juni neunzehnhundertvierzig in Plaza Gutierrez geboren, einem Dorf unweit von Pucará. Später zog sie mit ihrem Mann nach Otavalo, um ihre Kinder dort großzuziehen. In dieser Zeit arbeitete sie, neben der Arbeit als Hausfrau, als Schneiderin. Doch nach einer Weile hatte sie genug von Otavalo: Es wurde ihr zu kalt in der sierra. Sie kam also zurück nach Íntag, ließ sich in Pucará nieder und lebt seitdem hier, mit kleinen Unterbrechungen: Immer wieder zieht sie für ein paar Wochen nach Otavalo, wo sie nach wie vor ein Haus besitzt. Wenn es ihr reicht, kommt sie nach Pucará, wo sie sich um ihre Felder kümmert. Doña Emilia baut nicht nur Kaffee an, den sie an die AACRI verkauft, die Bio-Fairtrade-Kaffee auch nach Deutschland verschifft. Sie kann außerdem Bohnen, Bananen, Zitrusfrüchte, tomates de árbol, Salat, Gurken, Tomaten und einige Gewächse mehr ernten, also im Grunde aus ihrem Garten leben.

Dass das, was sie sich hier erarbeitet hat, durchaus bemerkenswert ist, haben ihr vermutlich schon andere Freiwillige erzählt, die vor mir hier untergekommen sind: Doña Emilia wird nicht müde, mich bei jeder Mahlzeit hinzuweisen, dass sämtliche Zutaten komplett natural seien und also sehr gesund.

Bin Mitte April werde ich nun hier sein, bei Doña Emilia – danach wechsle ich zurück ins Ortszentrum. Um meinen letzten Monat in Pucará dort zu verbringen! Als ich das feststellte, erschrak ich ein wenig: Jetzt geht es wirklich wieder schnell! Aber beschweren kann und will ich mich nicht darüber: Es hat eben alles seine Zeit, und bald scheint der Moment zu kommen, in dem ich mich aus Pucará verabschieden muss...

Während dieser zwei Monate, die noch auf mich zukommen, werde ich weiterhin mit der Zeitung zusammenarbeiten, in deren Namen ich euch heute um eure Unterstützung bitten darf: Kürzlich habe ich erwähnt, dass sich das Periódico ÍNTAG momentan in Schwierigkeiten befindet, die vor allem finanzieller Natur sind. Die Zeitung, die alle zwei Monate erscheint, kann nur mit der Hilfe zahlreicher Spenderinnen und Spender überleben. Selbst wenn die gesamte Auflage von eintausend Exemplaren verkauft würde, könnten noch nicht einmal die Druckkosten bezahlt werden. Doch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Blattes geht es nicht um den Profit – sie sind stolz darauf, an der einzigen Zeitung mitzuarbeiten, die in Íntag erhältlich ist. Sie sind stolz darauf, der Bevölkerung eine Stimme gegen den Bergbau und gegen die Umweltverschmutzung zu geben. Sie sind stolz darauf, sich für die Bildung in der Region einzusetzen.

Die genannten Punkte sind in meinen Augen gute Gründe für die Existenz der Zeitung. Gegen deren Existenz spricht ganz klar: Das Geld. Das Unternehmen ist einfach nicht profitabel – und der Ehrgeiz der Redaktion, Projekte außerhalb der Zeitung zu unterstützen, wie die Gemeindebücherei und ein Internetcafé, führt dazu, dass die Löhne der vier festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig gefährdet sind. Trotz der Spenden aus Europa, Nordamerika und anderen Erdteilen.

Als vor kurzem eine Mauer hinter den Räumlichkeiten der Zeitung, in denen sich auch die Bibliothek und das Internetcafé befinden, einbrach und die Redaktion nur mit großem Glück nicht komplett unter Schutt und Schlamm begraben wurde, stellte das einen finanziellen Genickbruch dar: Die Mauer hatte einst viertausendfünfhundert Dollar gekostet, eine momentan schier unvorstellbare Summe! Das Gröbste konnte schon in Ordnung gebracht werden, die Trümmer wurden teilweise aus dem Weg geräumt. Nun hoffen wir, dass die anhaltenden Regenfälle nicht dazu führen, dass das Erdreich, das von der Mauer zurückgehalten wurde, nicht auch noch abrutscht und in unserer Casa Palabra y Pueblo landet!

Wir hoffen, dass wir dank kräftiger Unterstützung bald in der Lage sind, die nötigen Aufräumarbeiten und Vorsichtsmaßnahmen umzusetzen. Ihr könnt uns helfen, in dem ihr einen kleinen oder großen Betrag auf das Konto des Íntagvereins überweist:
Kontonummer 4028530300
Bankleitzahl 43060967 (GLS Bank Bochum)
Stichwort »Casas Palabra y Pueblo«


Vielen Dank dafür schonmal im Voraus!
Bis zum nächsten Mal – und überseht nicht die Fotos, die ich während der letzten Tage und Wochen hochgeladen habe!

domingo, 13 de marzo de 2011

Schinken

DER BEISSENDE GERUCH verbrannten Plastiks hängt noch in der Luft: Soeben hat Doña Empera, meine erste Gastmutter hier in Íntag, ihren Plastikmüll verbrannt und somit in ihren Augen unschädlich gemacht. Die Müllverbrennung sei umweltfreundlicher und also gesünder als das noch weiter verbreitete Wegschmeißen von Müll auf Felder, in Bächen und in den Wald.

Carolina und Marcelo haben jetzt vier Fahrzeuge. Carolina ist die Chefin des Periódico ÍNTAG und für ecuadorianische Verhältnisse eine radikale Umweltschützerin. Mit Marcelo, ihrem Mann, und ihren beiden Söhnen Juan Esteban und José Andrés lebt sie in Pucará - und fährt fast täglich mit ihrem Pick-Up nach Apuela. Ich selbst lege diese Distanz fast immer zu Fuß zurück, kann Carolina ihre hinsichtlich des Transports widersprüchliche Einstellung zum Umweltschutz aber nicht vorwerfen: Immerhin nimmt sie José Andrés, der noch kein Jahr alt ist, immer mit. Dass dieser Haushalt jetzt aber über zwei Jeeps und zwei Quads verfügt, stößt an die Grenzen meines Verständnisses.

Ja - wir wollen Íntag schützen. Wir wollen verhindern, dass Bergbauunternehmen unsere Flüße verschmutzen und unsere Wälder abholzen. (Aber wir entsorgen unseren Müll am liebsten sofort, schmeißen ihn in die Natur. Und Brandrodung finden wir auch nicht so verkehrt.) - Widersprüchliches aus Íntag, alles wie gehabt!

Aber es gibt auch Neues:
Das erste Mal seit meinem Aufenthalt in Ecuador hatte ich richtig viel zu tun! Ende Februar galt es, die aktuelle Ausgabe der Zeitung druckfertig zu machen. Das hieß im Klartext: Korrekturlesen. Das war nicht sonderlich interessant, aber immerhin war ich beschäftigt. Dazu durften Nora und ich eine Reportage schreiben über die aktuellen Geschehnisse in Nordafrika und im Nahen Osten.

Seit Anfang März ist wieder Ruhe eingekehrt: Die Zeitung wurde gedruckt und jetzt wird vermutlich anderthalb Monate ausgeruht, bevor man bemerkt, dass es Zeit für die nächste Ausgabe ist und in Panik ausbricht, um dann im Stress zu versinken... Ich habe die Ruhe genutzt, um Flyer für Peters Projekt zu drucken und um meine Gastfamilia nach García Moreno zu begleiten. Dort lebt Doña Delia mit Smith und dessen Vater Oswaldo, wenn sie sich nicht gerade um Freiwillige in Pucará kümmern muss.

Polly und ich fuhren also mit Doña Delia, meiner aktuellsten Gastmutter, und dem kleinen Smith ein ganzes Stück weiter in die Íntag-Region hinein. Die Fahrt war etwas abenteuerlich, weil die Regenfälle während der letzten Wochen regelmäßig dazu führen, dass Erdrutsche die Straße verwüsten: Achterbahnfahrt im Omnibus!

Das Haus, in dem Doña Delia, Smith und Oswaldo leben, liegt etwas außerhalb von García Moreno, auf einem kleinen Hügel an der Sandstraße nach Magdalenas. Wobei die Bezeichnung in Deutschland nicht verwandt würde: Die Behausung besteht aus einer ziemlich löchrigen Bambuskostruktion, partiell mit Plastikplane überzogen und mit einem Blechdach abgedeckt. Der Boden besteht aus Erde. Trotz des vermeintlichen Elends war natürlich Platz für einen Kühlschrank, einen Fernseher und einen DVD-Player.

Am Abend hatte ich dann wieder so ein Íntag-Erlebnis: Auf dem Weg ins Dorf sahen wir ein totes Kalb und eine verblutende Kuh. Später erfuhren wir, dass die Kuh kalben sollte, das Kalb jedoch ungünstig lag und zunächst nur die Vorderläufe des Nachwuchses aus dem Mutterleib ragten. Statt das Kalb irgendwie manuell zu drehen, entschied man sich dazu, es mithilfe eines Autos (!) zur Welt zu bringen. Es kam, wie es kommen musste: Dem Kalb wurde das Genick gebrochen, der Mutter die Organe aus dem Körper gerissen. Das arme Tier lag daraufhin noch Stunden am Wegrand; man wollte es nicht umbringen, sondern zum Metzger bringen und dort fachgerecht töten lassen. Dass die Kuh an Schmerzen litt, fiel nicht weiter ins Gewicht.

Der Anblick der beiden Tiere war schon verstörend. Doch nichts konnte mit dem Handeln der Bauern mithalten: Wie kann es sein, dass eine Person, die vermutlich seit Jahren, wenn nicht Generationen mit und von der Landwirtschaft lebt, auf diese Art und Weise mit ihrem teuersten Gut, dem Vieh, umgeht? Warum habe ich so oft den Eindruck, dass viele Menschen hier resistent sind gegen das Lernen aus Erfahrungen? Es ist traurig, dass die Schulbildung hier erstens schlecht ist und zweitens von vielen nicht wahrgenommen wurde und wird. Doch richtig tragisch finde ich es, wenn selbst praktische Erfahrungen außerhalb staatlicher Bildungeinrichtungen keinerlei Früchte tragen, also keine Einsichten mit sich bringen: Das hätte wohl dazu geführt, dass man die Kuh anders behandelt hätte!

Am nächsten Morgen durfte dann auch ich ran: Des Suppenhuhns für das Mittagessen sollte ich mich annehmen. Im Rahmen zahlloser Ferien auf dem Bauernhof während meiner Kindheit hatte ich mitbekommen, wie man Hühner schlachten kann. Dass man ihnen einfach den Hals langzieht, wusste ich aber noch nicht. Wie dem auch sei - diesen Bräuchen hat man sich anzupassen... Das Huhn hat nicht sonderlich gut geschmeckt - aber jetzt kann ich guten Gewissens Fleisch essen, in der Gewissheit, mein Mittagessen selbst erlegen zu können...

Nach dem Hühnchenerlebnis erntete ich mit Oswaldo und Smith guabas, was an sich nicht spektakulär war. Aufregend wurde es erst später: Ich bekam plötzlich einen rätselhaften Husten und, etwas später, einen beachtliche Hautausschlag. Husten und Ausschlag klangen im Laufe des Tages ab, hinterließen aber einen kleinen Schrecken: Worauf die Allergieattacke zurückzuführen ist, weiß ich nicht - vermutlich bin ich auf der Sucha nach guabas durch bösartige Gräser und Büsche gekrochen.

Zurück in Pucará, zog ich bei Doña Delia aus und bei Polly, die noch eine Woche in Íntag sein wird, ein. Außerdem kam Peter mal wieder nach Pucará, und ich habe voraussichtlich genügend Arbeit für die nächsten Wochen. Unter anderem eine kleine architektonische Aufgabe, auf die ich mich freue, an der ich aber auch sehr zweifle. Bald werde ich darüber mehr berichten.

Schreiben werde ich auch über die aktuellsten Neuigkeiten aus der Zeitung, die von den Regenfällen betroffen ist: Eine Mauer hinter dem Gebäude hielt dem Wasser im Erdreich nicht mehr Stand und brach zusammen. Das Bauwerk, das einst viertausendfünfhundert Dollar gekostet hat, ist nun nur noch Schutt und muss weggeräumt werden. Eine neue Mauer wird vorerst nicht errichtet werden, denn niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Und das nötige Kleingeld ist nicht vorhanden. Finanziell geht die Zeitung momentan auf dem Zahnfleisch: Die Löhne können kaum noch gezahlt werden. Sobald ich weiß, wie ihr uns finanziell unterstützen könnt, sprich: an wen und wohin ihr eure willkommenen Spenden senden könnt, schreibe ich das hier.

Bis dahin wünsche ich uns allen bessere Nachrichten aus der Welt. Ist ja nicht auszuhalten, was momentan passiert...

jueves, 3 de marzo de 2011

Geld, Geld, Geld

DIE FINANZIELLE SITUTATION vieler Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer lässt kaum Spielraum und Verhandlungsmöglichkeiten, wenn es um Arbeit geht: Im Grunde muss jeder Job angenommen werden, so schlecht bezahlt und so unwürdig er (in unseren Augen) auch sein mag! Jeder Dollar, der verdient wird, ist kostbar; die staatliche Unterstützung von fünfunddreißig Dollar pro Monat für arme und/oder alte Menschen reicht auf dem Land kaum aus, um eine Familie zu ernähren und ist für Städterinnen und Städter nicht mehr als ein Almosen.

Meine Gastmutter Delia wohnt eigentlich nicht in Pucará. Sie zog dort vor vier Jahren hin, weil es dort Häuser für bedürftige Menschen gab, für die man lediglich einige Stunden gemmeinnütziger Arbeit zu verrichten und hundertdreißig Dollar zu bezahlen hatte - Arbeit fand sie dort aber nicht. Also beschloss sie, nach García Moreno zu ziehen, einer kleinen Ortschaft, noch eine Stunde Busfahrt tiefer in Íntag gelegen. Dort lebt sie in einer Hütte aus Plastik, die ich in der kommenden Woche kennenlernen möchte, und arbeitet in der Landwirtschaft. Sie verdient fünf oder sechs Dollar am Tag, wenn sie bei der Ernte hilft - das ist mehr, als sie in Pucará bezahlt bekäme. Dass sie nur ab und zu Arbeit hat und keinesfalls von Arbeitsplatzsicherheit die Rede sein kann, stört sie dabei kaum: Irgendwie bringt sie ihre Kinder (und Enkelkinder) über die Runden und wohnt nahe bei der Verwandtschaft.

Anders scheint hier Fernando zu ticken. Er ist der Ehemann von Paula, einer der beiden verbleibenden Spanischlehrerinnen der Spanischschule, für die ich arbeite, und Vater von zwei kleinen Kindern. Paula arbeitet im Consorcio Toisán, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Apuela, als Sekretärin und hat ein festes Einkommen. Zusätzlich kann sie durch ihre Lehrtätigkeit immer wieder Geld in die Familienkasse spülen. Dennoch hat Fernando entschieden, Íntag zu verlassen: Um sich endlich keine Sorgen mehr um seine Arbeit zu machen. In Íntag hat er zwar fleißig und häufig auf diversen Baustellen gearbeitet und dementsprechend verdient - der Lohn beträgt für einen einfachen Arbeiter ungefähr zehn Dollar am Tag, für einen maestro (Fach- oder Vorarbeiter) zwischen zwölf und fünfzehn. Aber er konnte sich nie sicher sein, ob es am Folgetag, in der nächsten Woche, im kommenden Monat noch Arbeit geben würde.

Jetzt arbeitet Fernando im Oriente, im Osten Ecuadors, im Amazonasbecken. Dort, wo Erdöl und damit Geld zu finden ist. Er arbeitet dort zwei Wochen, um dann knapp eine Woche Urlaub und Zeit für die Familie zu haben. Verdienen tut er im Urwald vierhundertfünfzig Dollar pro Monat, Unterkunft, Mahlzeiten, Werkzeug sowie die Arbeitskleidung und deren Wäsche werden vom Unternehmen bezahlt. Welcher Arbeit er genau nachgeht im Oriente, das konnte Fernando selbst nicht so recht erklären: Er arbeite eben, wo er gebraucht würde.

Ironischerweise heißt Fernandos neuer Arbeitgeber PetroAmazonas, eine Firma, die im Amazonasbecken - genauer: Im Bloque 15, unweit des Naturschutzgebietes Cuyabeno, in das Julian und ich im vergangenen November gefahren sind - Erdöl fördert und weiterverarbeitet, und dabei sicherlich mehr als genug Schaden an Flora und Fauna hervorruft. Dabei ist der Arbeitgeber von Paula, das Consorcio Toisán, eine Organistation, die sich dem Umweltschutz widmet und hilft, gegen den Bergbau in Íntag zu kämpfen...

Wegen des Geldes wird sich schon morgen die Zusammensetzung meiner Gastfamilie ändern: Mayra, meine ältere Gastschwester, wird mit ihrem Töchterchen Domenica nach Loja aufbrechen. Das liegt im Süden des Landes, und dort leben ihre Großeltern väterlicherseits. Mayras Großmutter möchte, dass ihre Enkelin ihr im Haushalt hilft und bietet an, für Unterkunft, Ernährung und die Kosten fürs Studium aufzukommen. Das ist ein Angebot, das Mayra aus finanziellen Gründen unmöglich ablehnen kann, obwohl sie nicht so weit weg sein möchte von zu Hause und eigentlich Medizin studieren wollte, und nicht Buchhaltung: Dieser Studiengang scheint für sie der einzig mögliche in Loja zu sein.

Überhaupt habe ich den Eindruck, dass fast alle Studiernenden Ecuadors entweder Tourismus oder Buchhaltung studieren. Ob da später die Möglichkeiten auf eine Anstellung groß sind, möchte ich bezweifeln...! Sollte ich eines Besseren belehrt werden, werde ich selbstverständlich davon berichten!