miércoles, 30 de marzo de 2011

Tschüss, Landleben!

BEI DOÑA EMILIA wird aus dem beschaulichen und friedlichen Pucará Schritt für Schritt ein Ort, in dem eine ganze Menge übler Persönlichkeiten zusammenlebt. »Kleines Dorf, große Hölle«, sagt meine Gastmutter dazu. Zwar bin ich mir sicher, dass Doña Emilia erstens ein wenig übertreibt und zweitens selbst kein ganz einfacher Mensch ist – dennoch ist es interessant, Pucará mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Meine derzeitige Gastmutter lebt etwas außerhalb des Dorfes, rund zehn Minuten vom Dorfkern entfernt. Ihr Grundstück wird von der Straße nach Apuela in zwei Teile getrennt, auf deren jedem sie jeweils ein Häuschen besitzt. Das eine Haus, in dem sie normalerweise lebt, ist von der Straße aus nicht zu sehen und besteht aus einigen zusammengezimmerten Brettern. Das andere Haus, besser zugänglich und sichtbar, benutzt Doña Emilia nur, um Freiwillige zu beherbergen. Es besteht aus zwei Räumen; einem relativ geräumigen Schlafzimmer und einer kleinen Küche. In einem kleinen Abau sind Dusche und Toilette untergebracht. Nebenan steht ein kleiner Bretterverschlag, in dem Emilia unterkommt und den sie sich mit einem mit Feuerholz betriebenen Ofen teilt.

Auf ihrem Land baut Doña Emilia ungefähr alles an, was man hier anbauen kann: Kaffee, Bananen, Zuckerrohr, Avocado, Kohl, Bohnen, verschiedene Zitrusfrüchte, Maniok, Karotten, Mais, Zwiebeln, Ananas, Brombeeren, Erdbeeren und andere Gewächse, deren deutsche Bezeichnungen ich nicht kenne: guavas, granadaillas, guayabas, chigualcanes und camote.

Mit all dem Obst und Gemüse, das sie auf ihrem Grundstück anbaut und erntet, kann sich Doña Emilia eigentlich selbst versorgen. Nur einige wenige Dinge muss sie im Dorf kaufen, oder in Otavalo, wo sie in der Regel die Wochenenden verbringt: Sie kann sich die meiste Zeit von der Dorfgemeinschaft abschotten. Und das, betont sie regelmäßig, macht sie gründlich. Seit ihr Mann vor mehr als zwanzig Jahren an den Folgen seines Alkoholkonsums starb, ist Emilia alleine. Ihre Kinder leben allesamt nicht mehr in Íntag. Das hat sie angreifbar gemacht – und nach ihren Angaben würden das einige pucareños bei Gelegenheit ausnutzen. So behauptet meine Gastmutter, gehört zu haben, wie Nachbarn Pläne geschmiedet haben, sie loszuwerden, um an ihr Grundstück zu kommen.

Das kann ich mir zwar kaum vorstellen, zumal es sich bei den angeblichen Verschwörern um eine Familie handelt, die bereits viel Land besitzt und abgesehen davon sehr engagiert ist in der Gemeinschaft, die katholische Gemeinde Pucarás organisiert und einen sehr vernünftigen Eindruck vermittelt. Dennoch besteht Doña Emilia darauf: Diese Familie sei ein Haufen von unersättlichen und gierigen Individuen, denen ihre zahlreichen Felder und Weiden nicht genug sind und die immer versuchen, sich noch mehr unter den Nagel zu reißen. Und fast alle anderen im Dorf seien keinen Deut besser: Es gehe nur um den Klatsch und Tratsch. Je übler man über andere Leuten reden könnte, desto besser. Jeder trachte nur nach dem eigenen Vorteil, eine echte Gemeinschaft bestehe nicht.

Und dennoch habe sich die Lage in den letzten Jahrzehnten gebessert: Früher habe es viel mehr Ärger gegeben, beinahe wöchentlich seien ein paar Jugendliche aneinandergeraten und hätten Schlägereien angezettelt. Das ist zurückgegangen, logischerweise: Es gibt kaum noch Jugendliche. Wie ich bereist (mehrmals?) beschrieben habe, verlassen die meisten Jugendlichen Pucará nach Abschluss der weiterführenden Schule, um in einer Stadt entweder zu studieren oder eine Arbeit zu finden. Sie streben nach ganz westlichen Zielen: Reichtum und Luxus. Als Vorbilder dienen unter anderem die vielen (meistens weißen) Charaktere aus den novelas, den berühmten lateinamerikanischen Seifenopern.

Diese Landflucht ist Peters größtes Anliegen, sie gilt es aufzuhalten: Damit Pucará auch in zwanzig Jahren noch existiert und nicht ausstirbt. Bisher galt die Schaffung von Arbeitsplätzen als einziges wirksames Mittel gegen die Abwanderung von immer mehr jungen Menschen. Wenn Doña Emilia aber im Ansatz Recht hat und das soziale Klima in Pucará tatsächlich so vergiftet ist, hilft wohl auch der Dollar nicht, um die Menschen davon zu überzeugen, in Pucará zu bleiben...

Was der Weggang des Nachwuchses bedeutet, habe ich erneut erfahren bei einer Umfrage, die ich im Namen eines Freundes durchführe. Gestern habe ich angefangen, ein paar Landwirte in Pucará zu ihrer Haltung gegenüber nachhaltiger Landwirtschaft zu befragen. Die ersten fünf Herren, mit denen ich mich unterhalten konnte, waren im Durchschnitt über siebzig Jahre alt. Ihre Söhne leben nicht in Pucará, und so sind ihre früher großen und gedeihenden Felder im Laufe der Jahre immer mehr geschrumpft, wurden weniger bewirtschaftet und verloren schließlich ihren wirtschaftlichen Nutzen. Boten die Bauernhöfe vor wenigen Jahrzehnten noch Arbeit für viele Menschen, werden heutzutage nur noch zu wenigen Gelegenheiten im Jahr ein paar Arbeiter eingestellt. Selbst dort, wo es immer Arbeit gab, herrscht heute Tristesse: Die Landwirtschaft steht in dieser unglaublich fruchtbaren Region vor dem Aus.

Was wird in zehn Jahren aus Pucará geworden sein? Was in zwanzig, fünfzig hundert? Einige der Alteingesessenen werden bis dahin nicht mehr leben; Diabetes*, das schlechte Gesundheitssystem und die Natur werden das Ihrige dazu beitragen. Dass die heute jungen Leute aus der Stadt dauerhaft nach Íntag zurückkehren, scheint angesichts der vielen, die ihren Platz in der Stadt gefunden haben, sehr unwahrscheinlich. Eher wird Pucará weiter schrumpfen und Stück für Stück aussterben: Das Landleben ist auch hier einfach nicht mehr in Mode. Wer vom Land kommt, wird in der Stadt als rückständig belächelt, als Hinterwäldler.

Sicher ist, dass der Rückgang der Bevölkerung Organisationen wie dem Periódico ÍNTAG und den Plänen Peters einen Strich durch die Rechnung machen: Für was jetzt versuchen, ein langfristiges Konzept in Gang zu setzen, wenn es in absehbarer Zeit keine Nutznießer mehr geben wird? Ob die Abwanderung der Bevölkerung in Íntag den Minenunternehmen hilft, da sie auf keinen Widerstand mehr stoßen werden bei dem Versuch, Kupfer und andere Bodenschätze abzubauen, oder schadet, da sie vor Ort keine Arbeiter mehr finden, weiß ich nicht. Letzteres wäre auf jeden Fall der Hauptgewinn für Íntag, eine der artenreichsten Gegenden des Planeten – wenngleich es dann eine Art weniger geben würde im hiesigen Nebelwald...

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