martes, 31 de mayo de 2011

Chao, Ecuador!

WER HÄTTE GEDACHT, dass ich in Puerto López auf Wi[n]ston Churchill treffen würde? Der unauffällige Mann besitzt einen kleinen Kiosk mit einer interessanten Aufschrift an der Strandpromenade, auf dem auf französisch geschrieben steht, dass sein Besitzer gerne nackt durch den Wald renne. Inwiefern Wiston das in seinem Geschäft hilft, weiß ich nicht: Nachdem der Herr vor Jahren angeblich zusammen mit Jürgen Klinsmann und Lothar Matthäus Fußball gespielt hat, hat er begonnen, in Puerto López Bootsfahrten zur Isla de la Plata und aufs offene Meer anzubieten und lebt seitdem vom Tourismus.

Vom Tourismus lebt auch Gabriel. Der achtzehnjährige Vater einer drei Wochen alten Tochter lebt in Ayampe und arbeitet dort in einer neuen Bar am Strand. Von acht Uhr morgens bis (mindestens) acht Uhr abends ist er dort zuständig für alles: Getränkeausschank, Kochen, Putzen... Und das sieben Tage die Woche. Zeit für das Töchterchen hat er nicht viel, dafür aber ein festes Einkommen. Dreihundert Dollar pro Monat wirken wie ein schlechter Scherz bei diesen Arbeitszeiten, dabei liegen sie über dem gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn von rund zweihundertsechzig Dollar. Und die Arbeit ist durchaus machbar, wenn man sich vor Augen hält, wie wenig Kundschaft Gabriel zu bedienen hat.

Sollte Aldo, Gabriels Chef und Besitzer diverser Hostels und Bars, beschließen, die Strandbar in Ayampe wegen ausbleibender Kundschaft wieder zu schließen, wäre das auch für Gabriel kein Weltuntergang: Er könnte dann als Surflehrer bei Vanessa und Ryan arbeiten. Die beiden leben seit zwei Jahren in ihrem Haus in Ayampe. Dort betreiben sie eine Yoga-, Surf- und Spanischschule und arbeiten mit lokalen Lehrerinnen und Lehrern zusammen. Die beiden Kanadier kamen vor drei Jahren nach Ecuador und kauften zunächst ein Grundstück in Canoa, wo sie sich nach einer Weile jedoch unwohl fühlten – all die Touristen und die dadurch ständig stattfindenden Parties waren ihnen nicht entspannt genug.

Ob Ayampe auf lange Sicht ein ruhiges Dörfchen am Strand bleibt, darf bezweifelt werden: Zu viele Menschen hier leben vom Tourismus. Sandra und Galván, zum Beispiel. Die beiden kommen ursprünglich aus Cali, Kolumbien, und leben seit ein paar Jahren in Ayampe. Hier hüten die beiden ein Anwesen, auf dem neben dem Haupthaus mit zu vermietenden Zimmern ein paar Bungalows zu finden sind. Die Besitzer, ein schweizerisch-ecuadorianisches Pärchen, leben in der Schweiz, wo der Sohnemann vom guten europäischen Bildungssystem profitieren sollen. Sandra und Galván erziehen derweil ihren Sohn, den achtjährigen Kevin, vor allem mit Pay-TV und Internet: Sandra hat Angst, ihren Schützling mit den anderen Kindern aus dem Dorf spielen zu lassen, und Galván ist oft außer Haus. Böse Zungen behaupten, dass er seine Freizeit vor allem damit beschäftigt sei, in Montañita zu koksen und zu feiern.

Ein ruhigeres Leben hat da sicherlich Don Carlos: Der vierundsiebzigjährige Ecuadorianer mit arabischen Wurzeln lebt in Puerto López von seiner Wäscherei. Allerdings begnügt er sich nicht mit der Arbeit: In seiner Freizeit nimmt er Englischunterricht, da er der Überzeugung ist, dass der Geist herausgefordert werden muss, wenn man auch im Alter fit bleiben möchte.

Ans Alter denkt die junge Französin, die einen Souvenirladen in Puerto López hat, sicherlich noch nicht. Sie lebt seit Jahren in Ecuador, hat jedoch viel Zeit in der sierra, im Hochland, verbracht. Dort hat sie ihren ecuadorianischen Ehemann kennengelernt, mit dem sie inzwischen an der Küste lebt: Als Bretonin möchte sie frische Meeresfrüchte nicht missen und beschloss daher, an den Pazifik zu ziehen. In ihrem Lädchen an verkauft sie neben »Save the Whales«-T-Shirts vor allem Kunsthandwerk und Bioschokolade und wartet auf den Tag, an dem die lateinamerikanischen Staaten auf einer politischen Ebene mit der Europäischen Union und Nordamerika stehen.

Dieser Wunsch existiert sicherlich nicht nur in Ecuador. Auch in Kuba, kann ich mir vorstellen, sehnt man sich nach besseren Zeiten. Bisher kann ich nur raten, wie man auf der größten Karibikinsel wohl denkt vom Rest der Welt. Doch schon sehr bald werde ich genauer Bescheid wissen über das Inselleben: Am Mittwoch trete ich die Nachtfahrt nach Quito an, wo ich am Donnerstagmittag Richtung Kuba aufbrechen werde. Dort werde ich bis zum zweiundzwanzigsten Juni verweilen und prinzipiell die Hauptstadt, Havanna – oder La Habana – kennenlernen. Ich weiß nicht, ob ich von der Insel aus bloggen kann, da ich mich über Internetsperren nicht schlaugemacht habe. Spätestens nach Kuba, Ende Juni in Nicaragua, werde ich aber wieder schreiben können: Bis dahin – hasta pronto!

martes, 17 de mayo de 2011

Tschüss, Imbabura!

DIE LETZTEN TAGE hatte ich Zeit, Abschied zu nehmen. Von Apuela, von Pucará, von Íntag. Das war komisch, aber nicht schlimm: es liegt ja im Moment sehr viel vor mir, auf das ich mich schon seit Langem freue!

Gestern kam ich also nach Otavalo, ließ Íntag für unbestimmte Zeit zurück. Heute früh stieg ich mit Peter auf den Fuya Fuya. Das war ein einfacher Spaziergang, aber auf 4286 Meter über Normal Null merkt man die Anstiege doch ganz gut!

Wir hatten großes Glück mit dem Wetter – Peter sagt, dass es solche Tage vielleicht zehnmal im Jahr gibt: Wir konnten die Berge von El Chile an der kolumbianischen Grenze bis zum Chimborazo in Zentralecuador sehen, es war grandios! (Mehr in den Fotos.)

Nachher mache ich mich nach Quito auf und von dort an den Strand. Bei Neuigkeiten oder anderen berichtensweren Dingen schreibe ich natürlich weiter. Noch dauert es ja noch eine Weile, bis ich wieder deutschen Boden betrete – und bis es soweit ist, blogge ich!

viernes, 13 de mayo de 2011

Letzte Gastfamilie, letzte Tage

MEINE LETZTE GASTFAMILIE habe ich noch gar nicht vorgestellt: Seit drei Wochen lebe bei Esperanza und ihren Kindern Jonathan (15), Shisela (10), Fernanda (5) und Andrés (3). Bereits seit Oktober war klar, dass ich irgendwann in dieser Familie unterkommen würde – seinerzeit war ich bei Doña Teresa, Esperanzas Mutter, untergebracht und hatte täglich mit den drei kleineren Kindern zu tun. Weil die nicht nur sehr nett und lustig sind, sondern auch an der zweimal wöchentlich stattfindenden Kindergruppe teilnehmen, kündigte ich schon damals an, gegen Ende meines Aufenthaltes dort unterzukommen.

Und jetzt ist es also soweit! Ich wohne erneut im Dorfkern Pucarás und kann ganz entspannt und dennoch mitten im Geschehen meine Zeit in Pucará ausklingen lassen. Die ist so gut wie abgelaufen: Am Montag werde ich Íntag verlassen, ohne zu wussen, wann ich zum nächsten Mal hier aufkreuzen werde. Den Mono, den »einzigen offiziellen Alkoholiker Pucarás«, werde ich sicherlich nicht vermissen. Aber abgesehen von ihm finde ich es schon schade, die pucareñas und pucareños zurückzulassen. Vor allem ein paar von den Kindern werden mir schon fehlen – und ich habe das Gefühl, dass sie mich auch ein wenig in ihre Herzen geschlossen haben!

Irgendwann komme ich wieder – da bin ich mir sicher. Dann aber zum Urlaub – und ein bisschen Zeit lasse ich mir noch, bevor ich erneut nach Ecuador komme! Immerhin weiß ich noch, dass ich mich in den letzten neun Monaten nicht pausenlos wohlgefühlt habe, dass ich nicht immer glücklich und zufrieden war! Da sind die Gedanken darüber, wann ich wohl wieder hier herkomme, ein wenig schnell aufgetaucht: Sobald das Ende meines Freiwilligendienstes, meine Abreise abzusehen waren!

Vor mir liegen jetzt noch ein paar vermutlich ereignisreiche Wochen. Zunächst werde an die Küste fahren, wo ich Polly treffe und alte Bekannte aus Eppstein. Anfang Juni fliege ich in die Karibik und nehme Kuba – zumindest Havanna – in Augenschein, um anschließend nach Nicaragua zu reisen. Dort war ich während meines Anderen Dienstes im Ausland auch nicht immer glücklich – und freue mich nun umso sehr, dorthin zurückzukehren!

miércoles, 11 de mayo de 2011

Medizin – oder Hokus Pokus?

SEIT FÜNF MONATEN bin ich gesund – nachdem ich mich bis Anfang des Jahres ziemlich häufig über meinen Gesundheitszustand beklagt habe. Woran das genau liegt, weiß ich nicht. Ich vermute einen gewissen Gewöhnungsprozess hinter der »Heilung«. Bestimmte Parasiten können meinem Verdauungstrakt einfach nicht mehr so viel anhaben, wie zu Beginn meines Aufenthaltes in Ecuador.

Über die Tatsache, dass ich seit einiger Zeit keinen Grund mehr bekommen habe, mich über meine Gesundheit zu beschweren, bin ich glücklich. Denn besonders amüsant war es nicht, hier krank zu werden: Obwohl ich nie etwas Ernsthaftes bekommen habe hier – oder ist eine Darmentzündung etwas Ernstes? –, konnte ich mich im Krankheitsfall nie so richtig entspannen. Das lag zum Einen daran, dass im Grunde in jeder Mahlzeit neue Herausforderungen für meinen Verdauungstrakt gewartet haben, zum Anderen war es sehr anstrengend, pausenlos den Interpretationen der diversen Gastfamilien zuhören zu müssen.

Mal war in angeblich krank, weil ich abends noch eine Avocado gegessen hatte. Mal hatte ich mir mal aire (wörtlich übersetzt heißt das »schlechte Luft« und bedeutet etwa böse Geister) eingefangen. Die gängigste Heilungsmethode: Die Säuberung mit rohen Eiern. Dabei werden rohe Eier am Körper gerieben – und nehmen dabei dem Vernehmen nach die bösen Geister, die schlechten Energien auf. Tatsächlich hörten sich die Eier im Nachhinein oft anders an als im Voraus, klangen, als ob sie mit Wasser gefüllt gewesen wären: Angeblich waren sie wegen der bösen Geister verschimmelt... Geholfen hat mir Eiertherapie allerdings nie – obwohl ich mich zumindest am Anfang bereitwillig auf die ungewohnte Behandlung eingelassen hatte und den traditionellen Heilmitteln vertraute.

In Ecuador ist der Glaube an mal aire sehr verbreitet, und Eier werden häufig zur Heilung eingesetzt. Was mich allerdings beim Anblick der ländlichen Krankenhäuser auch nicht verwundert: Regionalen Krankenhäusern sind Centros de Salud (Gesundheitszentren) und Sub Centros de Salud untergeordnet. In Apuela gibt es ein Sub Centro, in dem per Definition kaum Behandlungen durchgeführt werden dürfen: Operationen und diverse Tests (Blut-, Urin- und Stuhlproben zum Beispiel) können in einem Sub Centro nicht vorgenommen werden.

Auch Röntgenaufnahmen oder Ultraschall können in Apuela nicht durchgeführt werden. Was dazu führt, dass sich die Kompetenzen der Ärzte im Sub Centro im Grunde auf das Verschreiben von Tabletten beschränken. Wobei diese Tabletten nicht immer die richtigen sind – ohne weitere Untersuchungen kann oftmals nicht genau festgestellt werden, an was die Patientin oder der Patient überhaupt leidet.

Anstatt also Stunden im Wartezimmer zu verbringen auf die Gefahr hin, am Ende nicht ausreichend untersucht zu werden, greifen viele Menschen sofort auf uralte Traditionen zurück und versuchen, sich mit rohen Eiern zu heilen. Und ich wähne mich glücklich, dass es mir seit einiger Zeit gut geht und ich daher auf keine der beiden in meinen Augen fragwürdigen Heilmethoden mehr angewiesen bin!

domingo, 8 de mayo de 2011

Marsch, Marsch

NACH ELF STUNDEN kamen wir endlich in Otavalo an. Und ich hatte mein Vorhaben, von Íntag nach Otavalo zu laufen, endlich in die Tat umgesetzt. Zusammen mit Florian, einem deutschen Freiwilligen, der bei Otavalo arbeitet, bin ich am Samstagmorgen um halb drei in Pucará aufgebrochen. Mit meinen löchrigen Schuhen, einer Taschenlampe zum Ankurbeln, drei Flaschen Wasser und einigen Äpfeln traten wir die Wanderung an: Knapp sechzig Kilometer lagen vor uns. Wir starteten auf etwa zweitausend Metern über Normal Null, sollten bis auf dreitausendvierhunder Meter steigen, um dann schließlich auf rund zweieinhalbtausend Metern anzukommen. Ein ordentlicher Marsch lag vor uns, dessen waren wir uns bewusst.

Die ersten drei Stunden verliefen nicht nur angenehm, sie kamen uns auch sehr kurz vor: Keine Ermüdungserscheinungen, dazu angenehme Temperaturen und die Gewissheit, dass wir auch nach zwei Stunden stetiger Steigung noch keine Abstriche im Tempo machen mussten.

Wetter und Vegetation waren sehr abwechslungsreich. Wir liefen im Nebel los, sahen nach einer Weile den Sternenhimmel, bevor wir kurz vor Sonnenaufgang erneut in dichtesten Nebel eintauchten. Am Wegesrand waren eingangs Maisfelder zu sehen, später nahm dichter Regenwald deren Stelle ein; riesige Blätter wuchsen rechts und links des Weges, Lianen hingen von moosbewachsenen Bäumen. In höheren Lagen waren nur noch ein paar Sträucher und hohes Gras zu sehen, außerdem konnte sich die Sonne immer mehr gegen die Wolken durchsetzen. Und schließlich, nach fünfeinhalb Stunden, erblickten wir erstmals Otavalo. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir knapp vierzig Kilometer zurückgelegt und legten die erste Pause ein. Bei stürmischem Wind - das Weideland unterhalb des Passes, den wir soeben passiert hatten, bot kaum Windschutz - erholten wir uns einen Augenblick. Diese Pause sollte sich rächen: Es fiel mir sehr schwer, wieder in Tritt zu kommen. Die Beine taten jetzt weh, nachdem sie abgekühlt waren, und es sollte einige Minuten dauern, bis ich wieder rund lief. Zwei Stunden später, nach etwa fünfzig Kilometern, legten wir dennoch eine weitere Pause ein: Irgendwie mussten wir Zucker aufnehmen und kurz verschnaufen. Immerhin waren wir schon nahe am Zementwerk der Firma La Farge, das bereits an der Teerstraße nach Otavalo liegt - viel sollte also nicht mehr fehlen.

Doch die zweite Pause hatte mich völlig erledigt. (Während Florian nur bis zur ersten Pause, die ich nicht gebraucht hätte, gelitten hatte, und sich seit dem besser fühlte.) Die Blase zwischen meinen Zehen war nicht weiter schlimm, aber meine Leiste meldete sich bei jedem Schritt, und meine Fußsohlen brannten. Die Teerstraße kam und kam nicht näher, und besonders viel Spaß machte die Wanderung inzwischen nicht mehr. Immerhin: Wir lagen sehr gut in der Zeit.

Die letzten fünf oder sechs Kilometer ging es dann über die Teerstraße. Die Stadt war lange zu sehen, doch stets fehlten noch Kilometer oder einige hundert Meter. Aber wir kämpften: So kurz vor dem Ziel konnten wir nicht aufgeben! Und schließlich, um kurz nach zwei, kamen wir im Ort an. Wir gönnten uns ein Eis im Eiscafé und humpelten zur Wohnung von Cielo Azul, Flos Partnerorganisation.

Nachdem ich mich eine Weile ausgeruht hatte, konnte ich mich dann gar nicht mehr bewegen; mein linkes Bein war nicht mehr zu gebrauchen. Die folgende Nacht sollte allderdings Wunder wirken; in meinem rechten Bein spüre ich die Folgen der Wanderung gar nicht, das linke ist schon viel besser als gestern.

Den Imbabura werde ich vermutlich nicht besteigen: Das war ursprünglich vor morgen angedacht, aber das werde ich mir nicht antun. Ob ich den Berg nächste Woche besteige, ist noch unklar - vor allem möchte ich ans Meer fahren und meine Zeit in Ecuador ganz in Ruhe ausklingen lassen...

viernes, 6 de mayo de 2011

Alkoholbedingter Lehrermangel

MAN NIMMT AN, dass Lehrerinnen und Lehrer den Schulkindern als Vorbilder dienen. Dem ist in Pucará nicht so. Immer wieder höre ich von einem Lehrer, der bis vor kurzem einen der beiden Lehrerposten bekleidete und bei dem es einige Kinder bis zum Ende der Grundschule geschaffte haben – ohne lesen oder schreiben zu können. Die Mathematik scheint nicht nur bei ihm kaum eine Rolle zu spielen: Das erstaunt mich bei der Art und Weise, wie den Kindern hier das Rechnen beigebracht werden soll, aber auch nicht: Textaufgaben, die irgendeinen Bezug zur Praxis, zum Alltag herstellen könnten, gibt es gar nicht. Stattdessen werden unsinnige Zahlen im zehnstelligen Bereich dividiert. Wobei das schon ein großer Fortschritt ist – beim letzten Lehrer wurde im Mathematikunterricht gar nichts gelernt.

Können Kinder und Eltern in Pucará also auf eine Verbesserung des Unterrichts in der Grundschule hoffen? Es schien bis vor Kurzem so. Als ich aber vor einer Woche am Straßenrand stand, um mit dem Bus, der um kurz vor um sieben Uhr am Morgen Pucará passiert, nach Otavalo zu fahren. Zu dieser Zeit sollte der Unterricht in der Schule beginnen. Das Auto von Paúl, dem Lehrer, stand bereits vor der Schule. Doch der Lehrer war nicht, wie ich vermutet hatte, im Klassenraum: Als ich wieder zur Schule blickte, fuhr der blaue Kleinwagen in Richtung Dorfzentrum – und musste auf diesem Weg auch an mir vorbeifahren. Weshalb der Lehrer so langsam unterwegs war, erklärte sich auch nach kurzer Verwunderung von alleine: Als der Lehrer mir eine (in diesem Fall) halbleere Bierflasche reichte und mich aufforderte, einen Schluck zu nehmen. Mit im Auto: Ein Kasten Bier und zwei Freunde, mindestens so betrunken wie der Lehrer.

Als Paúl dann losfuhr und etwas davon lallte, dass er nun nach Otavalo fahren wolle, hoffte ich im Stillen, dass er dort nicht planmäßig, sondern im Notartwagen ankommen würde, damit er etwas daraus lernen könnte. Den Lehrer habe ich seitdem nicht mehr gesehen, aber es scheint auf seiner Fahrt nichts passiert zu sein – das hätte man in Pucará erfahren. Das Ende vom Lied war jedenfalls, dass der Unterricht ausfiel an diesem Freitag.

Das ist zwar Routine hier, da die meisten Lehrkörper bereits am Donnerstag nach Otavalo aufbrechen – doch in der Regel gibt es dafür immer irgendwelche Ausreden, wie die Teilnahme an einer Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer oder irgendwelche Besuche im Bildungsministerium oder bei anderen Behörden. Dieses Mal erfuhr schnell das gesamte Dorf, welchen Umständen der neuerliche Unterrichtsausfall geschuldet war. Auf die Barrikaden ging trotzdem niemand: Der Lehrer habe sowieso nur einen Vertrag auf Zeit und würde seine Zelte bald abbrechen. Wer ihn ersetzt wird, steht bereits fest: Eine junge Lehrerin wird bald in Pucará tätig werden und die aktuelle Direktorin der Schule bei dieser Gelegenheit ersetzen. Bleibt zu hoffen, dass sich dann endlich etwas tut in der Schule von Pucará!

lunes, 2 de mayo de 2011

Aufbruchsstimmung

DIE DEUTSCHE MEISTERSCHAFT ist sicher. Über diese Tatsache bin ich sehr glücklich – und es stört mich ziemlich, dass ich in Ecuador bin, wo sich außer mir wohl niemand so richtig über den Gewinn der Meisterschaft freuen kann. Es ist schon sehr blöd, dass die Mannschaft von Borussia Dortmund die wahrscheinlich beste Saison seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, hinlegt, während ich in einem Land bin, in dem man von der Bundesliga nichts mitbekommt, wenn man sich nicht ausdrücklich dafür interessiert.

Hier in Pucará tut sich herzlich wenig, momentan. Ich habe von Sonntag bis Dienstag Besuch bekommen von Sebastian vom NicaNetz und dessen Bruder Tobias. Am Freitag fuhr ich nach Otavalo, um dort T-Shirts für die Spanischschule drucken zu lassen, und traf dort Inga, die mit YAP in Nicaragua gearbeitet hat und im Moment noch am Reisen ist. Die nächsten Tage werde ich wieder/weiterhin mit der Umfrage beschäftigt sein, mit der ich vor ein paar Wochen begonnen habe. Außerdem werden wir in der Zeitung ganz bald die nächste Zeitung fertigstellen, und die Círculos de Lectores–Teatreros stehen auch noch auf dem Programm.

Doch läuft mir jetzt langsam die Zeit davon – in einem Monat verlasse ich das Land, Íntag kehre ich schon in drei Wochen den Rücken zu. In dieser Zeit möchte ich noch zwei Dinge erledigen, die ich mir schon zu Beginn der Zeit hier vorgenommen habe: Einerseits möchte ich die sechzig Kilometer nach Otavalo zu Fuß zurücklegen; ohne schlechte Musik und schlechte Busluft. Andererseits möchte ich noch auf den Taita Imbabura steigen, der mit seinen rund viertausendsechshundert Metern Höhe eine ordentliche Wanderung verspricht.

Abgesehen von den beiden Wanderungen habe ich jedoch keinen Ehrgeiz mehr. Wozu auch: Was wir hier anbieten, wird von fast niemandem nachgefragt; dementsprechend gering ist die Begeisterung über meine Kernaufgaben, die Zeitung und die Aktivitäten mit den Kindern. Ein kleines Projekt habe ich noch in der Hinterhand, aber auch hier weiß ich nicht, ob es nicht an ecuadorianischer Trägheit (Faulheit?) scheitern wird.

Es wird Zeit, dass ich meine Zelte hier abbreche.

Noch ein keiner Nachtrag: Das Internet ist keineswegs überlebenswichtig. Solange klar ist, dass es keinen Zugang dazu gibt, fehlt es mir nicht. Aber wenn es theoretisch möglich ist, eine Internetverbindung zu haben, stört es mich doch sehr, wenn der schlechte Service von Internetprovidern eine Strich durch die Internetverbindung machen: In Íntag muss man derzeit Glück haben, um eMails empfangen oder gar Blogeinträge veröffentlichen zu können.

Und noch eine Ergänzung. Diesen Ausschnitt aus den Notifax, wöchentlich versandten Nachrichten aus und über Nicaragua, möchte ich euch nicht vorenthalten:
»Die Behörden meldeten, dass in der Semana Santa 66 Menschen den Tod gefunden haben. 24 von ihnen seien bei Diskussionen und Alkoholkonsum gewaltsam ums Leben gekommen.«
Das scheint mir eine interessante Diskussionskultur zu sein...