miércoles, 29 de diciembre de 2010

Próspero año nuevo!

SO GANZ WEISS war die ecuadorianische Weihnacht nicht. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Dafür war es hier neblig – und also auch weiß, irgendwie. Für Plätzchen hatten wir ebenso gesorgt und die Menschen Pucarás mit Kokosmakronen, Zimtsternen und Heidesand beeindruckt. Und sonst? Es gab keinen Gottesdienst an Heiligabend, und die Bescherung fiel ziemlich klein aus. Aber auch hier, fern der Heimat und weit weg von den Traditionen, die wir Jahr für Jahr in der Familie pflegen, war das Weihnachtsfest schön!

An Heiligabend haben Polly, Nora und ich gekocht und lecker gegessen. Nora und ich waren zwar angeschlagen, aber auf Rot- und Glühwein wollten auch wir nicht verzichten. Am ersten Weihnachtstag ging es weiter mit der Schlemmerei, inzwischen war Nora nach Quito gefahren, um ihren Familienbesuch zu empfangen, dafür waren mit Leni und Katharina zwei andere YAP-Freiwillige in Pucará angekommen. Am zweiten Weihnachtstag kamen noch fünf Freiwillige aus Tabacundo, wo ich im November meinen Geburtstag gefeiert hatte. Es gab leckere Gemüselasagne und am Ende des Abends waren alle satt und zufrieden!

Seit Heiligabend wohnen Polly und ich in Peters Finca. Peter ist momentan – mal wieder – nicht in Pucará und hatte mir angeboten, mir seine Schlüssel hierzulassen. Ich war eine Weile etwas zwiegespalten, ob ich nicht gerne bei meiner Gastfamilie sein würde. Aber als ich dann innerhalb einer Woche, nachdem ich ziemlich brutale Antiparasitentabletten genommen hatte, wieder krank wurde, war meine Lust auf das ecuadorianische Essen und meine ziemlich einfache Unterbringung fürs Erste verschwunden: Ich wollte raus aus der Familie, um mich in Ruhe erholen zu können.

Und offenbar haben Rotwein und all die leckeren Mahlzeiten Wunder gewirkt: Was all die Tees und Wundermittel nicht schafften, erreichte die europäische Ernährung – ich bin wieder soweit hergestellt! Dabei waren die letzten Tage nicht nur entspannend: Zwei der Gäste aus Tabacundo waren ziemlich unausstehlich und etwas schwierig handzuhaben, sodass ich ziemlich erleichtert war, dass sie nur ein Tor auf Peters Finca zerstört und sonst keinen Schaden angerichtet hatten. Vielleicht sieht man daran, dass Menschen gleichen Alters, aus ähnlichen sozialen Umfeldern und unterschiedlicher geographischer Herkunft sehr verschieden sein können. (Zumindest habe ich bisher noch keinen deutschen Freiwilligen getroffen, der sich so verhalten würde...)

Morgen werde ich mich in Otavalo mit Peter treffen, ihm die Schlüssel für seine Finca überreichen und dann mit ihm, einer Gruppe von Studenten aus den Vereinigten Staaten und Polly nach Morochos fahren. Dieser Ort liegt am Fuß des Cotacachi, und Peter hat dort verschiedene Projekte, mit denen er die Gemeinde unterstützt. Ich selbst kenne das Dorf noch nicht, doch nach Peters Angaben scheinen indigene Kultur und Tradition dort noch sehr wichtig zu sein.

Bis zum zweiten Januar werden wir in Morochos bleiben, danach kommen wir alle wieder nach Pucará, wo Peters Gruppe vier Tage bleibt. Ich werde in irgendeiner Weise verantwortlich für sie sein und dementsprechend ein paar Tage beschäftigt sein. Außerdem kommt Annika, eine Freundin aus Deutschland, zu Besuch, und mein Weihnachtsessen mit der Gastfamilie steht ebenfalls aus. Volles Programm während der ersten Tage des neuen Jahres!

Im Anschluss, am fünften oder sechsten Januar, werde ich mit Annika gen Süden aufbrechen: Wir fahren nach Bolivien! Was genau wir uns in Peru und Bolivien ansehen, wissen wir noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass wir eine Menge neuer Orte und Gesichter sehen, viele Geschichten und Informationen hören werden während des Monats, den wir gemeinsam unterwegs sein werden! Nach Möglichkeit wird es auch während der Reise neue Blogeinträge geben, wenn auch weniger häufig.

Bis dahin – alles Gute fürs neue Jahr, euch allen einen guten Rutsch!

sábado, 18 de diciembre de 2010

Goldrausch

VOR LANGER ZEIT, bevor Kolumbus glaubte, Indien entdeckt zu haben und in der Folge eine Horde mordender und plündernder Spanier ganze Völker und deren Kulturen auslöschte, lebte in der Region, die heute »Íntag« heißt und sich in den westlichen Ausläufern der ecuadorianischen Anden befindet, der Stamm der Yumbos. Dieses Volk hatte sich nicht von den expandierenden Inkas vereinnahmen lassen und trieb Handel mit den Völkern an der Küste und mit denen, die im Andenhochland lebten.

Als die skrupellosen Europäer in Íntag eintrafen, gab es keine Rettung mehr: Mensch und Kultur waren dem Untergang geweiht. Erst einige Jahrhunderte später beschlossen einige wenige Bauern, das vom Nebelwald bewachsene Plateau zwischen dem Toabunche- und dem Íntagfluss für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Im Rahmen der Arbeiten, die notwendigerweise durchgeführt wurden, um das Gelände bewohnbar zu machen, stieß man auf eine erhebliche Anzahl von Spuren vorheriger Zivilisationen und nahm daher an, dass der Ort, eine rund fünfhundert Meter über den umliegenden Tälern gelegene Ebene, als Zufluchtsort für längst ausgestorbene Völker gedient hatte: Man entschied sich, ihm den Namen Pucará zu geben. Aus welcher Sprache dieser Begriff stammt, entzieht sich meiner Kenntnis – seine Bedeutung ist jedoch auch mir geläufig: Festung.

Noch heute finden sich Überbleibsel der Yumbos: Wer seinen Acker umgräbt und dabei ein wenig Glück hat, stößt auf Tonscherben. Mit etwas mehr Glück lassen sich intakte Tongefäße ans Tageslicht bringen. Und wirklich glückliche Bäuerinnen und Bauern entdecken Goldschmuck, oder zumindest einzelne Goldperlen im fruchtbaren Boden Íntags.

Als in den Sechzigern die Fläche, die heute als Fußballplatz dient, eingeebnet wurde, wurden wohl ganze Tonkrüge voller Gold aus dem Erdreich gehoben. Angeblich stieß man auch auf Tunnelsysteme und andere Dinge mehr, die erahnen lassen, dass die heutige Bevölkerung Pucarás, was Reichtum und Infrastruktur angeht, – mit Verlaub! – nicht mithalten kann mit den Siedlerinnen und Siedlern vor ein paar Jahrhunderten.

Ein paar Funde befinden sich noch im Besitz der (unfreiwilligen) Schatzgräber: Mein aktueller Gastvater Don Jaime besitzt beispielsweise unter anderem zwei vollständig erhaltene Tongefäße, die an kleine Karaffen erinnern. Andere haben ihre Entdeckungen angeblich in Bares umgewandelt – so wurden aus Goldperlen mit der Zeit japanische Pick-Ups oder zweigeschossige Häuser. Und einige der Schätze haben, so sagt man, tatsächlich den Weg in Museen geschafft!

Gesprochen wird über dieses Thema: Die Yumbo und ihre Schätze kaum. Ich habe in der letzten Zeit recht viel dazu gefragt und ein wenig nachgebohrt – doch wirklich gerne scheinen nur sehr wenige darüber zu sprechen. Hat der Fund alter Schätze seinerzeit zu Missgunst unter den Familien Pucarás geführt? Hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben, was mit den Kostbarkeiten zu tun sei? Haben sich möglicherweise einige Beteiligte auf Kosten anderer bereichert? Fand vielleicht für eine kurze Zeit ein wahrer Goldrauschs hier statt, mit all der Gier und Spekulation und List – und haben seine Nutznießer inzwischen ein schlechtes Gewissen?

Wenn es tatsächlich so einfach ist, auf Keramik und Schmuck der Yumbos zu stoßen – warum versucht niemand, damit Geld zu verdienen? Peter erzählte mir zu Beginn meiner Zeit hier, dass er jedes Mal, wenn er auf dem Acker arbeite, zumindest auf Tonscherben stoße. In Otavalo werden jeden Samstag Eisen- und Tongegenstände verkauft, von denen ich inzwischen gar nicht mehr glaube, dass es sich dabei nur um billige Imitationen handelt: Die Behörden scheint es jedenfalls nicht zu interessieren, dass die präkolumbianische Geschichte Ecuadors besonders gut untersucht wird. Dies könnte bedeuten, dass man Gegenden Pucará etwas genauer unter die Lupe nähme, um professionelle Ausgrabungen zu unternehmen. Und möglicherweise wäre es dann auch nicht so einfach, auf einem Wochenmarkt für wenig Geld an Gegenstände zu gelangen, die alt sind und vielleicht wertvoll – und eigentlich ins Museum gehören!

Als Carolina, die Chefin des Periódico ÍNTAG, die in Pucará lebt, neulich davon erfuhr, dass bei den Arbeiten für die hiesige Kanalisation, angeblich Knochen gigantischen Ausmaßes gefunden wurden und dass einer der Arbeiter sich einen dieser Knochen mit nach Hause genommen hatte, führte sie einige Gespräche im Dorf und setzte schlussendlich soetwas wie die Denkmalschutzbehörde des Landes in Kenntnis: Damit diese komme, um eine professionelle Untersuchung durchzuführen, die den Knochenfunden und den bereits gehobenen Schätzen auf den Grund gehen würde.

Am Donnerstag hätten die Herrschaften in Pucará sein sollen, und wir waren schon sehr gespannt: Würden Archäologinnen und Archäologen nun Tag und Nacht (und vor allem: im Regen) in einer von Absperrband umgebenen Parzelle sitzen und mit Schäufelchen und Pinselchen eine Erdschicht nach der anderen abtragen und dabei eine Mischung aus Jurassic Park und Machu Picchu ans Tageslicht bringen? Stattdessen: Nichts! Niemand kam.

Auf Nachfrage Carolinas teilte man dann mit, dass man gerne dazu bereit sei, Pucará zu besuchen und die Lage zu analysieren – allein, man habe kein Auto und müsse also in Quito abgeholt werden. (Die Staatsdienerinnen und Staatsdiener werden sicherlich nicht schlecht bezahlt, und die einfache Fahrt von Quito nach Pucará kostet drei Dollar sechzig.)

Zu Weihnachten wünsche ich mir einen Yumboschatz, inklusive goldenem Sarkophag vom großen Yumbokönigspaar. Wenn die Damen und Herren vom Instituto Nacional de Patrimonio Cultural nicht aufkreuzen, werde ich mich mit dem Spaten daran machen, die Vergangenheit Pucarás ans Tageslicht zu bringen! Und im Museum wird dann ganz sicherlich nichts davon landen...

sábado, 11 de diciembre de 2010

Neue Familie 4.0

WIE JEDEN MONAT habe ich auch Anfang Dezember wieder einmal meine Gastfamilie gewechselt. Nun lebe ich etwa zwanzig Spazierminuten unterhalb von Pucará. Meine Gasteltern sind Jaime Jativa, 53 Jahre alt, und seine Frau Ceyda, 39 Jahre alt und im vierten Monat schwanger. Meine Gastgeschwister sind Gabriela, 14, Francisco, 12, Narcisa, 11, Ruth, 7, Diego, 4 und Pamela, 2 1/2. Die Namen der beiden Hunde, die eingangs ziemlich aggressive waren, habe ich mir nicht gemerkt.

Nach knapp einer Woche in der Familie Jativa fühle ich mich schon sehr wohl: Alle sind neugierig und unterhalten sich gerne mit mir, und die Kinder sind sehr lebhaft und lustig – einfach nett. Einmal habe ich mich sogar dazu bewegen lassen, mir mit der Familie die allabendliche novela anzusehen, eine wahnsinnig kitschige und übertriebene Fernsehserie: Das Angebot konnte ich einfach nicht ausschlagen, so nett wie ich gefragt wurde!

Dass die Familie so nett ist, macht einiges wett. Dass es keine Dusche gibt und ich mich mit einem Eimer wasche, zum Beispiel. Oder dass der Weg hierher beim momentanen Wetter eine einzige Schlammschlacht ist. Oder dass es hier kein Waschbrett gibt, sondern nur zwei eher weniger als mehr zum Waschen geeignete Steine. Und dass ich hier erstmals seit inzwischen immerhin vier Monaten wirklich zerstochen werde. Ob es sich bei meinen Peinigern um Flöhe handelt oder um Mücken, weiß ich nicht – ich hoffe auf Letzteres, gehe aber davon aus, dass meine Hoffnungen umsonst sind. (Und wenn es die Flöhe sind – dann werde ich eben noch drei oder vier Wochen gebissen werden, bevor sich auch das gibt...)

Don Jaime und Doña Ceyda sind sehr zuvorkommend und begegnen sich gegenseitig sehr respektvoll. Sie siezen sich trotz der zahlreichen Jahre, die sie nun schon miteinander leben. Auch ihre Kinder siezen sie, und mich sowieso: Ich werde nur von sehr wenigen Personen hier geduzt, was mir aber kaum noch auffällt, weil man sich hier grundsätzlich eher siezt. (Selbst viele Hunde werden gesiezt...) Trotz der kurzen Zeit, die Don Jaime in der Schule verbrachte – vier Jahre sollten genügen – ist mein Gastvater scheinbar sehr gebildet im Gegensatz zu vielen Personen, mit denen ich bisher in Kontakt kam: Er weiß zumindest grob Bescheid über viele politische und historische Ereignisse und scheint sich durchs Lesen gebildet zu haben, was ihn zu einem sehr angenehmen und interessanten Gesprächspartner macht. Doña Ceyda ist eher zurückhaltend und springt Jaime vor allem dann zu Seite, wenn ich Fragen zu bestimmten Rezepten oder anderen Haushaltsthemen habe.

Gabriela (Gabi), die Älteste, lebt zur Zeit offenbar nur für den Haushalt. Sie hat die Grundschule vor zwei Jahren beendet und hatte danach die Möglichkeit, auf die weiterführende Schule nach Apuela zu gehen, was sie jedoch ablehnte: Alleine wollte sie das nicht. Bis sie im kommenden Frühjahr wieder zur Schule geht – Narcisa (Nacha) steht kurz vor dem Ende der siebenjährigen Grundschule und wird bald mit Gabi nach Apuela fahren –, wird sie weiterhin ihre Mutter unterstützen, kochen, waschen, für Ruhe sorgen. Aufgrund ihrer Beschäftigung wirkt sie auf mich gar nicht wie eine Jugendliche, die mitten in der Pubertät steckt...

Nacha, Francisco (Pancho) und Roth gehen zur Schule in Pucará. Die beiden älteren sind einerseits sehr lustig und lachen über jedes Späßchen, wirken andererseits aber auch oft ernst und ruhig – ganz anders Ruth, Diego und Pamela, die viel spielen und lärmen und oft einen witzigen Anblick bieten.

Ganz anders war das in meiner letzten Familie: Dort sprach ich ausschließlich mit meiner Gastmutter Gloria, weil deren Mann Lauro meistens in seinem Zimmer war und fernsah und die Kinder mich zwar oft mit großen Augen ansahen, aber sofort hinter irgendeiner Wand oder hinter ihrer Mutter verschwanden, wenn ich sie etwas fragte. So ganz behagte mir das nicht, und besser wurde das etwas seltsame Bild von diesen Kindern auch nicht, als man mir sagte, dass sie immer (!) so seien. Ob das mit dem zusammenhängt, was man mir über Lauro erzählte: dass er Gloria früher immer wieder ziemlich vermöbelt habe, weiß ich nicht. Und ich werde es auch nicht erfahren, nehme ich an.

Abgesehen von meiner neuen Gastfamilie und dem unerhört schlechten Wetter ist in Pucará alles wie immer. Ich halte mich mit kleinen Arbeiten und ausgiebigem online-Zeitunglesen über Wasser. Außerdem werde ich möglicherweise bald in der Fußballmannschaft Pucarás spielen, wenn man mich denn lässt: Ich habe Noppen- und keine Stollenschuhe, was angeblich dazu führen wird, dass man mir keine Spielerlaubnis erteilt. Auch müsse ich die ecuadorianische Staatsangehörigkeit besitzen, wie behauptet wird. Wir werden sehen!

Am Montag kommt Karen nach Pucará und wird eine Woche hier bleiben. Karen kenne ich bisher nur aus eMails: Sie möchte Pucará und dessen Einwohnerinnen und Einwohner kennenlernen und wird Spanischunterricht in der Spanischschule nehmen. Meine Aufgabe wird es sein, sie vormittags mit Arbeit zu versorgen, was mich schon jetzt vor Rätsel stellt. Aber auch da wird sich eine – hoffentlich vernünftige! – Lösung finden.

Heiligabend werde ich aller Voraussicht nach mit ein paar Freiwilligen hier in Pucará verbringen. Ich werde also fast den gesamten Monat hier sein und nicht, wie im November, wöchentlich abhauen. Das tut mir bisher sehr gut: Es macht Freude, täglich die Ruhe hier zu genießen und mit den Menschen hier über Gott und die Welt zu sprechen! Und jedes Wochenende wird der neue Bundesligastartrekord ausgebaut: Da muss die Laune ja bestens sein!

miércoles, 8 de diciembre de 2010

Música

AM LETZTEN WOCHENENDE fuhr ich nach Quito, um dort zumindest einen Teil der diesjährigen fiestas de Quito mitzuerleben. Genauer gesagt hatte ich es auf das Konzert der Calle 13 abgesehen, die aus Puerto Rico eingeflogen werden sollten, um im Süden der ecuadorianischen Hauptstadt zu spielen. Abgesehen davon, dass mir die Musik von Calle 13 ohnehin gut gefällt, hielt ich den Besuch des Konzerts für nötig, da ich unter der Musik, die ich hier allerorten auf die Ohren bekomme, inzwischen ziemlich zu leiden habe. Die immergleichen San Juanitos fand ich während meiner ersten Tage im Land zwar noch ganz nett, bin ihrer aber doch sehr rasch überdrüssig geworden. Auch die stets sehr schnulzigen Bachatas konnte ich eingangs noch ganz gut anhören, weil sie mich immer wieder an Nicaragua denken ließen, wo sich Bachatas ebenso großer Beliebtheit erfreuten. Doch mit der Zeit habe ich einfach nicht mehr nachvollziehen können, weshalb es hier nicht, ähnlich wie in Europa, unterschiedliche Geschmäcker gibt, sondern einen einzigen Einheitsbrei! (Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, also Menschen, die den ecuadorianischen Mainstream nicht mehr ertragen und sich anderen Musikgenres widmen – aber die stellen eine verschwindend kleine Minderheit dar!) Besonders krass fiel mir das in Quito auf: Dort trafen sich im Rahmen der fiestas sehr viele Jugendliche auf der Straße, um gemeinsam zu tanzen und zu trinken. Wer ein Auto hatte, brachte dieses mit, öffnete sämtliche Türen und stellte die Musik auf volle Lautstärke. Es reihte sich also eine Unzahl von Autos aneinander, jedes mit einem anderen Lied, sodass die Tanzenden ihre liebe Mühe hatten, nicht von der Musik aus den benachbarten Fahrzeugen aus dem Takt gebracht zu werden. Bemerkenswert und schrecklich zugleich fand ich, dass aus ausnahmslos allen Autos Lieder ein und desselben Genres dröhnten: Reggaeton! Die Texte sich dem Reggaeton zugehörig fühlenden Interpreten sind häufig frauenverachtend und propagieren einen Lebensstil, in dem Geld, Autos und Drogen eine wichtige Rolle spielen. Das ist zwar in diesem Video einer aufstrebenden HipHip-Crew aus Berlin nicht viel anders – dennoch sei an dieser Stelle ein wenig Werbung für die mir nicht ganz unbekannten jungen (Damen und) Herren gemacht!

Zurück zu Quito.
Beim Länderspiel zwischen Ecuador und Venezuela, das ich mit Julian vor wenigen Wochen besuchte, kam ich mit einem quiteño ins Gespräch, der mir anbot, bei ihm wohnen zu können, wann immer ich nach Quito komme. Dieses Angebot wollte ich nicht ablehnen, sodass ich mich, gemeinsam mit Marco und Polly, bei Luis, so der Name des jungen Mannes, einquartierte. Luis ist Besitzer eines kleinen Schwimmbades mit Sauna etwas südlich des Stadtzentrums. Sein Unternehmen ist im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes untergebracht, der Rest des Hauses steht noch leer: Luis und dessen Eltern haben vor, dort ein Hotel einzurichten. Bis dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, werden die oberen Stockwerke wohl weiterhin wahlweise Baustelle oder Gästezimmer sein.

Am Freitagabend fuhren wir zu viert Richtung Flughafen und liefen von dort an der plaza de toros, der Stierkampfarena, vorbei zu dem Reggaeton-Auto-Straßenfest. Um die Stierkampfarena herum war sehr viel los, wobei das Publikum etwas ungewöhnlich war: Menschen in Abendgarderobe, die gar nicht erst zu verstecken versuchten, dass es ihnen finanziell nicht allzu schlecht geht. Warum auch, bei Eintrittspreisen von sechzig und mehr Dollars? Das Straßenfest war interessant anzusehen: Überall die Autos mit der immergleichen Musik, tanzende und betrunkene Menschen überall, und so viele Fußgänger auf der Straße, dass für andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer kein Durchkommen mehr war. Spektakulär wirkten die Flugzeuge, die dicht über den Köpfen der Menge den Flughafen anflogen!

Am Samstag habe ich es endlich geschafft, Julika zu treffen. Die kenne ich seit ungefähr zwanzig Jahren und wir hatten uns vorgenommen, uns einmal zu treffen hier in Ecuador: Julika ist ebenfalls über »weltwärts« in Ecuador und arbeitet im Norden Quitos. Mehr zu ihrer Arbeit ist hier nachzulesen. Am Abend fuhren wir dann in den Süden, zum Konzert von Calle 13 in Quitumbe. Die Busse dorthin waren restlos überfüllt, es wurden Lieder von Calle 13 angestimmt, auf den Busfahrer angestoßen – die Stimmung war hervorragend! Allerdings hatten wir alle Angst, dass das Konzert schon so überfüllt sein würde, dass keinen weiteren Besucherinnen und Besuchern mehr Einlass gewährt werden würde. Doch diese Sorge war unbegründet: Wir fanden noch Platz auf dem Festivalgelände, wenngleich wir nicht sehr nah an die Bühne herankamen.

Das Konzert an sich war schön. Die Stimmung war jedoch eher trist: Die Pausen zwischen den Stücken wirkten wie Schweigeminuten, und beim Anblick der Menschen um mich herum hätte ich meinen können, dass jegliche Art von Bewegung verboten wäre. Doch was die Band auf der Bühne bot, entschädigte uns voll und ganz für die Fahrt nach Quito: Residente, der Sänger der Band mit dem bürgerlichen Namen René Pérez, sprach, wie das seine Art ist, viel über Politik, Unterdrückung, Medien, Propaganda – und sorgte für die eine oder andere lustige Einlage. Nach knapp zwei Stunden war das Konzert zu Ende und ich mit den Kräften am Ende, aber zufrieden.

viernes, 3 de diciembre de 2010

Entren los que quieran

DIE LETZTE VOLKSZÄHLUNG in der Bundesrepublik Deutschland fand neunzehnhundertsiebenundachtzig statt, der bislang aktuellste Zensus in der ehemaligen DDR wurde sogar sechs Jahre früher durchgeführt. Es existieren derzeit also keine exakten Daten über die Einwohnerzahl und die genaue Zusammensetzung der Bevölkerung Deutschlands. Wegen fehlerhafter oder fehlender Angaben von Emigranten sowie nicht registrierter Einwanderer weicht die tatsächliche Bevölkerungszahl wohl im einige hunderttausend von der Zahl ab, die in Almanachen und Statistiken zu lesen ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland sich seit über zwanzig beziehungsweise knapp dreißig Jahren die Volkszählungen spart, weil allein die in Westdeutschland durchgeführte umgerechnet rund eine halbe Milliarde (!) Euro gekostet hat, mag es verwunderlich erscheinen, dass Ecuador sich alle zehn Jahre eine derartige Aktion leistet! Am vergangenen Sonntag war es wieder einmal so weit: Der groß angekündigte censo 2010 hatte schon im Voraus für Aufregung gesorgt, da die gesamte Bevölkerung dazu aufgerufen wurde, von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr am Nachmittag zu Hause zu verweilen, keinen Alkohol zu trinken – die ley seca, das »trockene Gesetz« war von Freitagnacht bis Montag um null Uhr in Kraft – und abzuwarten, bis die Volkszähler vorbeikommen. Mit dem Zählen und Befragen waren vor allem Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen und deren Lehrer beauftragt. So ganz genau kann ich jedoch nicht wiedergeben, was da gefragt wurde: Ich saß den ganzen Tag lang in der kältesten und dunkelsten Wohnung Ecuadors, die ein paar Freiwillige in Otavalo mieten, und wartete vergeblich darauf, meine Angaben machen zu dürfen.

Dem Vernehmen nach wurden alle Menschen gefragt, welchem Geschlecht und welcher ethnischen Gruppe sie sich zugehörig fühlen (!), wie alt sie sind, welchen Bildungsgrad sie erreicht haben, wie viel sie verdienen, welche Sprachen sie sprechen und dergleichen noch viel mehr. Interessant finde ich, dass man bei den beiden ersten Fragen nicht von den Zählerinnen und Zählern eingeordnet, sondern tatsächlich gefragt wurde. Peter, der weißeste Einwohner Pucarás, hat angeblich angegeben, schwarz zu sein beziehungsweise sich schwarz zu fühlen. Und für solche Scherze liegt dann das Leben in einem ganzen Land einen Tag lang flach, wird wahrscheinlich die Hälfte der Entwicklungszusammenarbeitgelder eines Jahrgangs ausgegeben.

Das lange Warten war etwas lästig, zumal es offensichtlich umsonst war. Aber auszuhalten war es auf alle Fälle. Was mich wirklich erschrocken hat, war der Círculo de lectores – teatreros gestern: Die Kinder hatten sich gewünscht, wieder ein Theater mit Handpuppen zu machen. Das wollte ich ihnen nicht verwehren – sie aber auch nicht, wie die letzten Male, improvisieren lassen: Dabei kamen bisher immer Wrestlingkämpfe zwischen Eseln und Schafen zustande, was ich nicht sonderlich geistreich fand. Also stand gestern das Ausdenken eines »Drehbuches« auf dem Programm. Und das funktionierte gar nicht: Die Kinder haben behauptet – und ich glaube ihnen das sogar –, dass sie weder in der Schule noch sonst wo jemals eine Geschichte erfinden mussten! Da ist es eine fast unmögliche Aufgabe, sich ein Theaterstück auszudenken! Ich war danach wirklich erschrocken und ein wenig niedergeschlagen, wie wenig Fantasie die Kinder besitzen. Dass sie nie in diese Richtung gefordert geschweigedenn gefördert wurden. Wir haben alle noch einen langen Weg vor uns, und ich hoffe, dass diese Arbeit in den nächsten Jahren weitergeführt wird, damit die Kinder Pucarás eine Möglichkeit haben, ihre Fantasie zumindest ein wenig auszubilden!

Seit dem neunundzwanzigsten November finden in Quito die fiestas de Quito statt, die ich am Wochenende besuchen werde. Mein persönliches Highlight wird das Konzert der puertoricanischen Band Calle 13 sein. Nach dem Wochenende werde ich davon berichten. Und von der ecuadorianischen Musikkultur... Bis dahin: Schönes Wochenende!