jueves, 16 de septiembre de 2010

Alltag

WAS MACHT MAN eigentlich so den ganzen Tag in einem Dorf, in dem nur – nehmen wir mal an – rund einhundert Menschen leben und das von der Außenwelt mehr oder weniger abgeschnitten ist? Arbeiten! – dachte ich. Das ist Quatsch! – weiß ich jetzt. Also: Was machen die Leute hier? [Ich kann hier (noch) nicht für alle Pucareños antworten, weil ich die meisten nicht von morgens bis abends begleite oder mitbekomme. Aber grundlegend unterscheiden sich die Tagesabläufe der Leute hier nicht, und so kann man sich anhand des Alltags meiner derzeitigen Gastfamilie sicherlich schon einiges vorstellen.]

Es geht früh los. Vicente sitzt ab kurz vor sieben auf der Bank vor dem Haus, zusammen mit seiner fast gleichaltrigen Nichte Jessica und gelegentlich auch mit seiner Mutter, und wartet auf den Laster, der Jessica und ihn mit nach Apuela nimmt, wo die beiden auf das colegio, die weiterführende Schule, gehen. Während Vicente und Co. draußen sitzen, läuft für gewöhnlich in dem Zimmer, das an meins grenzt, Musik. Oder, besser: Reggaeton. Und das so laut, dass sogar ich davon aufwache. Bis ich dann bei Bewusstsein bin, sind die Schülerinnen und Schüler schon kurz vor Apuela – und mein Gastvater, Don Manuel, arbeitet seit einer knappen Stunde. Kurz nach Sonnenaufgang – also um kurz nach sechs – macht er sich, meistens mit einer Hacke oder sonstigem leichten Werkzeug ausgestattet, auf den Weg: Etwas oberhalb von Pucará befinden sich die Felder eines Nachbarn, auf denen Don Manuel stets mitarbeitet: Bohnen, Mais, Erbsen, Kartoffeln etc. werden geerntet und die Felder dann neu bestellt. Geld bekommt mein Gastvater für diese Arbeit nicht, aber er erhält einen Teil der Ernte. Doña Empera, meine Gastmutter, sagt, dass die Ernte zwischen den beiden Herren – dem Besitzer und Don Manuel – geteilt würde, was ich allerdings bezweifle. (Nichtsdestotrotz muss meine Gastfamilie keinen Hunger leiden.) Meine Gastmutter frühstückt zunächst gemeinsam mit mir: Brot, Kaffee und ein (manchmal halbrohes) Ei und macht dann vormittags, was eben so anfällt. Sie füttert die Schweine, die ich trotz intensiver Suche irgendwie noch nicht entdecken konnte, wäscht, löst Maiskörner vom Maiskolben oder Erbsen oder Bohnen aus ihren Hülsen, füttert die Hühner (was schnell geht) und unterhält sich auf der Straße mit den Nachbarn.

Um möglichst genau zwölf Uhr mittags gibt es dann Essen. Meistens sind wir zu dritt; Doña Empera, Don Manuel und ich. Es gibt immer zunächst eine Suppe, in der nicht selten ein (Stück) Huhn schwimmt. Es folgt immer: Reis. Mal mit Mais, mal mit Bohnen, mal mit Erbsen, mal mit Kartoffeln, mal mit de todo un poco; und oben drauf liegt nicht selten ein Spiegelei. Das Mahl sättigt nicht schlecht und immer wieder passiert es, dass ich mich nach dem Essen erstmal hinsetzen und tief durchatmen muss.

Nach dem Mittagessen geht es dann weiter: Don Manuel geht manchmal zurück aufs Feld, bleibt aber auch hin und wieder zu Hause. Hier putzt er dann das BMX von Vicente oder seine Gummistiefel oder setzt sich vor die kleine Kirche, die auf der anderen Seite des Sandweges, der am Grundstück der Familie vorbeiführt, steht: Weil dort immer irgendwer vorbeikommt und sich dann zu ihm gesellt, ist er dort auch nie allein. Vicente kommt um zwei Uhr rum nach Hause, sieht fern, hört wieder Reggaeton, telefoniert und hilft manchmal Doña Empera bei kleinen Arbeiten. Als die beiden das kleine Stück Rasen zwischen Haus und Maisfeld gepflegt haben, als wären wir hier in England, kam mir jedoch der dumpfe Verdacht, dass die beiden, zumindest in jenem Moment, auch Mühe hatten, beschäftigt zu bleiben. Doña Emperas Programm sieht am Nachmittag so aus wie am Morgen.

Ab spätestens fünf Uhr ziehen dann ziemlich rasch ziemlich viele Wolken auf, die langsam sinken und in ihrer Bewegung Pucará in Nebel hüllen. Dann wird es ziemlich frisch und bald darauf auch schnell dunkel – am Äquator fackelt die Sonne weder beim Auf- noch beim Untergehen lange: Zeit zum Abendessen! Das sieht dem Mittagessen ähnlich, kommt ihm bei der Größe der Portionen aber glücklicherweise nicht so nah. Und: Abends sind wir zu viert! Nach dem Essen ziehen sich Vater, Mutter, Kind zum Fernsehen zurück, ich gehe die drei Schritte weiter in mein Zimmer und lese. Soweit zum Alltag in der Familie.

Generell würde ich nach den bisherigen Eindrücken davon ausgehen, dass sich hier niemand zu Tode arbeiten wird. Es ist zwar enorm, welche Lasten und Volumen vor allem die Männer manchmal auf ihrem Weg vom Feld nach Hause schleppen – aber so häufig kommt das nicht vor, und wirklich lange scheint am Tag fast niemand zu arbeiten. Warum auch? Die meiste Arbeit, die anfällt, hat direkt mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln zu tun. Arbeitsverträge müssen nicht erfüllt werden, und wer zuviel erntet, kann damit sowieso erst einmal nichts anfangen! Don Gonzalo, den hier alle nur Mono (Affe) nennen, schießt den Vogel ab: Er bietet mir ab und zu schon vormittags einen Schnaps an. Obwohl ich hier wirklich nur sehr ungern Angebote ablehne, weil das schnell als beleidigend aufgefasst wird, kann ich da nicht mitziehen – und inzwischen wundere ich mich über diese nettgemeinten Angebote nicht mehr: Der Mono scheint Pucarás (angeblich) einziger Alkoholiker zu sein.

Und es gibt außer dem Mono noch andere Herrschaften, die nicht auf den Feldern arbeiten. Don Marco beispielsweise. Der wohnt in einem von Peters Projekt erbauten Haus, gemeinsam mit seiner Frau, seiner (?) Tochter und ein paar Hunden und ist zu alt, um ein Feld zu bestellen oder abzuernten. Dafür wacht er über den Schlüssel, der seit neuestem für den Eintritt in die öffentlichen Duschen notwendig ist, und hat einen kleinen Gemüsegarten auf dem Grundstück dieser Duschen. Weil er gegenüber der Casa Comunal wohnt, in der sich auch mein »Gerätelager« befindet, sehe ich Don Marco eigentlich, naja, immer. Nach den Falten in seinem Gesicht zu urteilen, wird er ungefähr vierhundert Jahre alt sein. Seine Witze und seine derbe Ausdrucksweise lassen darauf schließen, dass er vielleicht bald mit der Schule fertig ist. Auf alle Fälle ist er ein ziemlich lustiger Zeitgenosse, und wenn ich mich eine Weile mit ihm unterhalten habe, und das mache ich ja gerne, schenkt er mir regelmäßig zwei guineos, das sind diese kleinen Bananen, die man in Deutschland bekommt, wenn man ecuadorianische Bio-Bananen (so ein Unsinn!) einkauft – und die sowohl in Mittelamerika als auch hier die ganz normalen, süßen Bananen zum sofortigen Verzehr sind.

Und mit diesem kurzen Exkurs zum Thema Bananen beschließe ich diesen Eintrag: Weil schwatzgelb so eine schöne Farbe ist!

3 comentarios:

  1. Such mal im Schweinestall im Schweinehaus im Schweinebezirk.

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  2. Warum fragst Du Deine Gastmutter nicht einfach, wo die Schweine wohnen? Sag mir, wo die Schweine sind! Machst Du wieder Fotos? Ich wollte schon immer wissen, wie man aussieht, wenn man vierhundert Jahre alt ist.

    Liebe Grüße von Deiner dreihundertjährigen Mutter.

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  3. Nach Paragraph drei setzte sich mir ein seehr breites Grinsen auf das Gesicht. Irgendwie habe ich das Gefuehl, dass du nicht so gute Karten hast bei deiner Wette.

    Was anderes: Meinst du nicht, dass sich dein Projekt auch irgendwann von selber erhalten kann? Scheint ja eine ganz gute Geschaeftsidee zu sein... Woran fehlt es den Leuten, das Projekt irgendwann auch ohne Peter und dich weiterzufuehren, wenn es ja eigentlich recht lukrativ ist? Du koenntest ihnen ja vllt als Wegbereiter dazu dienen, oder?

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