lunes, 31 de enero de 2011

Für Henry

SEIT GESTERN FRÜH sind Annika und ich in Cochabamba, meiner letzten Zwischenstation vor dem Rückflug nach Ecuador. Wir hatten Potosí am Freitagnachmittag verlassen, die konstitutionelle Hauptstadt des Landes, Sucre, am Freitagabend erreicht und dort vierundzwanzig Stunden später den Weg nach Cochabamba angetreten.

In Potosí stand der Besuch der berühmt-berüchtigten Minen auf dem Programm. Der Cerro Rico, der über der höchstgelegenen Stadt der Welt thront, verschaffte der Stadt einst Weltruhm: Die Silbervorkommen, die er beherbergte, waren einmalig in der Welt und sorgten dafür, dass Potosí im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert eine der wichtigesten und größten Städte der Welt wurde. Unschätzbare Mengen an Silber wurden in die alte Welt verschifft, und unzählbare Menschen verloren durch die unmenschliche Arbeit in den Minen ihre Leben; Schätzungen schwanken zwischen zwei und acht Millionen Todesopfern.

Und auch heute noch bietet der Cerro Rico (Reicher Berg) nicht nur die einzige nennenswerte Einkommensquelle Potosís, sondern birgt nach wie vor Lebensgefahren: In der vergangenen Woche sind wieder zwei Arbeiter ums Leben gekommen, abgesehen von denen, die nach Jahrzehnten des Schuftens zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr den Tod finden, weil ihre Lungen aufgrund des schädlichen Staubs zerstört sind.

Schon vor der Führung zu den Minen hatte ich ein seltsames Gefühl in der Magengegend: Wir würden uns den Ort und die Ursache des Todes von Millionen ausgebeuteter Menschen ansehen, und wir würden mit unserem Führer an hart arbeitenden Männern und Jungen vorbeilaufen, ohne helfen zu können. Und tatsächlich war die ganze Erfahrung, der Anblick der Minen und der Arbeiter sehr verstörend.

Zunächst wurde uns etwas über Dynamit, Alkohol und Coca und erzählt, drei Elemente, die den Alltag in den Minen ausmachen: Mit dem Dynamit arbeiten sich die Arbeiter im Fels voran auf der Suche nach dem Reichtum. Der Alkohol wird teilweise dem tío, dem Onkel, der eine Art Schutzpatron der Arbeiter ist, gespendet oder der Pacha Mama, der Mutter Erde. Oder er wird getrunken. Dass es sich bei dem Alkohol nicht um Bier oder Wein handelt, sondern um sechsundneunzigprozentigen Schnaps, muss ich vielleicht gar nicht extra erwähnen. Außerdem ist Coca ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit in den Minen: Das Kauen auf Cocablättern lässt Hunger, Durst und Müdigkeit vergessen, Dinge, für die in der Mine keine Zeit ist. Sämtlichen mineros ist ihr Cocakonsum deutlich anzusehen an der oftmals bewundernswert großen Wange, in der sie die Cocablätter ablegen.

(Coca ist keine Droge! Das Blatt berauscht nicht und macht nicht abhängig. Der Anbau von Coca ist in Bolivien und Peru legal, gehört zur Kultur der Hochlandbevölkerung. Die aufwändige Weiterverarbeitung des Blattes ermöglicht die Gewinnung von Kokain, dessen Wirkung jedoch nichts mit der des einfachen Cocablattes zu tun hat...)

In der Mine folgten wir zunächst den Gleisen der Loren: Jungen im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren schoben die mit Steinen beladenen Wagen unter Einsatz ihrer ganzen Kraft durch die Stollen, eine Wange von Coca aufgebläht, jenseits der Leistungsgrenze, völlig gezeichnet von der Arbeit. Kaum einer von ihnen konnte einen Gruß über die Lippen bringen, so sehr waren sie von der Arbeit gemartert. Wir bogen irgendwann von diesem Hauptweg ab, krochen einige Meter in die Tiefe und mussten sehr mit der Hitze, dem beißendem Geruch von Urin, Sprengstoff und Staub und der Enge kämpfen: Hier arbeiten? Unmöglich!

Als wir die Mine verließen, machten einige der Kumpels Mittagspause. Zu essen gab es nichts, stattdessen schoben sie sich stillschweigend ein Cocablatt nach dem anderen zwischen Wange und Backenzähne. Es war frustrierend und beängstigend, wie sich teilweise Väter und Söhne anschwiegen, erledigt von der Arbeit. Viele der Arbeiten sind tatsächlich nicht älter als fünfzehn Jahre - und ihr Beruf ist ein Glücksspiel: Wer auf eine Silberader stößt, hat gewonnen. Andere arbeiten mehr als acht Stunden am Tag und finden nichts Gewinnbringendes! Feste Löhne gibt es in Potosí nicht; jeder Kumpel gehört zu einem Zusammenschluss von Bergmännern und darf sich in der Konzession dieser Union einen Ort zum Arbeiten suchen. Geförderte Mineralien und Silber verkauft jeder Bergmann selbst: Ein Teil des Gewinnes zahlt er in die Rentenkasse ein, einen Teil in die Versicherung. Wer nichts findet, geht einfach leer aus.

Traurig nach den düsteren Eindrücken in der Mine verließen wir Potosí, dessen Zukunft düster aussieht: Schätzungen zufolge wird der Bergbau dort in fünz bis zehn Jahren eingestellt werden müssen. Einerseits, weil sich die Bodenschätze erschöpfen, andererseits, weil der Cerro Rico, durchlöchert wie er ist, einstürzen wird. Potosí könnte dann eine Geisterstadt werden: Arbeit findet man dort kaum außerhalb der Minen... Mit dem Ende des Bergbaus in Potosí wird dann auch eine Investition der deutschen Regierung überflüssig: Nachdem die Chemikalien, die man zur Trennung des Silbers aus dem Gestein benötigt, fünfhundert Jahre lang in die Flüsse gekippt hatte, finanzierte die Bundesrepublik Deutschland den Bau adäquater Kläranlagen und Entsorgungssysteme. Ob und wie Spanien Entwicklungszusammenarbeit mit der Region Potosí betreibt, weiß ich nicht...

In Sucre machten Annika und ich nicht viel, abgesehen vom Schokoladenkauf, der sich dort wirklich lohnt, da es scheinbar einige Chocolatiers gibt in Sucre, und vom Besuch eines Barbiers, der bei mir dringend nötig war.

In Cochabamba haben wir nun ein paar Tage Zeit. Ich werde viele Eindrücke sammeln, bevor ich am Freitag nach Ecuador abfliege! Und möchte mich schonmal an dieser Stelle bedanken bei Henry, der gerade in Ecuador ist und in dessen Zimmer ich während der Tage in Cochabamba wohnen darf! Muchas gracias, Enrique!

1 comentario:

  1. Obwohl es mich ausserst traurig stimmt, dass wir durch unguenstige Umsatende nicht zusammen deine letzten Momente in Bolivien verbringen koennen, bin ich doch froh, dir wenigstens meine Wohnugn anbieten zu koenne

    fuer mehr bildliche Eindruecke kenne ich diese kurze Dokumentación aus Spanien "21 dias en una mina"
    hoffentlich bringts dieser Link:
    http://www.cuatro.com/21-dias/videos/mina-durisima-vida-marlene/20091127ctoultpro_57/

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