jueves, 16 de junio de 2011

Linksherum

WÄHREND DER MANGOSAFT von heute morgen auf dem Balkon steht, um wieder aufzutauen und anschließend von mir getrunken zu werden, finde ich einen Moment, um ein paar Zeilen für den Blog und somit für die werte Leserschaft zu schreiben. Was gibt es Neues?

 

Jamila ist inzwischen wieder abgereist und erkundet nun Jamaika, womit Nora und ich nun wieder zu zweit sind. Das bedeutet mehr Platz im gemeinsamen Zimmer und mehr Unabhängigkeit voneinander. Womit schon das Wesentliche erzählt wäre: Meine Hauptbeschäftigung hier sind immer noch ausgiebige Spaziergänge durch die Stadt. Die sind nach wie vor spannend und ermöglichen mir von Tag zu Tag eine bessere Orientierung in der aufgrund ihres rechtwinkligen (kolonialen) Straßensystems sowieso nicht allzu unübersichtlichen Stadt.

 

Mein Bild von den Menschen, die hier leben, hat sich in den letzten Tagen etwas geändert. Nach wie vor bin ich zwar positiv davon überrascht, wie sicher es ist, sich in den Straßen Havannas zu bewegen – auch abseits der Touristenzonen –, aber es ist traurig und nervig zugleich, allerorten die Armut zu sehen. »Where are you from?« ist vermutlich die Frage, die ich hier am meisten höre – und stellt in der Regel den Anfang eines Gesprächs, an dessen Ende ich Zigarren oder Rum kaufen oder zumindest ein paar moneditas (Münzchen) schenken soll. Im Grunde kann ich es keinem Menschen, der mangels Geld in einer prekären Situation lebt, verübeln, einen vergleichsweise reichen Touristen anzubetteln. Aber Spaß macht es eben auch nicht, zu spüren, dass man für andere nur eine Geldquelle darstellt.

 

Die Aussage, dass man, wenn man wirklich will und sich wirklich anstrengt, immer eine würdige Arbeit findet und eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, mag zumindest in Deutschland zynisch klingen. Bei uns gibt es Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nie Fuß fassen und ganz schnell ans Ende der Gesellschaft durchgereicht werden. Und dieses Phänomen lässt sich nicht auf unsere mitteleuropäischen Gefilde beschränken, sondern ist vermutlich weltweit zu finden: Manche schaffen es, andere eben nicht.

 

Dabei dürfte es auf Cuba relativ einfach sein, nicht am Boden der Gesellschaft zu enden: Die Schulpflicht existiert hier nicht nur auf dem Papier, sie wird auch rigoros umgesetzt. Und jede Ausbildung, die auf die Schule folgt, ist ebenso staatlich und damit kostenlos. Dazu kommt, dass das Niveau, auf dem die Kubanerinnen und Kubaner Schulbildung und Berufskenntnisse vermittelt bekommen, nicht schlecht ist. Es hat, theoretisch, jede und jeder die Möglichkeit, eine vernünftige Ausbildung zu bekommen und dann eine passende Arbeit zu finden – was vergleichsweise einfach sein dürfte, sind doch nahezu alle Betriebe auf der Insel in der Hand des Staates, der wiederum kein Interesse an Arbeitslosen hat, schon allein aus Propagandagründen.

 

Doch womöglich ist gerade hier der Haken an der ganzen Angelegenheit: Es gibt zu viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die können nicht so viel produzieren, wie sie zusammen andernorts verdienen würden, weshalb sie Hungerlöhne verdienen. Das nimmt ihnen die Motivation, worunter die Produktion leidet. Was zu Lohnsenkungen führen kann. Und so weiter.

 

Viele Menschen verzichten daher von vornherein auf das Dasein als Angestellte des Staates. Gut ausgebildete Ärzte arbeiten in Hotels als Reinigungspersonal und verdienen mehr als im Krankenhaus. Ingenieure arbeiten als Taxifahrer und können über den Lohn, den sie in ihrem gelernten Beruf verdient hätten, nur müde lächeln. Wobei das Trinkgeld, das der Arzt im Hotel zugesteckt bekommen kann und der Ingenieur nach einer Fahrt vom Flughafen in die Stadtmitte erhält, erlaubt ist.

 

Bei vielen Menschen verhält sich das anders: Sie arbeiten por la izquierda, linksherum. Sie haben zu Hause vielleicht die Formen, in denen man die Zigarren formt und lassen sich von Freunden und ganz geheim Tabak bringen, um in einem Hinterzimmer selbst Zigarren herzustellen. Die können dann gewinnbringend verkauft werden – und mit Zigarren kann man große Gewinne erzielen! Die Zigarren, die so hergestellt werden, sind angeblich sogar besser als die »Originale« aus der Fabrik: Dort würde viel Resttabak verwendet, außerdem könne man den legalen Zigarren den Geschmack nach Normerfüllung, also Eile, anmerken. Bei den illegal hergestellten Zigarren ginge es um den Ruf einer Privatperson, deren Ziel es immer sei, stabile Geschäftskontakte herzustellen.

 

Por la izquierda werden aber auch Zigarren aus der Fabrik geschmuggelt, um an Touristen verkauft zu werden; weit unter Preis für diese und zum Vorteil der Händlerinnen und Händler. Ebenso werden Produkte an Kubanerinnen und Kubaner verkauft – Meeresfrüchte zum Beispiel oder im Geschäft sehr teures Rindfleisch. Man braucht dafür nur Kontakte und, immernoch, das nötige Kleingeld. Wobei es schon ein Unterschied ist, ob man Langusten für zwölf (Schwarzmarkt) oder für fünfunddreißig Dollar (im staatseigenen Laden) erhält! Jede Kubanerin und jeder Kubaner, so wurde mir jetzt schon zum wiederholten Male versichert, lebe irgendwie vom und auf jeden Fall mit dem Schwarzmarkt: Ohne den ginge es einfach nicht – einerseits wegen all der Artikel, die auf legalen Wege nicht erschwinglich sind, andererseits wegen der Einkommen, die der Schwarzmarkt als Nebenverdienstquelle bietet.

 

Inzwischen hat der Mangosaft zumindest teilweise den flüssigen Aggregatszustand angenommen. Das werde ich mir schmecken lassen – ganz legal! Prost, und bis bald!

1 comentario:

  1. Hej ho Simon. Kann man dich irgendvvie erreichen? Über email oder so?
    Ich mache gerade auchen ein vveltvvärtsjahr in Riobamba. vvürde mich sehr gerne ein bisschen austauschen.
    Grüße,
    Elenna

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