lunes, 30 de agosto de 2010

Into the Wild

AUS FEHLERN LERNE man, heißt es so oft. Ich glaube momentan nicht so ganz an diese Weisheit – weil ich an mir beobachten kann, dass dem nicht unbedingt so ist! Doch dazu nur kurz: Nachdem ich in Nicaragua stolze acht (oder zehn?) Kilo zugenommen hatte, habe ich mich von Chrissie zu einer Wette hinreißen lassen, die das Gewicht beziehungsweise dessen (also meine!) Zunahme betrifft. Blöd daran: Dass ich sicherlich keine Diät einlegen werde und die Wette somit bestimmt verliere...

Inzwischen lebe ich in Pucará. Dieses Dorf liegt knapp fünfzig Kilometer und somit beinahe drei Stunden westlich von Otavalo, auf etwa zweitausend y pico Metern über Normalnull. Die Angaben zur Einwohnerzahl variieren: Ich habe inzwischen Zahlen von fünfzig bis dreihundert gehört und gelesen. Fest steht auf jeden Fall, dass hier nicht viel los ist! Lohnarbeit gibt es – abgesehen von den zwei Lädchen und Gelegenheitsjobs – nicht, und auch sonst scheint es nicht viel Beschäftigung zu geben. Wer nicht auf dem Feld arbeitet oder Erbsen aus den Hülsen pult oder kocht oder einen Zaun repariert, macht eben nichts. Die Menschen hier haben Zeit: Gespräche ziehen sich oft in die Länge, auch wenn es nichts zu besprechen gibt – die Pausen dauern eben so lange!

Die Elektrizität habe Pucará vor rund vierzehn Jahren erreicht, sagte man mir. Seitdem gibt es immerhin elektrisches Licht. (Und Fernseher und Radios.) Die Straße, auf der der Bus von Otavalo kommend, also bergab fahrend, für die knapp fünfzig Kilometer nach Apuela beinahe drei Stunden benötigt, existiert auch erst seit rund zwanzig Jahren: Davor verband lediglich ein Trampelpfad, der breit genug war für schwer bepackte Pferde, die Intag-Region mit der Außenwelt. Am längsten gibt es fließend Wasser, wenn ich den Informationen, die ich von meiner Gastmutter bekommen habe, Vertrauen schenken kann.

Am ersten Abend, donnerstags, habe ich mit ein paar Jugendlichen Backsteine für einen Unterstand von einem Laster abgeladen. Danach, auf dem kurzen Weg zum Haus, wurde ich von ein paar Herren gerufen: Ich solle mich doch zu ihnen setzen. Gesagt – getan. Ich habe ihnen beim Erbsenschälen geholfen und dafür ein selbstgebranntes Destillat gereicht bekommen. Das war zwar nicht ganz nach meinem Geschmack, aber solche Einladungen kann und sollte man nicht ablehnen, wenn man nicht gleich als unhöflich und abweisend in Verruf geraten möchte.

Am zweiten Tag bin ich nach Apuela spaziert. Das ist das nächste Dorf, zu Fuß in ziemlich genau einer Stunde zu erreichen, und der Treff- und Sammelpunkt für die Region, in der ich nun lebe: Apuela besteht zwar nur aus einigen wenigen Häusern und hat vielleicht ein paar hundert Einwohner, möglicherweise sogar tausend. Aber der Ort ist nicht nur Sitz einiger Nichtregierungs- und Umweltschutzorganisationen, sondern auch sonntäglicher Marktplatz. Jeden Sonntag treffen dort die Menschen aus der Gegend ein, um die Dinge einzukaufen, die sie nicht selbst anbauen oder herstellen können. Für mich stellt Apuela auch die einzige schnell erreichbare Möglichkeit, Kontakt zur Außenwelt herzustellen, dar: Hier gibt es im Gegensatz zu Pucará Internet...

Am Samstag spazierte ich im Dunkeln in die andere Richtung: In Santa Rosa fanden die Miss-Wahlen statt. Im Bus hatte sich die Strecke von Santa Rosa nach Pucará sehr kurz angefühlt, zu Fuß war ich dann aber doch mehr als eine Stunde unterwegs. Ohne Straßenbeleuchtung. Ohne Orientierung. Nicht sicher, ob ich auf dem richtigen Weg war – dabei gibt es nur eine Straße, die teilweise gepflastert, meistens aber aus Sand und viel, viel Staub ist. Ohne zu wissen, wie viele Minuten oder Stunden ich noch laufen müsste. Aber ich hatte einem Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation in Apuela versprochen, vorbeizukommen! Schließlich kam ich also an, die fiesta hatte noch nicht begonnen, und traf sogar eine Kollegin in Santa Rosa: Nora. Sie ist auch mit YAP in Ecuador und arbeitet in Apuela. Die elecciones de la reina waren amüsant – vier Kandidatinnen standen zur Wahl, tanzten und beantworteten Fragen. (¿Cuál persona es la que más admira? – ¡A Dios y a mis padres!) Der Abend wurde länger, meine Favoritin zur neuen reina erkoren, die Bierflaschen in rasendem Tempo herumgereicht: Hier teilt man. Alles. Zigaretten wandern im Kreis, und ebenso das Bier oder was man sonst so anzubieten hat. Glücklicherweise konnte ich auf einer camioneta nach Pucará fahren, wo ich am Sonntag ziemlich verkatert aufwachte.

Ich traf mich mit Peter Shear, meinem Chef, fuhr mit ihm nach Apuela, sah mir kurz das bunte Treiben an, das wirklich beeindruckend war, weil es die Straßen Apuelas, die ich noch zwei Tage vorher wie tot aufgefunden hatte, belebte, also ob es kein Morgen gäbe. Im Anschluss konnte ich dann endlich die Projekte kennenlernen, die hier im Laufe der Zeit entstanden sind. Dazu aber bald mehr.

Ich bin nun guter Dinge, dass die Monate – neun oder zehn werden es hier sein – gut werden. Nach einem anfänglichen Schrecken – »Mit wem soll ich denn hier reden? Was machen?« – habe ich inzwischen den Eindruck, dass es erstens viele nette und interessante (und meistens ziemlich betagte) Menschen, zu denen ich mich immer gerne setzen kann, um ein bisschen über Gott und die Welt zu sprechen, und zweitens durchaus genügend Arbeit gibt, sodass ich mich über Langeweile nicht beklagen werden muss!

Unübersehbar – und daher nach wenigen Tagen schon wieder fast normal – ist der krasse Gegensatz, den die ländliche Gegend zu Quito darstellt: Dort gab es Fast-Food-Restaurants und Supermärkte, sah ich Joggerinnen und Jogger in Parks und in Anzug und Krawatte gekleidete Geschäftsmänner. Von alledem hier keine Spur. Viele Menschen betteln oder sehen so aus, als ob das ihre nächste Station wäre auf dem Weg nach unten. Quito war, ich habe dafür keinen anderen Ausdruck, sehr europäisch. Jetzt bin ich in der sogenannten Dritten Welt angekommen.

Bald werde ich etwas über meine erste Gastfamilie schreiben. Bis dahin wünsche ich euch alles Gute!
Saludos desde Apuela!

(Jonás, tal vez tengas más suerte la próxima vez! Suerte contra Freiburg!)

2 comentarios:

  1. Ay! Que malo jugaban! Pero Dortmund tampoco era muy buena. Pero metieron tres goles antes de que la defensa del VfB se daba cuenta que el partido ya habia comenzado.
    Creo que me gustaria muchissimo visitarte en ese pueblito. Tal vez tengo que hacer mi visita antes de que te vayas hacia Nicaragua. Espero que encuentres algunas personas interesantes con quienes puedes hablar y me alegro que ya ves algunas cosas que puedes hacer.

    A dios y a mis padres!

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  2. Lieber Simonsohn,

    schnell mal nachgeguckt, ob es was Neues von Dir gibt und - hola! - so ein langer Bericht! Wie anders sind Deine Erlebnisse, verglichen mit den »geordneten Verhältnissen«, die Du damals in Ocotal vorgefunden hattest!
    Alles Gute und liebste Grüße!
    Mama

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