sábado, 2 de abril de 2011

Unruhen im Paradies

ALS DER STROM ausfällt, wird es unübersichtlich unter dem Plastikdach des großen, weißen Pavillons, der speziell für diese Veranstaltung aufgebaut wurde. Unzählige Stimmen erfüllen die Luft, doch keine ist mehr deutlich zu verstehen, jetzt, da das Mikrofon nicht mehr funktioniert. Der einsetzende starke Regen tut das Übrige: Das Wasser läuft in den Pavillon, der Erdboden verwandelt sich stellenweise sofort in ein schlammiges Bachbett. Die meisten der Personen, die angereist sind, brechen auf. Einige trotzen dem Regen und reisen auf einer der Ladeflächen der zahlreichen Pritschenwagen ab, andere finden Platz in einem Fahrzeug und müssen sich um das Wetter nicht mehr kümmern. Zurück bleiben die Einwohnerinnen und Einwohner von El Paraíso, unter ihnen Don Julio, der gerade eben mit seinem Sohn derart aneinandergeraten ist, dass eine Schlägerei kaum noch zu verhindern war.

Dass Íntag für Bergbauunternehmen kein gutes Pflaster ist, sollte eigentlich bekannt sein: Was vor ein paar Jahren in Junín passiert ist, wurde in einigen Filmen dokumentiert und weltweit bekannt gemacht – zumindest in Umweltschützerkreisen und bei anderen Naturliebhabern. Damals fing ein kanadisches Bergbauunternehmen an, Kupfer in Junín abzubauen. Dafür musste zunächst der Boden genau untersucht werden, um die reichhaltigen Metallvorkommen zu belegen. Bohrungen wurden unternommen – ein kleiner und ungefährlicher Eingriff, könnte man denken: Es werden keine schweren Geschütze aufgefahren, und nicht einmal ein Baum muss für diesen Arbeitsvorgang gefällt werden. Allein, die Bohrungen stießen auf arsenhaltige Grundwassereinschlüsse – dieses Wasser dringt seitdem an die Erdoberfläche und vergiftet still und leise angrenzende Wasserläufe und den Boden. Nach den Bohrungen kam dann erst die eigentliche Arbeit: Der Kupferabbau. Der führte dazu, dass Wasserläufe weiter verdreckt wurden, Vieh starb und Menschen erkrankten. Trotz der einmaligen Möglichkeit auf relativ gut bezahlte Arbeit fingen die Bewohnerinnen und Bewohner Juníns an, sich gegen das ausländische Minenunternehmen zu wehren.

Nach einigen Jahren des zähen Widerstandes erreichten die Dorfbewohner, wofür sie gekämpft hatten: Das Unternehmen legte die Arbeit in Junín nieder und verließ Íntag. Die Umweltschutzbewegung in der Region war geboren, einige Organisationen hatten sich mittlerweile hier niedergelassen. Und einige Familien und Freundschaften waren in die Brüche gegangen durch die heftigen Meinungsverschiedenheiten zwischen anti mineros und pro mineros.

Nun möchte das chilenische Unternehmen CODELCO anfangen, aus den Kupfervorkommen in Íntag Kapital zu schlagen. Zu diesem Zweck wurde in den vergangenen Wochen und Monaten fleißig geforscht und untersucht, Geologen, Biologen, Soziologen und andere Experten setzten sich mit den möglichen Auswirkungen auf Natur und Mensch auseinander. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten der Bevölkerung von El Paraíso nun vorgestellt werden, um bald mit dem nächsten Schritt fortzufahren; den Bohrungen, die große Kupfer- und Goldvorkommen beweisen sollen und im Falle eines Falles dem Abbau dieser Metalle im großen Stil vorausgehen.

Spannung liegt in der Luft, als die Veranstaltung beginnt. Ein paar hundert Frauen und Männer, Kinder und Greise haben sich eingefunden, um der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse beizuwohnen. Das Bergbauunternehmen hat einen großen Pavillon aufgebaut, der Schutz vor möglichen Niederschlägen bieten soll und für den nötigen Schatten für die Beamerpräsentation sorgt. Plastikstühle stehen an Plastiktischen – die Sitzgelegenheiten reichen jedoch bei weitem nicht aus. Mitarbeiterinnen der Firma bitten die Gäste um deren Unterschriften auf einem Dokument, das niemand kennt und um das die meisten einen weiten Bogen machen. Was wird nun folgen? Wird für Arbeit und Einkommen gesorgt, oder wird auch dieses Unternehmen nur auf die natürlichen Vorkommen scharf sein und sich nicht um die sozialen Bedürfnisse der von ihr heimgesuchten Gemeinde scheren?

Als die meisten der Stühle besetzt sind und noch immer zahllose Menschen um den Pavillon stehen, ergreift eine kleine Frau das Mikrofon und sogleich das Wort. Sie trägt eine weiße Bluse, enganliegende Jeans und Schuhe, die aussehen, als würden sie einige Kilos wiegen. Ihre Stimme ist fest, ihr Blick direkt – und die Frisur sitzt. Im Kurzdurchlauf erklärt sie, worum es heute geht. Stellt den Ablauf der heutigen Veranstaltung vor: Fragen und Einwände kommen ganz am Schluss.

Doch bevor der Experte von CODELCO richtig anfangen kann mit seinem Diskurs, wird er unterbrochen: Die Präsidentin der Gemeinde García Moreno, zu der auch El Paraíso gehört, baut sich neben ihrer Vorrednerin auf, die sich im Gegensatz zur lokalen Autorität geradezu winzig ausnimmt. Der Chilene, der eigentlich an der Reihe ist mit dem Reden, verstummt und vergisst in seiner Überraschung ganz, der Gemeindepräsidentin das Mikrofon zu reichen. Diese empört sich auch ohne elektronische Hilfsmittel lautstark: Wie es sein könne, dass die örtlichen Autoritäten nicht über derlei Treffen informiert würden. Für wen man sich halte, wenn man der Bevölkerung und sowie Vertreterinnen und Vertretern die dreihundert Seiten starke Schrift über die Ergebnisse der Untersuchung vorbehalte. Wie man ein Verhalten rechtfertige, das ganz offensichtlich ganz und gar nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist. Und während die lokale Autorität fragt und wettert, erweckt die Zuhörerschaft zum Leben. Die wütende Frau wird beklatscht und bejubelt, die Repräsentanten des Unternehmens müssen sich zahllose Vorwürfe anhören Am häufigsten den, dass sie das Mikrofon nicht an die aktuelle Rednerin weiterreichen – was sie jedoch zu keinerlei Reaktion veranlasst.

Nach einigen Minuten glätten sich die Wogen. Der chilenische Gast kann seinen Vortrag halten, und auch die anderen Redner kommen noch zu Wort. Das Vorhaben sei im Grunde ganz einfach: Man würde zunächst drei bis zehn Bohrungen vornehmen, jeweils bis zu fünfhundert Meter ins Erdreich. Diese Bohrungen dienen der Bestätigung der Metallvorkommen im Boden. Sollte man dabei nicht fündig werden, wäre das Unternehmen bereits beendet. Bei nennenswerten Kupfer- und/oder Goldvorkommen stünde hingegen die nächste Etappe an: Die Bohrung von bis zu achtundfünzig weiteren Löchern. All dies sei ganz einfach und vollkommen ungefährlich: Es würde im ersten Schritt nur eine kleine Maschine eingesetzt, für den möglichen zweiten Abschnitt würden insgesamt maximal vier Maschinen ausreichen. Diese Maschinen würden mit Diesel betrieben, weitere für die Umwelt schädlichen Stoffe würden nicht eingesetzt. Dennoch würde man darauf achten, dass jede Maschine auf einer Geomembran stehe, um dafür zu sorgen, dass kein einziger Tropfen Diesel ins Erdreich sickern kann. Natürlich würde man keine Bäume fällen, und nach Abschluss der Arbeiten würde man sogar neue Pflanzen sähen auf den kleinen Flächen, die sieben mal sieben Meter messen und für jede der Bohrungen von Vegetation befreit werden müssen. Weder für Flora noch für Fauna bestünde also Gefahr – abgesehen davon handele es sich bei der Fläche, auf der die Bohrungen unternommen werden sollen, sowieso nur um Weideland und Sekundärwald.

Nach dem Vortrag wird den Zuhörerinnen und Zuhörern das Wort erteilt. Haben sie Fragen? Haben sie Bedenken? Oder gar Vorschläge? Allgemeines Schweigen macht sich breit, so still war es an diesem Nachmittag noch nicht. Nur ein älter Herr mit langem, weißen Haar und einem wild wuchernden weißen Vollbart steht auf. Als er das Mikrofon ergreift, dringt ein unverständlicher Wortschwall aus seinem Mund heraus, über Mikrofon und Lautsprecher in die Gehörgänge aller Anwesenden. Spricht er englisch oder spanisch? Erst nach einigen Sekunden bekommt er Atem und Zunge unter Kontrolle und setzt nach einer kurzen Pause wieder an. Er spricht spanisch, mit einem nicht zu verkennenden nordamerikanischem Einschlag. Warum habe man ihn als Besitzer des Naturreservates »Los Cedros« nicht ein einziges Mal gefragt oder zumindest über das Vorhaben des Unternehmens in Kenntnis gesetzt? Immerhin liege sein Grundstück zum Teil auf der achthundert Hektar messenden Fläche, die von den Bohrungen betroffen sein würde. Das, stellt der chilenische Spezialist klar, stimme so nicht ganz: Immerhin könne man das aus unterschiedlichen Perspektiven sehen – je nachdem, ob man mit Metern oder Kilometern messe. Verblüffung im Publikum, lautes Lachen – auch das mit Akzent – seitens des Besitzers des Naturschutzgebietes. Das Eis ist gebrochen, unzählige Arme werden in die Luft gestreckt, als die kleine Dame fragt, ob mehr Klärungsbedarf bestehe.

Im weiteren Verlauf der Befragung wird der anwesende Vertreter der Provinzregierung als ahnungsloser und unwichtiger Herr enttarnt, der nicht etwa die Aufgabe hat, die Regierung zu vertreten, sondern eine simple Einladung vom Unternehmen erhalten hat. Ein weiterer Herr gibt das Mikrofon ganz schnell wieder ab, als er zu einer Antwort anheben möchte und man ihn fragt, wer er eigentlich sei und welche Position er bekleide. Für ihn springt ein anderer in die Presche. Er soll der einzige an diesem Nachmittag bleiben, der das Minenunternehmen nicht aussehen lässt wie einen Haufen ahnungsloser und frecher Emporkömmlinge. Das Gelächter ist groß, als der ratlose Politiker auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Unternehmens keine Antwort findet und ein paar komplett unangebrachte Worte ins Mikrofon stammelt. Die Frage, was genau denn so ungefährlich sei an dem Vorhaben, wenn erstmal arsenhaltiges Grundwasser in die Bäche laufe und was genau die Begrünung der Flächen um die Bohrlöcher bringen würde, wenn mitten durch das Grün giftiges Wasser aus dem Bohrloch pulsiert. Auch noch nach fünfzehn Jahren, wie in Junín, wird vom Gast aus Chile weise beantwortet: Man habe nicht vor, Arsen bei den Arbeiten einzusetzen. Und was, wenn man fündig würde? Würde man dann wieder abziehen, mit den kleinen Maschinen und die Bohrungen Bohrungen sein lassen? Oder habe man vor, dann mit anderen Kalibern anzurücken, um riesige Löcher in die Berge zu reißen und tausende Tonnen wertvoller Bodenschätze abzutransportieren? Eine Antwort gibt es darauf nicht. Nicht heute.

Einige junge Männer und Frauen bahnen sich ihre Wege durchs Publikum, um den vom Bergbauunternehmen gesponserten Snack zu servieren. Es gibt Sandwich mit geschmacklosem Etwas – Putenbrust? –, ein paar Süßigkeiten und eine kleine Coca-Cola für jeden. Übrig bleibt jeweils eine leere Einwegplastikflasche, ein Plastikteller und eine kleine Plastiktüte. Da haben die Herren Biologen ganze Arbeit geleistet.

Und in der Tat können sie, genau wie ihre Kollegen Geologen und die Marionetten aus der Politik, zufrieden nach Hause fahren: Sie wissen zwar, dass sie niemals willkommen sein werden in dem Dorf und dass es im Augenblick gar nicht gut aussieht für das Vorhaben in El Paraíso. Aber sie haben das Wichtigste erreicht: Die wenigen Bewohnerinnen und Bewohner der Gegend, die den Bergbau als arbeitsplatzschaffende Maßnahme begrüßen, haben bereits für viel Unmut gesorgt, und wenn nicht ganz genau aufgepasst wird, wie es weitergeht, steht auch die Bevölkerung von El Paraíso vor der Teilung in zwei Lager. Wenn es erst einmal so weit ist, dass die Menschen vor Ort sich untereinander anfeinden und bekämpfen, ist es ein leichtes für das Unternehmen, all seine Vorhaben in die Tat umzusetzen. Beim Gedanken an den heftigen Streit zwischen Don Julio, einem drahtigen Sechzigjährigen aus El Paraíso, und seinem Sohn werden die Angestellten von CODELCO und ihre Verbündeten noch einige Zeit zufrieden einschlafen können.

1 comentario:

  1. Sag mal, mei Bub, kann es sein, dass wir nochmal Deine Berufslaufbahn überdenken sollten? Wie wäre es mit Autor oder Journalist und/oder Auslandskorrespondent?
    :-)
    Alleweil sehr interessant, was man hier so liest, (wenn man dann mal dazu Zeit hat)
    Freu mich, wenn`s D´wieder da bist!Abrazo, Moni

    ResponderEliminar